Der viszerale Schmerz unterscheidet sich in mancher Hinsicht vom somatischen Schmerz wie etwa in der sensorischen Innervation (Abb. 1) und der daraus resultierenden Schmerzcharakteristik: Viszerale Schmerzen sind schlecht lokalisierbar, diffus, kolikartig, häufig im Bereich der Mittellinie des Abdomens. Weiters kann es zu einer Projektion („referred pain“) in die so genannten Head’schen Zonen (Abb. 2) kommen; dies aufgrund der spinalen segmentalen Verschaltung von sensorischen viszerosomatischen Nerven der abdominalen Organe und des Peritoneums. Viszerale Schmerzstimuli verursachen auch unspezifische somatomotorische und starke vegetative Reaktionen.
Ein weiterer Unterschied besteht in den schmerztherapeutischen Möglichkeiten. Sie richten sich natürlich primär nach der Schmerzursache. Akute kolikartige Schmerzen werden am besten mit Nicht-Opioid-Analgetika wie Paracetamol, Butylscopolamin und Metamizol behandelt. Bei chronischen viszeralen Schmerzen sind aber auch schwache und starke Opioid-Analgetika sinnvoll. Opioid-Analgetika sind aufgrund ihrer Beeinflussung der glatten Muskulatur, vor allem bei kolikartigen Schmerzen mitunter kontraindiziert (Gallenkolik – Kontraktion des Sphincter Oddi). Als zusätzliche Möglichkeit bietet sich bei gewissen chronischen viszeralen Schmerzen die interventionelle Schmerztherapie in Form von Sympathikusblockaden (Plexus coeliacus) an (Abb. 1).
Anamnese: Männlicher Patient, 55 a, BMI 24, verheiratet, Kinder teilweise im Haushalt, pensioniert. Gürtelförmige, in das gesamte Abdomen ausstrahlende Schmerzen seit etwa 5 Jahren, diese einerseits krampfartig, aber auch ständig drückend. Diese sind nicht provozierbar, wie zum Beispiel durch körperliche Aktivität oder Nahrungsaufnahme.
Schmerzen momentan: VAS 6, maximal VAS 9, PainDETECT 16 Punkte, HADS (Hospital Anxiety and Depression Scale) Depression 15 Punkte, Angst 8 Punkte. Durchschlafstörung schmerzbedingt, insgesamt gibt der Patient an, aber sehr müde und abgeschlagen zu sein (medikamentenbedingt).
Der Patient war bisher 24-mal stationär wegen rezidivierender Pankreatitiden, erste Pankreatitis 1997 (äthylische Genese verneint der Patient), mehrere Intensivstationsaufenthalte, 2004 Pankreasteilresektion und Milzexstirpation, seit 2004 IDDM, 2006 weitere Pankreasteilresektion und Cholezystektomie, schließlich 2009 Rest-Pankreatektomie und Magenteilresektion (B II).
Medikation: Transtec® TTS 140 μg/h, Hydal® 2,6 mg 2–4 x 2 Tabletten tgl., Novalgin® 4 x 40 gtt, Buscopan® 4-6 x 2 Tabletten tgl., Ixel® 2 x 1, Insulin Basis/Bolus, Kreon®, Allopurinol®, Micordis®, Bezofibrat®, Norvasc®, Pantoloc®.
Versuchte schmerztherapeutische Maßnahmen: Hydromorphon (Hydal®), Pregabalin (Lyrica®), Mefenaminsäure (Parkemed®).
Status praesens: Erstmalige Vorstellung Juli 2011. Guter AZ und EZ, blande OP-Narbe quer über das gesamte Abdomen reichend, dynamische Allodynie unterhalb der Narbe, Hoffmann-Tinel negativ, Druckschmerz im linken Unter- und Oberbauch, keine Resistenzen tastbar. Pupillen mittelweit, Vigilanz gut.
Diagnosen: Chronischer viszeraler Schmerz, neuropathischer Narbenschmerz
Therapien: Seit 2004 Opioidschmerztherapie mit steigenden Opioiddosen, zusätzlich Koanalgetika. Im April 2011 Plexus-coeliacus-Testblockade. Diese verlief positiv mit Bupivacain. Daraufhin Alkoholneurolyse mit 30 ml Äthanol 50 % des Plexus coeliacus. Der Patient war etwa 3 Wochen schmerzarm (VAS 4–5), nach Zunahme der Schmerzquantität neuerliche Alkoholneurolyse mit nur geringer Verbesserung. Keine Nebenwirkungen. In den darauffolgenden Wochen wieder Zunahme der viszeralen Schmerzen auf das Ausgangsniveau. Neuropathische Schmerzkomponente im Narbenbereich unverändert.
Vorstellung des Patienten bei unserem psychologischen Dienst zur Evaluierung einer somatoformen Schmerzkomponente, insbesondere im Hinblick auf weitere interventionelle schmerztherapeutische Maßnahmen (wie schon im HADS abgebildet, geringe bis keine Angstkomponente bei starker depressiver Grundstimmung, ein Krankheitsgewinn insbesondere intrafamiliär vorhanden, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung aber unwahrscheinlich; die Initiierung einer Psychotherapie oder Teilnahme an schmerztherapeutischen Entspannungsgruppen wurde vom Patienten abgelehnt).
Frustraner Versuch, die Narbenschmerzen (dynamische Allodynie mit geringer Wärmehyperalgesie, ohne mechanischer Hyperalgesie in der QST [Quantitative Sensorische Testung]) mit hochdosiertem Capsaicin-Patch 8 % (Qutenza®) zu verbessern. Im September 2011 stationäre Aufnahme zur Implantation eines intrathekalen Katheters mit Port und externer Medikamentenpumpe zur Austestung einer intrathekalen Schmerzmitteltherapie (IDD – Intrathecal Drug Delivery).
Beginn mit 1,4 mg Morphiumhydrochlorid intrathekal pro Tag, bei gleichbleibender transdermaler und oraler Schmerztherapie. Reduktion der Schmerzquantität in Ruhe auf VAS 2 und bei Bewegung maximal VAS 5, der Patient berichtet auch über eine Verbesserung der dynamischen Allodynie.
Synchrone Steigerung der intrathekalen Opioid-Dosierung und Ausschleichen der transdermalen Opioid-Medikation. Nach einer Woche intrathekal 4,0 mg Mo./24 h, transdermale Opioid-Medikation sowie orale Opioid-Rescuemedikation beendet. 1–2-mal täglich noch 30 gtt Novalgin®. Schmerzsituation im Schmerztagebuch stabil bei VAS 1–2 mit Schmerzspitzen bis maximal VAS 4. Implantation einer mechanischen intrathekalen 20-ml-Medikamentenpumpe (Synchromed®; Firma Medtronic), Befüllung mit 20 ml Morphiumhydrochlorid 2 %.
Die initial vom Patienten angegebenen gürtelförmigen Schmerzen während der nächsten 12 Monate stabil bei VAS 0–2, die neuropathische Schmerzkomponente (dynamische Allodynie) subjektiv nicht mehr wahrnehmbar. In der QST 50-prozentige Reduktion der Allodynie. Die intrathekale Medikamentendosierung blieb stabil bei 4 mg/die Morphiumhydrochlorid, keine zusätzliche Schmerzdauermedikation bis auf 1–2-mal wöchentlich Novalgin® 30 gtt. Die Schlafqualität verbessert, gelegentliche Beinkrämpfe, keine Müdigkeit.
Conclusion: Dieser Fall schildert im Grunde genommen das gesamte Repertoire an schmerztherapeutischen Möglichkeiten bei chronischen viszeralen Schmerzen. Wie bei allen chronischen Schmerzpatienten ist zu Beginn die genaue Evaluierung der Schmerzqualität (hier neuropathische Schmerzen mit chronischen viszeralen Schmerzen) eine Conditio sine qua non. Aufgrund des sehr protrahierten Krankheitsverlaufs des Patienten ergeben sich sowohl medikamentöse Therapiemöglichkeiten mit Nicht-Opioid-Analgetika (Metamizol, Butylscopolamin) und mit Opioid-Analgetika (Hydromorphon, Buprenorphin) als auch die invasiven und interventionellen. Insbesondere bei operativ nicht zugänglichen viszeralen Schmerzen bei inoperablem Pankreaskarzinom ist eine chemische Neurolyse des Plexus coeliacus einer exzessiven medikamentösen Schmerztherapie vorzuziehen. Als Ultima ratio blieb in diesem Fall die intrathekale Schmerzmittelgabe, die eine bereits ein Jahr dauernde stabile, nebenwirkungsarme und zufriedenstellende Schmerzsituation des Patienten bei ebenso stabiler Opioid-Dosierung brachte.