Die heute verfügbare Datenlage über Ernährung bei Diabetes mellitus ist relativ umfangreich. Gleichzeitig haben sich die Empfehlungen zur Ernährungstherapie in den vergangenen Jahrzehnten stetig geändert, insbesondere der empfohlene Anteil von Fett und Kohlenhydraten an der Gesamtenergieaufnahme wird in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder kontrovers betrachtet. Dessen ungeachtet ist die Ernährung eine wichtige Grundlage in der Therapie des Diabetes mellitus.
Eine optimierte Ernährung und ein normalisiertes Körpergewicht sind wichtige Faktoren für eine bestmögliche glykämische Kontrolle und Prävention von Komplikationen des Diabetes mellitus (Mann et al., Nutr Metab Cardiovasc Dis 2004). In den letzten Jahrzehnten gab es z. T. sehr strenge Diätvorschriften für Diabetiker (Holler, J Ernährungsmedizin 2000).
In der Ernährungsberatung von Diabetikern muss zwischen Diät und dauerhaftem Ernährungsverhalten unterschieden werden. Als Diät bezeichnet man heutzutage eine kurzfristige Veränderung des Ernährungsverhaltens zur Gewichtsreduktion. Ziel der Ernährungsintervention im Rahmen der Diabetestherapie ist jedoch die dauerhafte Ernährungsumstellung. Um eine nachhaltig optimierte Ernährung zu erreichen, werden heute – viel mehr als früher – individuelle Vorlieben, Abneigungen und die persönlichen Lebensumstände in das ernährungstherapeutische Konzept mit einbezogen (Toeller, MMW Fortschr Med 2006).
Die optimale Nährstoffzusammensetzung wird immer wieder kontrovers diskutiert. Es gibt Hinweise, dass sich eine mediterrane Ernährung, reich an komplexen Kohlenhydraten aus Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst, aber auch magerem Fleisch, Fisch, Baumnüssen und pflanzlichen Ölen (Olivenöl) günstig auf den Glukosestoffwechsel auswirkt (Esposito et al., Ann Intern Med 2009; Shai et al., N Engl J Med 2008). Restriktion von Mono- und Disacchariden (Verzicht auf zuckerhaltige Limonaden) ist häufig ebenfalls ein wichtiger Faktor bei der Normalisierung des Körpergewichts und Blutzuckers (Schindler et al., Wien Klin Wochenschr 2009).
Grundsätzlich gelten für ältere Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 die gleichen Ernährungsempfehlungen wie für jüngere: Es wird eine ausgewogene Ernährung vorgeschlagen, wobei die Energieaufnahme an die körperliche Aktivität angepasst sein sollte.
Für die Proteinzufuhr existieren keine besonderen Empfehlungen. Es gilt jedoch eine Beschränkung der Proteinzufuhr bei Diabetikern mit Nierenerkrankungen (Bantle et al., Diabetes Care 2008). Allerdings ist eine ausreichende Proteinzufuhr von zentraler Bedeutung. Die aktuelle Empfehlung für die Zufuhr von Protein bei älteren Menschen beträgt 0,8 g/kg KG/Tag und entspricht somit jener für jüngere Erwachsene. In den vergangenen Jahren wurde trotz widersprüchlicher Evidenz eine Erhöhung der Proteinzufuhr diskutiert (Eidgenössische Ernährungskommission, Expert Report „Proteins in Human Nutrition“ 2011). Ein Expertengremium der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestätigte 2012, dass die empfohlene Menge von 0,8 g/kg KG/Tag unabhängig von Alter und Geschlecht als ausreichend zu beurteilen ist (EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies, EFSA Journal 2012). Bei älteren Menschen besteht häufig in Verbindung mit Erkrankungen, physiologischen Veränderungen der Sensorik, aber auch sozialen Faktoren (wie Verlust des Partners, geringer sozioökonomischer Status etc.) ein erhöhtes Risiko einer Mangelernährung. Insbesondere funktionell beeinträchtigte Menschen erreichen die Zufuhrempfehlung von Protein häufig nicht und benötigen in dieser Hinsicht daher besondere Aufmerksamkeit. Mangelernährte Senioren bzw. solche mit einem Mangelernährungsrisiko sollten die Proteinzufuhr unter Berücksichtigung der Nierenfunktion erhöhen (Arbeitsgemeinschaft Klinische Ernährung, Konsensus-Statement Geriatrie. Empfehlungen für die Ernährung des älteren Menschen in der Langzeitpflege 2010).
Der Ernährungsstatus älterer Menschen mit Diabetes mellitus ist häufig schlechter als der von Nichtdiabetikern (Turnbull et al., J Nutr Health Aging 2002). Neben kognitiven Störungen stellen Kauprobleme und sensorische Einschränkungen wichtige Risikofaktoren für Fehlernährung und damit auch für Komplikationen bei der Behandlung des Diabetes mellitus dar (Müller et al., Z Gerontol Geriat 2005).
Mit zunehmendem Alter beobachtet man darüber hinaus häufig Veränderungen des Körpergewichtes und der Körperzusammensetzung, die durch einen Verlust an Muskelmasse und der Zunahme an viszeraler und intermuskulärer Fettmasse charakterisiert sind. Bei geringer Ausprägung sind sie Ausdruck des physiologischen Alterungsprozesses (Bauer et al., Dtsch Med Wochenschr 2008). Diese Veränderungen der Körperzusammensetzung mit der im Alter zunehmenden Adipositasprävalenz führen zu einer Kombination aus Übergewicht und reduzierter Muskelmasse bzw. Muskelkraft, die als sarkopenische Adipositas bezeichnet wird. Adipositas und Sarkopenie können sich gegenseitig verstärken. Sowohl Sarkopenie als auch Adipositas sind im Alter mit Gebrechlichkeit (Frailty) assoziiert. Als Folge kommt es zu funktionellen Einschränkungen, Behinderung, Verlust an Selbstständigkeit, Beeinträchtigung des Gesundheitszustands sowie Morbidität und Mortalität (Blaum et al., J Am Geriatr Soc 2005; Zamboni et al., SGE 2009). Zudem kann ein sich wechselseitig verstärkender Teufelskreis aus krankheits- und/oder altersassoziierter Mangelernährung und Muskelabbau Gebrechlichkeit entwickeln (Bauer, Internist 2011).
Übergewichtige und adipöse ältere Menschen mit Diabetes mellitus sollten jeden unnötigen Verlust an Muskelmasse meiden. Eine Triebfeder für eine ungewollte Abnahme der Muskelmasse können die verschiedenen Crashdiäten (= unausgewogene, einseitige Ernährungsform) sein; diese sollten unbedingt gemieden werden. Wie die Arbeit von Moriguti et al. (J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2000) bereits eindrucksvoll zeigte, verlieren alte Menschen als Folge einer Nahrungskarenz Muskelmasse und können diese nur sehr eingeschränkt wieder aufbauen. Eine verminderte Wahrnehmung von Hunger wurde als möglicher kausaler Faktor identifiziert.
Eine optimierte, an die persönlichen Lebensumstände angepasste Ernährung in Kombination mit regelmäßiger körperlicher Aktivität könnte daher eine wertvolle Alternative zur alleinigen und einseitigen Essensrestriktion sein. Die körperliche Aktivität sollte an die Fähigkeiten des Menschen (z. B. kardiovaskulärer Status etc.) angepasst und das Risiko für Hypoglykämien berücksichtigt werden (Bantle et al., Diabetes Care 2008). Die Kombination aus optimierter Ernährung und Bewegung verringert in der Regel die Insulinresistenz, beeinflusst das kardiovaskuläre Risiko positiv, die Muskelmasse bleibt erhalten und letztlich wirken sie sich positiv auf die Selbstständigkeit und die Lebensqualität aus.
Wichtig ist auch anzumerken, dass zahlreiche Studien den Effekt einer Gewichtsreduktion auf die Mortalität bei Erwachsenen im höheren Alter untersuchten (Corrada et al., Am J Epidemiol 2006; French et al., Am J Epidemiol 1999; Newman et al., J Am Geriatr Soc 2001; Nilsson et al., J Intern Med 2002; Reynolds et al., J Am Geriatr Soc 1999; Zeanandin et al., Clin Nutr 2012). In den meisten Studien konnte gezeigt werden, dass die Gewichtsabnahme mit einer erhöhten Mortalität einhergeht. Anzumerken ist jedoch, dass es sich dabei um keine randomisiert-kontrollierten Studien handelt und Angaben zu Veränderungen im Körpergewicht meist auf Selbstangaben beruhen (Bales et al., J Am Med Dir Assoc 2008).
Darüber hinaus ist unbeabsichtigter Gewichtsverlust eine häufige Komplikation bei vielen schweren Erkrankungen, welche die Interpretation dieser Auswirkung auf die Mortalität widerlegen könnte. Dennoch wurde beobachtet, dass substanzieller Gewichtsverlust (> 5 %), beabsichtigt oder nicht, einen negativen prognostischen Faktor im Bezug auf die Mortalität bei über-65-jährigen hat (Newman et al., J Am Geriatr Soc 2000). Gewichtsverlust hat potenziell schädigende Auswirkungen, Sarkopenie und Verlust an Knochendichte können begünstigt werden. Deshalb bleibt verordneter Gewichtsverlust bei Älteren, vor allem bei jenen über 75 Jahre, umstritten.