Die Sicht des Nephrologen – Behandlung von Myelompatienten mit Niereninsuffizienz

Fallbericht

Weibliche Patientin, 81 Jahre bei der Präsentation in der Notfallaufnahme:
In der Anamnese zeigt sich seit 14 Tagen rezidivierendes Erbrechen, Schwäche, Appetitlosigkeit, keine Dysurie, keine Diarrhö. Die Zuweisung erfolgte vom Hausarzt auf Grund einer Niereninsuffizienz und einer bestehenden Hyperkaliämie. In der Prämedikation finden sich lediglich ein Losartan einmal täglich sowie ein Vitaminpräparat. Als Aufnahmediagnose wurde ein akutes Nierenversagen im Rahmen eines Harnwegsinfektes gestellt. Im Harnstatus zeigte sich bei der Aufnahme eine Leukozyturie, Nitrit positiv sowie Protein ++ positiv, das Kreatinin lag bei 3,6 mg/dl entsprechend einer GFR unter 20 ml/min. Zusätzlich fanden sich eine Hyperkalzämie (2,7 mmol/l), ein erniedrigtes PTH und eine Anämie. In der weiteren Abklärung zeigte sich eine Proteinurie mit 2,5 g/24 h und eine Albumin-Kreatinin-Ratio von 44 mg/g Kreatinin. Die Immunfixation im Harn ergab eine Bence-Jones-Proteinurie (Lambda kettenquantifizierung 3,8 g). Wie in der Tab. aufgeführt, kann man differenzialdiagnostisch bei Myelomverdacht am ehesten auf eine Myelomniere (Cast-Nephropathie) schließen. Eine Leichtkettennephropathie oder Amyloidose ist eher auszuschließen. Auf Grund der dann durch Knochenmarksstanze festgestellten 40%igen Infiltration mit Plasmazellen, Bestätigung der Verdachtsdiagnose eines multiplen Myeloms Stadium IIb vom IgA-Lambda-Typ sowie entsprechender Osteolysen im Bereich der Schädelkalotte und der Röhrenknochen wurde keine Nierenbiopsie mehr durchgeführt. Es wurde die sofor – tige Therapie mit Bortezomib (Velcade®) 1 mg/m2 in Kombination mit hochdosierter Cortisongabe (Urbason 1 mg/kg KG) durchgeführt. Unter dieser Therapie kam es zur raschen Verbesserung der Nierenfunktion mit Rückgang des Kreatinins von 3,6 mg/dl auf 1,2 mg/dl nach 2 Wochen, sowie zu einer raschen Reduktion der Leichtkettenlast (Abb. 1 und 2).

 

Diskussion

Die Nierenbeteiligung im Rahmen des Myeloms findet sich bei ca. 50 % der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose, ein schweres akutes Nierenversagen mit Dialysepflichtigkeit tritt in 10 % auf, davon sind 90 % auf die hohen Konzentrationen der freien Leichtketten, der so genannten Cast-Nephropathie zurückzuführen. Freie Leichtketten können jedoch generell bei einer eingeschränkten Nierenfunktion auf Grund der reduzierten Elimination im Serum leicht erhöht sein.
Daher wurde rezent von Hutchison und Mitarbeitern vorgeschlagen, entsprechend neue Grenzwerte für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion festzulegen. Während der Normalbereich für die Leichtkettenratio 0,26–1,65 ist, wird für die Niereninsuffizienz 0,3–3,1 vorgeschlagen.
Wenn die Konzentration der klonalen freien Leichtketten im glomerulären Ultrafiltrat die resorptive Kapazität des proximalen Tubulusapparates überschreitet, kopräzipitieren die freien Leichtketten mit dem Tamm-Horsfall-Protein im distalen Tubulus. Zusätzlich haben freie Leichtketten einen direkten inflammatorischen und zytotoxischen Effekt auf die proximalen Tubuluszellen. Es wird daher von Cockwell und Mitarbeitern bei unerklärbarem akutem Nierenversagen ein entsprechender Algorithmus (Abb. 3) vorgeschlagen.
In den letzten Jahren kam es zu einer deutlichen Verbesserung des Armamentariums der Therapie des multiplen Myeloms. Bisherige Therapieregime inkludierten VAD (Vincristin, Doxorubicin und Dexamethason) oder Hochdosis-Dexamethason bis zum einem Alter von 70 Jahren mit Ansprechraten bis zu 70 %, allerdings kann die Absenkung der freien Leichtketten innerhalb der ersten Woche langsam sein. Das könnte erklären, warum nur bei wenigen Patienten mit akutem Nierenversagen und multiplem Myelom eine Wiederherstellung der Nierenfunktion gesehen wurde, da die Therapieantwort zu langsam war und damit bereits eine irreversible Nierenschädigung eingetreten war. Offensichtlich ist das Outcome beim multiplen Myelom auch abhängig von der Erholung der Nierenfunktion. Je rascher die Nierenfunktion sich verbessert, umso besser das Überleben. Und die Nierenfunktion erholt sich umso besser, je schneller die Leichtketten gesenkt werden können (Hutchison, Clinical JASN 2011).

Leichtkettenreduktion durch Plasmaaustausch oder Hämodialyse: Im Vordergrund steht die Leichtkettenreduktion durch die Tumorreduktion mittels Chemotherapie, auf der anderen Seite ist der Leichtkettenelimination mittels Plasmaaustausch oder Hämodialyse mit Spezialdialysatoren durchaus Beachtung zu schenken. Im New England Journal of Medicine wurde rezent ein Bericht präsentiert, in dem gezeigt wurde, dass durch Plasmaaustausch schnell eine komplette oder eine partielle Remission in über 80 % der Patienten erreicht werden kann und nur 14 % weiter dialysepflichtig geblieben sind (Burnett, New England Journal of Medicine 2011). Der MERiT-Trial, welcher mittlerweile abgeschlossen wurde (Rekrutierungsproblem), versucht nochmals die Frage der Leichtkettenreduktion mittels Plasmaaustausch zu evaluieren. Bisher gibt es dazu widersprüchliche Daten. Re zente Daten weisen darauf hin, dass bei dialysepflichtigen Patienten eine Leichtketten – elimination mittels einer so genannten High-Cut-off-Membran (HCO-Membran) sinnvoll erscheint. Diese Membran hat größere Poren als die High-Flux-Membran, sodass auch hier Albumin bei der Dialyse verloren geht und substituiert werden muss. Bislang gibt es unkontrollierte Studien, die eine verbesserte Erholung der Nierenfunktion unter der HCOMembran zeigen. Eine prospektive Multicenter- Studie (EuLITE-Trial), die den Benefit dieser Membran belegen soll, ist derzeit im Laufen.

Zusammenfassung

Wichtig ist, dass in vielen Fällen eine Nierenbiopsie zur Detektion der Cast-Nephropathie durchgeführt werden sollte, insbesondere wenn es um die Fragestellung des Plasmaaustauschs versus der Verwendung einer großflächigen Dialysemembran geht. Als effiziente Chemotherapie hat sich Bortezomib als First-Line- Therapie beim akuten Nierenversagen durchgesetzt. Rasche und effiziente Leichtkettenreduktion ist mit besserem renalen Outcome assoziiert. Die Verfahren, die derzeit dazu verwendet werden, sind die Dialyse mit HCO-Membran (in kleinen Fallzahlen gute Ergebnisse, EuLITE- Studie läuft), zum Plasmaaustausch fehlen derzeit noch die Studien. Die Frage bleibt, ob große randomisierte Studien diesbezüglich überhaupt unternommen werden; falls überhaupt, dann nur akademisch initiiert.