Die Allergologie als die Wissenschaft von der Erkennung und Behandlung allergischer Erkrankungen muss naturgemäß interdisziplinär ausgerichtet sein. Neben der klinischen Erfahrung mit den verschiedenen organbezogenen Erkrankungen erfordert die Allergologie die Kenntnis der Mechanismen fehlgeleiteter Immunreaktionen sowie profundes Wissen um die auslösenden und unterhaltenden Faktoren aus der Umwelt. Wichtig für die Betroffenen sind zielführende diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Aber auch korrekte primär-, sekundärund tertiärpräventive Beratung und Unterstützung tragen entscheidend zum Befinden des Allergiepatienten bei.
In den meisten Industrieländern gibt es einen eigenen Fachspezialisten für allergische Erkrankungen. Im deutschsprachigen Raum ist dies anders: In Deutschland gibt es seit 1970 die Zusatzbezeichnung „Allergologie“ – eine Bezeichnung, die wenig aussagt, nicht wirklich befriedigend und derzeit Anlass für heftige Diskussionen ist. In der Schweiz gibt es seit wenigen Jahren einen Zweitfacharzt für Allergologie, der allerdings überwiegend internistisch ausgerichtet und schwierig zu erlangen ist, sehr selektiv vergeben und deswegen von fast niemanden angestrebt wird. Es gibt nur eine Handvoll Dermatologen an den Kliniken, die ihn erwerben konnten.
Und in Österreich, der Insel der Seligen? Die Dermatologen haben als Erste in der Nachkriegszeit erkannt, dass sich hier ein neues, interessantes Arbeitsgebiet entwickelt. Frau Dr. H. Ebruster hat an der I. Wiener Universitätshautklinik als Erste im europäischen Raum Prick-Testungen mit Inhalationsallergenen durchgeführt. Die Allergologie war in den 1970er- und 1980-Jahren fixer Bestandteil der Ausbildung an den dermatologischen Abteilungen. In der Zwischenzeit hat sich dies aber dramatisch geändert – nicht offiziell und auch nicht auf einen Schlag, sondern schleichend. Der Anteil der jungen Dermatologinnen und Dermatologen, der nicht wirklich das in der Ausbildung mitbekommen hat, was man als fundierte allergologische Ausbildung einstufen kann, ist mittlerweile sehr groß. Und während noch vor 20 Jahren viele Dermatologen in der Praxis gute Ansprechpartner für Kontaktekzeme, die allergologischen Aspekte von Neurodermitis und Typ-1-Allergien waren, ist davon heute in vielen Praxen nicht mehr viel übrig geblieben. Natürlich gibt es Ausnahmen und die Situation ist von Bundesland zu Bundesland deutlich unterschiedlich. Vor einem Problem steht allerdings zwischenzeitlich der allergische Patient in allen deutschsprachigen Ländern: Betrachtet er das Ordinationsschild oder die Homepage des Hautarztes, weiß er nicht, ob er bei diesem mit einer komplexen allergologischen Fragestellung gut aufgehoben sein wird oder nicht!
Fakt ist überdies, was im Weißbuch zur Allergie in Deutschland schon vor 10 Jahren festgehalten wurde: dass der beachtliche allergologische Standard aus berufsrechtlichen Gründen nur unzureichend für die qualitative Versorgung der Bevölkerung genutzt werden kann. Wie kann man dem entgegentreten? In Deutschland wird zwischenzeitlich von namhaften Dermatoallergologen die Einführung eines Facharztes für Allergologie favorisiert. Weil es so nicht weitergehen kann! Wenn hier in Österreich jeder Dermatologe auch Allergologe ist, dann sollte er auch entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten aufweisen. Diese müssen gelehrt werden, da ist Fortbildung erforderlich. Spezialisten haben wir (noch) in den meisten Ausbildungseinrichtungen – allerdings nicht in allen! Aber vielfach hat die Allergologie nicht (mehr) den Stellenwert, um allen Auszubildenden adäquat vermittelt zu werden: Das allergologische Wissen ist explodiert, aber im Kopf vieler Dermatoallergologen nicht angekommen.
Allergien gehören zu den großen gesundheitlichen Herausforderungen unserer modernen Gesellschaft. Obwohl allergische Erkrankungen seit Jahrhunderten bekannt sind, besteht kein Zweifel daran, dass sie in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen haben – und dieser Trend hält weiter an. Parallel dazu ist auch das Wissen zu Pathogenese, Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen deutlich gewachsen. „Nebenbei“ geht da nichts mehr.
Um die Situation in Österreich zu verbessern, wurde auf Initiative von Dieter Kraft und Heinz Kofler sowie etlichen anderen in den 1980er- und 1990er-Jahren in Richtung Subfacharzt gearbeitet – die Bemühungen waren vergebens. Seit Entwicklung der Spezialisierungsordnung der Ärztekammer haben Klein, Wöhrl und andere diese Spezialisierung angestrebt. Dieses Bemühen wurde vom Vorstand der Gesellschaft akzeptiert und unterstützt, die Ärztekammer forderte ein interdisziplinäres Vorgehen, was auch nachvollziehbar ist. In vielen Diskussionsrunden wurde schließlich gemeinsam mit den Lungenärzten, den HNO- und den Kinderärzten im Jahr 2010/11 eine Einigung erzielt, wobei derzeit wiederum die Ärztekammer auf die Bremse tritt und auch die Pädiater nicht genau wissen, was sie eigentlich wollen – einen eigenständigen Weg oder einen gemeinsamen. Der interdisziplinäre Weg wurde in der Zwischenzeit von allen beteiligten Fachgruppen als Notwendigkeit anerkannt. Dass überdies Verbesserungen und eine Qualitätssicherung für die Patientenversorgung erforderlich sind, hat auch die Ärztekammer schon erkannt. Dazu ist eine Verbesserung der allergologischen Aus-, Weiter- und Fortbildung zu fordern. Die Qualitätssicherungsmaßnahmen sind zu verbessern, ein mehrstufiges Vorgehen (Hausarzt, Facharzt, Spezialist) ist unumgänglich, einschließlich einer Definition der Schnittstellen, um die bestmögliche Versorgung sicherzustellen. Durch Vermeidung der aktuellen üblichen Mehrfachdiagnostik wären neben den medizinischen auch ökonomische Vorteile zu erwarten.
Was könnte diese Spezialisierung bewirken? Keinem Dermatologen in der Praxis soll irgendetwas weggenommen werden, was er derzeit (gut) macht. Die Spezialisten sollen das Spezialwissen an den Ausbildungseinrichtungen vertreten, lehren, weitergeben und damit die Allergologie unter anderem in der Dermatologie halten. Gelingt keine Trendumkehr, so wird der eigenständige Facharzt für Allergologie unabwendbar sein; dann wird der Dermatologe in der Praxis möglicherweise durch die Finger schauen.
Somit zurück zur Frage: Brauchen wir einen Spezialisten? Keinen zu haben ist schlecht für die Ausbildungsstätten und die große Anzahl an allergischen Patienten. Dies wird unweigerlich früher oder später zur Etablierung eines eigenständigen Facharztes führen – auf Kosten der Dermatologie. Zuletzt sei noch die Frage erlaubt: Wer fürchtet sich eigentlich vor einer fundierten Aus- und kontinuierlichen Fortbildung durch ausgewiesene Spezialisten der Allergologie? Und warum?