Sie haben den Gesetzesentwurf der ehemaligen Justizministerin Bandion-Ortner in einem „Presse“-Kommentar vor einigen Monaten als populistischen Hüftschuss bezeichnet. Was daran ist das Populistische?
Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Körtner: Das Populistische daran ist, dass moralische Bedenken hinsichtlich Schadenersatzforderung bei unerwünschter Geburt und das Unbehagen rund um das Problem der Spätabtreibung mit einem Federstrich weggewischt werden sollten, ohne dass man flankierende sozialpolitische Maßnahmen überlegt hat. Diese waren bloß angekündigt, aber überhaupt noch nicht festgelegt.
Zweitens wäre dieser Entwurf nicht auf Lebensschutz, sondern auf Ärzteschutz hinausgelaufen, weil er im Ergebnis keine einzige Abtreibung wirklich verhindert hätte, sondern nur bedeuten würde, eine bestimmte Berufsgruppe der Ärzte aus der Sorgfaltspflicht und ihrer Haftungsverpflichtung zu entlassen.
Der Gesetzesentwurf wurde immer wieder mit dem vermeintlich wohlmeinenden Argument begründet, ein Mensch könne niemals ein Schaden sein. Die Diskussion lief lange Zeit um den Begriff „Kind als Schaden“ …
Dieser Begriff wird immer wieder kolportiert, was die Sache natürlich nicht richtiger macht. Der OGH hat in den strittigen Erkenntnissen niemals Kinder selbst als Schaden bezeichnet, sondern nur allfälligerweise den finanziellen Aufwand zur Aufzucht eines behinderten Kindes, sei es nun der Mehraufwand oder der gesamte Aufwand. – Die Höhe der zugestandenen Entschädigung konnte sich übrigens immer nur an dem bemessen, was eingeklagt worden war.
Diskutieren kann man über die Frage, ob es andere Möglichkeiten als ausschließlich das Schadensersatzrecht gibt, um Eltern von behinderten Kindern finanzielle Erleichterungen zu verschaffen. Eine Möglichkeit wäre die in den letzten Wochen angedachte Versicherung entsprechend der Art einer Unfallversicherung für auf diesem Gebiet tätige Ärzte. Diese Versicherung würde im Zweifelsfall, wenn ein Schaden entsteht, zunächst einmal einspringen, sodass betroffene Eltern, die sich geschädigt fühlen, leichter zu Geld kommen könnten. Natürlich müsste man über die Größenordnung des mutmaßlichen Finanzvolumens sprechen – das kann ich im Moment nicht abschätzen.
Wie stünde es um die Haftung des Arztes im Rahmen eines solchen Fonds- bzw. Versicherungsmodells?
Ich würde es grundsätzlich für richtig halten, dass diese Institution ihrerseits auch wieder prüft, ob Regressforderungen an die betroffenen Ärzte zu stellen sind. Denn bei jenen Fällen, die jetzt bei den Gerichten zur Entscheidung anstanden, handelte es sich ja nicht – wie oft auch insinuiert wurde – um irgendwelche Grenzfälle, bei denen es schwer war, eine richtige Diagnose zu stellen. Hier ging es um Fälle, wo nachweislich doch ein schwerer Kunstfehler begangen worden ist.
Wie beurteilen Sie nun eine allfällige Haftungsfreistellung für die ganze Berufsgruppe der Pränataldiagnostiker aus ethischer Sicht?
Genauso wichtig aus ethischer Sicht, wie man jede Form von Diskriminierung von Menschen mit Behinderung oder ihren Angehörigen unterbinden will, finde ich es, dass Ärzte angehalten werden, ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen. Die sorgfältige Diagnose und Beratung sind eben exakt der Gegenstand des Behandlungsvertrages im Bereich der Pränataldiagnostik. Aus der gut gemeinten Absicht heraus, Menschen mit Behinderungen vor Diskriminierung zu schützen, können nicht bei einer Ärztegruppe weniger strenge Maßstäbe an die Qualität ihrer Arbeit angelegt werden. Das wäre auch unethisch.
Mit dem Gesetzesentwurf sollte wohl eine Hintertür geöffnet werden, um die embryopathische Diskussion zu kippen …
Ja, in all den Diskussionen der vergangenen Jahre um den vermeintlichen Schaden, den ein Kind darstellt, ist meines Erachtens immer die Frage im Hintergrund gestanden, ob die embryopathische Indikation gestrichen werden sollte. Es wurde nur meistens nicht offen deklariert.
Bereits im Jahr 2001 hat sich jedoch eine Arbeitsgruppe beim damaligen Ministerium für Soziales und Generationen mit der Frage „embryopathische Indikation“ befasst und sich mit großer Mehrheit gegen deren Streichung ausgesprochen. Dieses Ergebnis wurde jedoch in der Öffentlichkeit nicht breit rezipiert und scheint auch in der Politik in Vergessenheit geraten zu sein.
Aber würde man den Weg, den die ehemalige Justizministerin Bandion-Ortner vorgeschlagen hat, konsequent zu Ende denken, käme man gar nicht darum herum, die Diskussion über die embryopathische Indikation bzw. über das geltende Abtreibungsrecht wieder aufzurollen. Darüber hinaus müsste dann auch ganz grundsätzlich über die Zulässigkeit der Pränataldiagnostik diskutiert werden. Denn es wäre ja ein gewisser Widerspruch, auf der einen Seite allfällige Schadenersatzansprüche mit einem Federstrich mit einem Zusatz im Gesetz abzuweisen, auf der anderen Seite aber Krankenanstalten per Gesetz dazu zu verpflichten, entsprechende Einrichtungen der Pränataldiagnostik vorrätig zu halten, die dann natürlich auch gewissen Qualitätsstandards genügen müssen.
Von manchen wurde argumentiert, dass ein allfälliger Schadenersatzanspruch bei fehlerhafter Pränataldiagnose schon deshalb gar nicht rechtmäßig sein könne, weil sich als Konsequenz an die Diagnose eine immer noch rechtswidrige, wenn auch straffreie Handlung – nämlich der Abbruch – angeschlossen hätte.
Ich folge hier jenen Juristen, die sagen, dass nach herrschender Lehre in unserem österreichischen Strafrecht der Schwangerschaftsabbruch rechtlich zulässig ist – wenn die entsprechenden Kriterien eingehalten werden –, andernfalls müssten im Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz die entsprechenden Bestimmungen anders lauten.
Die Diskussion um den Gesetzesentwurf führt unweigerlich zur rechtlichen bzw. auch ethischen Beurteilung des Schwangerschaftsabbruchs.
Ich unterscheide hier zunächst zwischen einer ethischen oder sittlichen Bewertung des Schwangerschaftsabbruches und unseren rechtlichen Regelungen und ihrer möglichen ethischen Begründung. Wir müssen davon ausgehen, dass der Schwangerschaftsabbruch in Österreich rein rechtlich betrachtet grundsätzlich zulässig ist, und zwar ohne weitere Angabe von Gründen allein aus der autonomen Entscheidung der Frau heraus innerhalb der 3 Monate, die die Fristenregelung vorsieht, danach eben bei Vorliegen der entsprechenden Verdachtsmomente. Wenn dann zusätzlich in den öffentlichen Krankenhäusern auch noch Pränataldiagnostik angeboten wird, dann bedeutet das auch, dass werdenden Müttern die Möglichkeit eingeräumt wird, bei entsprechendem Befund eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Wenn man das gesetzlich so geregelt hat, dann sehe ich rein rechtlich betrachtet keinen Grund, warum ausgerechnet in diesem Feld der Medizin Schadenersatzforderungen auszuschließen sein sollen.
Auf der ethischen Ebene stellt sich für mich die Sache noch einmal anders dar: hier müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der medizinische Fortschritt auf dem Gebiet der pränatalen Diagnostik ambivalente zwiespältige Folgen nach sich zieht.
Wie würden Sie diesen Zwiespalt der Pränataldiagnostik beschreiben?
Auf der einen Seite verbessert die Pränataldiagnostik die vorgeburtliche Medizin – für die Frau wie auch für das Kind. Sie ermöglicht u. U. schon eine vorgeburtliche Therapie am Kind und auch die Planung entsprechender medizinischer Maßnahmen für die Zeit nach der Geburt. Diese positiven Aspekte kommen in der Diskussion um die Pränataldiagnostik insgesamt zu kurz. Auf der anderen Seite gerate ich durch vermehrtes Wissen vor der Geburt des Kindes auch vermehrt in ethische Konflikte, die ich nicht hätte, wenn ich gar nicht wüsste, wie es um das Kind steht.
Das ist die Ambivalenz, die ich sehe. Aber deswegen können wir die Pränataldiagnostik nicht in Bausch und Bogen verurteilen oder gar verbieten. Die Konsequenz ist, dass wir mit diesem Zuwachs an Informationsmöglichkeiten und dem damit verbunden Zuwachs an Verantwortung werden leben müssen. Der Fortschritt in der Medizin schafft viele neue Möglichkeiten in der Therapie, bringt uns aber auch neue ethische Konflikte, in der Pränataldiagnostik wie auch in vielen anderen Bereichen, etwa der Intensivmedizin.
Kann man diese ethischen Dilemmata vermeiden?
Nein, ich halte es für einen Trugschluss, zu glauben, wir könnten uns – und das ist noch einmal eine andere Bewertung als die rechtliche – vor ethischen Dilemmata schützen, indem wir einfach den gesetzlichen Rahmen verändern. Die generelle Problematik ist, dass wir es hier mit Schwangerschaftskonflikten zu tun haben, bei denen letztlich die Frage „abtreiben oder nicht abtreiben?“ im Raum steht. Diese werden wir nicht dadurch aus der Welt schaffen, dass wir an einer Stelle in das Schadenersatzrecht eingreifen.
Das Leben ist nicht frei von Widersprüchen. Nicht nur die Rechtsordnung mag Wertungswidersprüche enthalten – und es mag immer wieder gute Gründe geben, die Rechtsordnung zu reformieren –, das Leben selbst stellt uns vor widersprüchliche Situationen.
Natürlich ist es aus Sicht des moralischen Empfindens, aus Sicht des Ethikers, sehr paradox, wenn Eltern, damit sie ihrem Kind alles erdenklich Gute tun können, überzeugend argumentieren müssen, sie hätten, wenn sie um die Schwere der Behinderung gewusst hätten, die vorgeburtliche Tötung dieses Kindes vornehmen lassen. Das ist ein moralisches Dilemma, aber ich löse es nicht durch einen Eingriff ins Schadenersatzrecht.
Wo sehen Sie gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf?
Eine Antwort kann für mich darin bestehen, auf die Qualität der Beratung im Zuge der Pränataldiagnostik größeren Wert zu legen. Ohne gleich, wie etwa in Deutschland, eine Pflichtberatung bei allfälligem Abtreibungswunsch einführen zu wollen, ist hier sicher ein gewisser Nachbesserungsbedarf gegeben.
Wichtig ist mir, dass das Lebensrecht von Menschen mit Behinderung uneingeschränkt bejaht und ihre Lebensqualität verbessert wird. Hier haben wir sicher sozialpolitische Hausaufgaben zu erledigen. Aber auf der einen Seite einen neuen Fonds anzukündigen, ohne zu wissen, woher das Geld kommen soll, während gleichzeitig jetzt lebenden Menschen mit Behinderung Sozialleistungen gekürzt werden, ist paradox.
Sosehr ich für das Lebensrecht von Menschen mit Behinderung eintrete und so sehr ich wirklich beklage, dass kaum mehr Menschen mit Down-Syndrom zur Welt kommen: Das Schadenersatzrecht abzuschaffen ist kein Ersatz für eine solide Sozialpolitik, die wir an dieser Stelle bräuchten, sondern einfach eine Form von Symbolpolitik. Hier werden nicht die Menschen in den Blick genommen, sondern irgendwelche abstrakten Werte, die auf dem Rücken von Betroffenen verteidigt werden. Und unter Umständen wären es dann gerade die, für die man zu sprechen meint, die am Ende die Zeche mitzahlen müssten.