Daraus ergibt sich eine Reihe an potenziellen therapeutischen Anwendungen. Bedacht werden müssen mögliche Nebenwirkungen wie Schwindel, Benommenheit, Panikattacken, psychotische Symptome, Tachykardie, Orthostase und Beeinträchtigung von Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit. Allerdings spielt die Dosis für diese Effekte erfahrungsgemäß eine maßgebliche Rolle.
Akuter Schmerz: Mit Cannabinoiden durchgeführte Untersuchungen weisen in vielen Bereichen nur einen niedrigen Evidenzgrad auf. Im akuten Schmerzmodell wurden sowohl analgetische als auch hyperalgetische Effekte beobachtet. Hier können die Substanzen nicht als wirksam bezeichnet werden. Postoperativ besteht definitiv kein Effekt.
Bei chronischen Schmerzen lässt die vorhandene Evidenz dagegen auf eine moderate Effektivität von Cannabinoiden schließen. Unbestritten ist die positive Beeinflussung der affektiven Schmerzkomponente, d. h. der individuellen Schmerzverarbeitung.
Neuropathische Schmerzen zeigen ein moderates Ansprechen auf Cannabinoide; in dieser Indikation imponieren die Substanzen nicht als Erstlinientherapie, bilden aber eine Option nach dem Ausschöpfen der Standardstrategien. Bei Fibromyalgie wurde in der Studie von Skrabek (2008) eine signifikante Abnahme der Schmerzscores bei 15 Patienten beobachtet.
Dronabinol bei Fibromyalgie: Wir fanden in einer eigenen, nicht kontrollierten Untersuchung, dass es mit Dronabinol in einer mittleren Dosierung von 3 x 6 Tropfen = 3 x 5 mg bei den Patienten mit Fibromyalgie nach ACR-Kriterien in einem Zeitraum von 6 Wochen zu einer signifikanten Verbesserung der Depression, der Müdigkeit (Fatigue-Scale) und zu einer geringen Reduktion des Schmerzscores sowie zu einer deutlichen Reduktion des Medikamentenverbrauchs kommt. Weiters trat eine Verbesserung des Schlafes hinsichtlich Qualität und Dauer ein. Die Nebenwirkungen waren leicht und benötigten keine Therapie. Unsere Untersuchung weist darauf hin, dass Dronabinol das Spektrum der Medikamente in der Behandlung von Patienten mit Fibromyalgie- Syndrom erweitern könnte. Um weitere Aussagen zu treffen, benötigen wir randomisierte, placebokontrollierte Studien.
Eine andere Untersuchung identifizierte in derselben Indikation zwar keine Schmerzbeeinflussung, aber eine deutliche Besserung der Schlafqualität. Den Autoren zufolge kommt eine niedrige abendliche Dosis von Nabilone (0,5 bis 1 mg) als Alternative zu Amitryptilin in Betracht. In einer eigenen, sich derzeit im Laufen befindenden Studie an Fibromyalgie-Patienten beobachteten wir bisher ein Ansprechen in 50 %.
Cannabinoide bei MS-assoziierten Schmerzen: Weiters konnte die Wirkung von Cannabinoiden bei MS-assoziierten Schmerzen und Spastizität demonstriert werden. Zentral ist in dieser Hinsicht die multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte CAMS-Studie, in der unter einem oralen Cannabisextrakt bzw. Delta- 9-THC gegenüber Placebo signifikante subjektive Besserungen von Schmerz und Schlafqualität verzeichnet wurden.
Auffälligerweise spiegelten sich die subjektiven Fortschritte nicht im selben Ausmaß in den objektiven Befunden wider; so wurde etwa der primäre Endpunkt (Veränderung des Ashworth- Scores nach 13 Wochen als Maß für die Spastizität) nicht erreicht. Insgesamt erscheint bei MS ein Therapieversuch mit Cannabinoiden bei Problemen mit konventionellen Medikamenten (Baclofen, Tizanidin), Blasenfunktionsstörungen und spastikassoziierten oder neuropathischen Schmerzen gerechtfertigt.
Andere neurologische Erkrankungen, bei denen positive Effekte beobachtet wurden, sind Chorea Huntington, M. Parkinson und das Tourette- Syndrom.
Im onkologischen Setting bieten sich die Substanzen als Ergänzung zu den aktuellen analgetischen Behandlungsmöglichkeiten an. Die Evidenz spricht für eine mögliche Rolle der Cannabinoide bei therapierefraktären Tumorschmerzen. Potenzielle Anti-Karzinom-Eigenschaften befinden sich in Diskussion. Auch bei nicht krebsbedingten Schmerzen im Bereich von Kopf und Wirbelsäule konnten Besserungen unter Nabilone vs. Placebo verzeichnet werden, wie die Studie von Pinsger M. et al. (Wien Klin Wochenschr 2006; 118/11-12:327-335) zeigt: Die Abnahme der Schmerzintensität war nur zum Teil signifikant, gleichzeitig fand sich aber ein Anstieg der Anzahl kopfschmerzfreier Tage und der Lebensqualität.
Fazit: Cannabinoide sind in der Schmerztherapie eine interessante Möglichkeit der Add-On-Therapie, wenn mit anderen Analgetika keine ausreichende Linderung erzielt werden kann. Der Einsatz ist aber nur bei chronischem, nicht bei akutem Schmerz indiziert.