Industrie drängt auf neue Zulassungsverfahren

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Um Lieferengpässe von Arzneimitteln einzudämmen und die Versorgung zu verbessern, fordern Hersteller die Zulassung zu „modernisieren“. Fachleute diskutierten das in einer Diskussionsrunde. 

Die Europäische Kommission arbeitet an der größten Reform des EU-Arzneimittelrechts seit über zwei Jahrzehnten. Ein Ziel der Revision ist es, den Zugang zu Arzneimitteln zu beschleunigen. Der Entwurf sieht wie berichtet vor, behördliche Strukturen zu verschlanken und regulatorische Prozesse flexibler und effizienter zu gestalten. Inwiefern ausgerechnet die von der Trump-Regierung kritisierten US-amerikanischen Zulassungsverfahren als Vorbild dienen können, wurde nun von Expert:innen bei einer Diskussionsveranstaltung der PHARMIG thematisiert. 

„Das heutige Zulassungssystem der EU wurde vor 30 Jahren etabliert. Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, es an die Herausforderungen der heutigen Zeit anzupassen. Der Entwurf zur Revision der EU-Arzneimittelgesetzgebung lässt hier durchaus ein ernstes Bemühen erkennen, die Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie zu verbessern“, erklärte PHARMIG-Präsident Bernhard Wittmann. Gleichzeitig seien, so Wittmann, die im Entwurf genannten Auflagen für pharmazeutische Unternehmen, wie etwa die verpflichtende Marktverfügbarkeit in allen Mitgliedsstaaten, nicht im gewünschten Sinne zielführend. Außerdem kämen in Europa ständig neue Regelungen dazu, wie zum Beispiel in jüngster Zeit die Kommunale Abwasserrichtlinie oder Verpackungsverordnung. Weg falle hingegen nichts an jemals beschlossenen Regelungen. So könne die Industrie nicht entlastet werden und auf lange Sicht nur sehr schwer dazu beitragen, Europa wettbewerbsfähig zu machen. Beatrix Linke, Country Lead von IQVIA in Österreich, erläuterte, dass es für einen schnelleren Zugang nötig sei, auch Bewertungs- und Erstattungsprozesse, die nach der europäischen Zulassung stattfinden in der EU zu harmonisieren. 

Grundsätzlich umfasst der Zulassungsprozess in Europa und den USA mehrere Schritte, darunter die Einreichung eines vollständigen Antrags, der Daten zur pharmazeutischen Qualität sowie präklinische und klinische Studiendaten enthält. Diese Daten werden von den zuständigen Behörden gründlich geprüft, bevor über eine Zulassung entschieden wird. Allerdings gehen die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) jeweils unterschiedlich vor, erklärte Angelika Joos, Executive Director im Bereich Science & Regulatory Policy bei MSD in Brüssel. Die EMA arbeitet als Netzwerkagentur mit Expert:innen aus 30 EWR-Ländern und EU-Institutionen zusammen, während die FDA als zentrale Behörde agiert. Die FDA steht bereits vor dem Verfahren mit dem Antragsteller in Kontakt und überprüft fortlaufend die eingereichten Daten. Die EMA pausiert gegebenenfalls die Evaluierung des Medikaments, bis zusätzliche Informationen vom Antragsteller vorliegen. Diese Vorgehensweise beeinflusst die Gesamtdauer der Verfahren.  

„Im Vergleich zu den USA haben wir durch die Organisationsstruktur der über 50 europäischen Zulassungsbehörden und der europäischen Arzneimittelbehörde EMA einen viel größeren Koordinationsaufwand. Dazu kommt, dass wir in Europa auch deutlich geringere personelle und finanzielle Ressourcen haben und einen ganz anderen Handlungsspielraum“, erklärte Günter Waxenecker, Geschäftsfeldleiter der AGES-Medizinmarktaufsicht. So habe die FDA im Arzneimittelzulassungsbereich im weiteren Sinn – derzeit noch – an die 10.000 Mitarbeiter:innen und arbeitet zentralistisch. Die EMA bietet dafür einen hohen Austausch an wissenschaftlicher und auch regulatorischer Expertise. 

„Eine schnelle Zulassung gewährleitstet allein nicht, dass Patientinnen und Patienten schnell mit neuen Arzneimitteln versorgt werden“, so Linke. Die Finanzierung durch die Kostenträger ist in Europa Ländersache, was innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten zu gravierenden Unterschieden im Zugang zu Arzneimitteln führt. „Das bedeutet, dass Arzneimittel in einigen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten oder überhaupt nicht erhältlich sind. In Ungarn kommt beispielsweise ein Produkt erst für eine Erstattung durch den Kostenträger in Frage, wenn es in mindestens drei anderen Ländern des europäischen Wirtschaftsraums bereits erstattet wird, während in Deutschland mit der Erteilung der Zulassung auch automatisch die Erstattung für die ersten sieben Monate gewährleistet ist, erläuterte Linke. (red)