Nach einer initialen parenteralen Behandlung mit niedermolekularen Heparinen (NMH), Fondaparinux oder unfraktionierten Heparinen (UFH) werden Vitamin-K-Antagonisten (VKA) seit vielen Jahren in der Therapie der tiefen Venenthrombose (TVT) eingesetzt. Wegen des verzögerten Wirkeintritts von VKA muss initial eine überlappende Therapie mit einer der parenteralen Substanzen durchgeführt werden. Die parenteralen Faktor-X-Inhibitoren (NMH und Fondaparinux) und auch das UFH (Faktor-II-Hemmer) benötigen Antithrombin als Kofaktor. Sowohl UFH als auch NMH haben aber keine sehr spezifische Wirkung auf Faktor IIa bzw. Xa, sondern hemmen in geringerem Ausmaß auch andere Faktoren. Im Gegensatz zu den parenteralen Substanzen greifen VKA auf verschiedenen Ebenen der Gerinnung ein und hemmen die Synthese der Faktoren II, VII, IX und X. Neben der unspezifischen Wirkung sind die schmale therapeutische Breite mit der Notwendigkeit eines regelmäßigen Monitorings, Medikamenten- und Nahrungsmittelinteraktionen, aber auch häufige Blutungskomplikationen als wesentliche Nachteile der VKA zu nennen.
In den letzten Jahren wurden verschiedene orale Faktor-IIa- und -Xa-Inhibitoren entwickelt, die Faktor IIa oder Xa jeweils spezifisch ohne Kofaktor inhibieren und ohne Dosisanpassung an einen Gerinnungs-Zielwert in einer fixen Dosis verordnet werden können. Trotzdem handelt es sich um sehr unterschiedliche Substanzen mit verschiedenen pharmakologischen Eigenschaften, die Unterschiede ergeben sich einerseits durch den Wirkmechanismus und andererseits durch die pharmakologischen Eigenschaften der jeweiligen Substanz.
Obwohl in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert wird, ob die Faktoren IIa (Thrombin) oder Xa die optimalen „drug targets“ in der effektiven Antikoagulation darstellen, ergeben sich die Vor- und Nachteile für den Patienten vor allem aus den pharmakologischen Eigenschaften der Substanzen: Antithrombotische Wirksamkeit und Sicherheit (Blutungen, Nebenwirkungen) spielen die Hauptrolle. Weitere wichtige Aspekte wie rascher Wirkungseintritt, geringes Interaktionspotenzial, Messbarkeit des gerinnungshemmenden Effekts (ohne verpflichtendes Monitoring), einfache Anwendung und Antagonisierung umschreiben weitere, wesentliche Anforderungen an ein modernes Antikoagulans. Diese wichtigen Eigenschaften von neuen Faktor-IIa- und -Xa-Hemmern wurden bzw. werden u. a. in der Behandlung von venösen Thromboembolien (VTE) in großen Phase-III-Studien untersucht, Studienergebnisse für den oralen Thrombininhibitor Dabigatranetexilat und den Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban liegen vor.
In der Behandlung von VTE wurde der Thrombinhemmer Dabigatranetexilat in 4 Phase-III-Studien untersucht (RECOVER I und RECOVER II, REMEDY und RESONATE), RECOVER I wurde 2009 (N Eng J Med 2009; 361:2342-52) publiziert, die Daten von REMEDY und RESONATE wurden im Sommer 2011 am ISTH-Kongress (Abstract) präsentiert, die Daten von Recover II wurden im Dezember 2011 am ASH-Meeting (Abstract) präsentiert.
RECOVER I, II: In der doppelblinden RECOVER-I-Studie (n = 2.539, Akutbehandlung von VTE mit Dabigatran oder Warfarin nach einer initialen parenteralen Behandlungsphase von mindestens 5 Tagen mit Enoxaparin) war Dabigatran (2 x 150 mg) gleich wirksam wie Warfarin. Der primäre Endpunkt (VTE-Rezidiv) wurde unter Dabigatran bei 30 (2,4 %) von 1.274 Patienten und unter Warfarin bei 27 (2,1 %) von 1.265 Patienten erreicht (p < 0,001 für Non-Inferiority). In der Dabigatran-Gruppe konnte in Hinblick auf Blutungen ein Vorteil gegenüber Warfarin gezeigt werden.
Die Daten der RECOVER-II-Studie bestätigen im Wesentlichen die Ergebnisse von Recover I.
REMEDY: In der REMEDY-Studie (Erhaltungstherapie mit Dabigatran oder Warfarin für zusätzliche 6–36 Monate nach einer initialen Behandlungsphase von 3–12 Monaten) war Dabigatran wiederum gleich wirksam wie Warfarin (p = 0,03 für Non-Inferiority), in Hinblick auf Blutungen ergab sich wieder ein Vorteil für Dabigatran.
RESONATE: In der RESONATE-Studie (Erhaltungstherapie mit Dabigatran oder Placebo für zusätzliche 6 Monate nach einer initialen Behandlungsphase von 6–18 Monaten) ergab sich eine 92%ige relative Risikoreduktion unter Dabigatran im Vergleich zu Placebo bei einem geringen Blutungsrisiko (5,3 % „clinically relevant bleeding“).
Fazit: Zusammenfassend kann man für Dabigatran im Vergleich zu Warfarin in der Indikation VTE von einer gleichen Wirksamkeit und einer geringeren Anzahl von Blutungen ausgehen, in der Initialphase ist jedoch eine parenterale Therapie erforderlich. Neben Blutungen sind bei Dabigatran an unerwünschten Wirkungen eine geringe numerische Erhöhung der Myokardinfarktrate (Daten aus verschiedenen Studien mit unterschiedlichen Indikationen), eine erhöhte Dyspepsierate und vermehrte gastrointestinale Blutungen zu nennen.
In der Indikation VTE wurde der Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban im EINSTEIN-Programm untersucht (EINSTEIN DVT, EINSTEIN PE und EINSTEIN Extension). Die EINSTEIN-DVT- und die EINSTEIN-Extension-Studie wurden im Dezember 2010 gemeinsam publiziert (N Engl J Med 2010; 363:2499-2510).
EINSTEIN DVT: In der offenen EINSTEIN-DVT-Studie (n = 3.449, Akutbehandlung mit Rivaroxaban oder Enoxaparin/VKA bei tiefer Venenthrombose über 3, 6 oder 12 Monate) wurde der primäre Endpunkt (VTE-Rezidiv) unter Rivaroxaban bei 36 (2,1 %) von 1.731 Patienten und unter VKA bei 51 (3,0 %) von 1.718 Patienten erreicht (p < 0,001 für Non-Inferiority). Im Gegensatz zu anderen Studien wurde in einem offenen Design Rivaroxaban von Beginn weg ohne initiale parenterale Antikoagulation mit Enoxaparin verabreicht („single drug approach“); dabei wurde Rivaroxaban in den ersten 21 Tagen in einer höheren Dosis verordnet (2 x 15 mg d1–21 gefolgt von 1 x 20 mg ab d22). Im Hinblick auf Blutungen ergab sich in dieser Studie kein Unterschied zwischen den beiden Substanzen.
EINSTEIN Extension: In der doppelblinden EINSTEIN-Extension-Studie (Rivaroxaban vs. Placebo für weitere 6–12 Monate nach einer initialen Behandlungsphase mit Rivaroxaban oder VKA von 6–12 Monaten) ergab sich eine 82%ige relative Risikoreduktion unter Rivaroxaban bei geringem Blutungsrisiko (0,7 % „nonfatal major bleedings“).
Aufgrund dieser Daten wurde Rivaroxaban in der Behandlung der TVT in der EU zugelassen.
EINSTEIN PE: Die Ergebnisse der im Studiendesign identen EINSTEIN-PE-Studie wurden kürzlich im „New England Journal of Medicine“ publiziert (zeitgleiche Präsentation am ACC-Meeting). Auch in dieser Indikation war Rivaroxaban bei insgesamt annähernd 5.000 Patienten gleich wirksam wie NMH + VKA; erfreulicherweise waren in dieser Studie „major bleedings“ um ca. 50 % im Vergleich zur Standardtherapie reduziert. Neben Blutungen sind für Rivaroxaban keine signifikant häufigeren Nebenwirkungen zu nennen, eine höhere Myokardinfarktrate wurde nicht beobachtet.
Fazit: Auch Rivaroxaban ist in der Indikation VTE wirksam und sicher, eine initiale parenterale Therapie ist bei dieser Substanz nicht erforderlich. Eine Zulassung in der Indikation Pulmonalembolie (PE) liegt noch nicht vor.
Zwei weitere Faktor-Xa-Inhibitoren werden in der Indikation VTE in derzeit laufenden Phase-III-Studien untersucht (Apixaban: Amplify VTE und Amplify VTE Extension [n > 5.000]; Edoxaban: Hokusai VTE [n = 7.500]). Die Ergebnisse dieser Studien werden für das Jahr 2012 bzw. 2013 erwartet.
ZUSAMMENFASSEND kann also festgestellt werden, dass sowohl der orale Thrombininhibitor Dabigatran als auch der orale Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban in der Behandlung der TVT (und auch der PE) wirksam un
d sicher sind. Rivaroxaban ist seit einigen Monaten in der Indikation TVT in der EU zugelassen und steht somit in der Behandlung der TVT als erste Alternative zur Standardtherapie mit NMH und VKA zur Verfügung.