Buchrezension: Verbesserung kognitiver Funktionen bei Depression

Kognitive Störungen sind bei Depression durchaus häufig, und entgegen früherer Ansicht finden sich diese nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung der PatientInnen im Sinne von Insuffizienzgefühl, sondern sind bei rund einer Hälfte der PatientInnen auch objektiv testpsychologisch nachweisbar. Die betroffenen Bereiche umfassen Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen. Der landläufige Terminus der „Pseudodemenz“ ist daher irreführend. Kausal werden unter anderem auch neuroendokrinologische Zusammenhänge diskutiert. Auch über diesen Forschungsansatz gibt das vorliegende Buch eine gut verständliche Einführung.
Interessanterweise können kognitive Störungen auch über die Remission der depressiven Symptomatik hinaus nachweisbar sein. Gerade daraus ergibt sich auch die Frage, ob ein gezieltes Training kognitiver Funktionen wirksam ist.

Empirische Studie: Szesny verfolgt in ihrer empirischen Studie das Ziel, eine Subgruppe von PatientInnen mit klinisch bedeutsam ausgeprägten kognitiven Defiziten zu identifizieren. Im Weiteren erhielten die beeinträchtigten PatientInnen (n = 39) eine gezielte Aufmerksamkeitstherapie. Es kam ein Wartelistendesign zur Anwendung. Während die Behandlungsgruppe innerhalb von zwei Wochen insgesamt 11 Stunden computerunterstütztes Aufmerksamkeitstraining erhielt, wurden die TeilnehmerInnen der Kontrollgruppe unspezifisch ergotherapeutisch betreut. Die anschließende Untersuchung erfolgte geblindet. Es ergaben sich signifikante Behandlungseffekte, die über die trainierten Bereiche der Aufmerksamkeit hinausgingen und z. B. auch in Gedächtnisaufgaben wahrzunehmen waren. Ebenso wurde das subjektiv wahrgenommene Ausmaß an Beeinträchtigung durch die Therapie günstig beeinflusst. Auswirkungen auf psychopathologische Variablen fanden sich nicht.
Weiters sollte der Einfluss der Regulation der Stresshormonachse auf das Vorhandensein kognitiver Defizite bzw. das Ansprechen auf Therapie untersucht werden. In diesem Bereich ergaben sich – teils wohl auch aus methodischen Gründen – keine signifikanten Ergebnisse, sodass die Arbeit zu dieser Fragestellung keine weitere Aussage erlaubt. Die größten Schwächen der Studie betreffen – wie auch von der Autorin selbst angeführt – die fehlende Berücksichtigung der ökologischen Validität (Sind die gewonnen Verbesserungen für die PatientInnen alltagsrelevant?) und der Nachhaltigkeit.
Das Buch ist von Interesse für Personen, die sich mit depressiv Erkrankten beschäftigen, insbesondere für klinische PsychologInnen und ErgotherapeutInnen. Aufgrund der guten Lesbarkeit und der ausgewogenen Übersicht über das vorhande Wissen im ausführlichen Einleitungsteil kann das Werk auch interessierten Laien bzw. Betroffenen empfohlen werden, wobei jedoch der hohe Preis eine weite Verbreitung behindern wird.

 

Nicole Szesny
Evaluation eines Aufmerksamkeits­trainings zur Verbesserung kognitiver Funktionen bei depressiven Patienten unter besonderer Berücksichtigung ­der Funktion der Stresshormonachse.
Herbert Utz Verlag, München 2012
(ISBN 978-3-8316-4164-2); 46 Euro