Entscheidungsfindung bei BRCA-Mutation: Früherkennung vs. Prophylaxe


Das Mammakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung der Frau mit einer Lebenszeitinzidenz von ca. 12,5 %, d. h. jede 8. Frau wird im Laufe ihres Lebens daran erkranken (Jahrbuch der Gesundheitsstatistik, Statistik Austria 2007).
Für einen kleinen Prozentsatz von ca. 5 % aller Brustkrebserkrankungen sind angeborene genetische Veränderungen im Brustkrebsgen 1 (BRCA-1) bzw. Brustkrebsgen 2 (BRCA-2) ursächlich. Bei weiteren 5 % liegen Hinweise auf Mutationen in derzeit noch unbekannten Genen vor (Schmutzler et al., 2008). Wenn jedoch eine BRCA-1/2-Mutation molekulargenetisch nachgewiesen wurde, steigt das Risiko der betroffenen Frau, an Brustkrebs zu erkranken, auf bis zu 85 % an (Kroiss et al., 2005).

BRCA-Mutationsträgerinnen müssen eine wichtige, komplexe und gleichzeitig sehr schwierige Entscheidung treffen: Sie haben die Wahl zwischen intensivierten Früherkennungsuntersuchungen, welche non-invasiv und reversibel sind, jedoch eine Karzinomerkrankung nicht verhindern können. Hier ist es besonders wichtig, stets von Früherkennungsuntersuchungen zu sprechen und keinesfalls den Begriff „Vorsorge“ zu verwenden, welcher implizieren könnte, dass damit eine Erkrankung verhindert werden könnte. Das Ziel der intensivierten Früherkennung ist es, eine Brustkrebserkrankung früh zu detektieren und damit die Therapie und Prognose verbessern zu können. Oder sie entscheiden sich für eine vorbeugende Entfernung des Brustdrüsengewebes (prophylaktische Mastektomie), um damit das Brustkrebsrisiko maximal auf unter 10 % zu reduzieren (Hartmann et al., 2001; Meijers-Heijboer et al., 2001) – allerdings für den Preis der Entfernung eines (derzeit) noch gesunden Organs. Die prophylaktische bilaterale Mastektomie ist ein invasiver, irreversibler Eingriff, welcher mit einer postoperativen Nachsorge, Rekonvaleszenzzeit und mitunter mehrmaligen operativen Eingriffen, z. B. Rekonstruktion der Brustwarzen, verbunden sein kann. Hier gilt es, vorab jedenfalls die Erwartungshaltung der Frau zum kosmetischen Endergebnis, zur Haptik, Sensorik abzuklären und bei Wunsch auch den Partner in die ärztlichen Informationsgespräche einzubinden. Den oftmals stellt sich auch für den Partner die Frage, wie eine rekonstruierte Brust aussehen, sich anfühlen wird, wie sich dadurch die gemeinsame Sexualität ändern wird. Nicht selten bleiben Partner von BRCA-Mutationsträgerinnen mit diesen Fragen, welche massiv belastend erlebt werden können, alleine. Deshalb ist es wichtig, von professioneller Seite dieses Angebot proaktiv zu geben. 


Multidisziplinäres Beratungsgespräch bereits vor der genetischen Untersuchung: Wichtig ist für genetisch Ratsuchende zu wissen, dass bereits vor der genetischen Untersuchung mittels Blutabnahme in einem multidisziplinären Beratungsgespräch mögliche medizinische und psychosoziale Konsequenzen bei Vorliegen einer BRCA-Mutation ausführlich besprochen werden. Ziel dieses Gesprächs soll sein, den Ratsuchenden bereits vor dem Ergebnis die zwei grundsätzlich möglichen Wege – intensivierte Früherkennung vs. Prophylaxe – vorzustellen.

Wenn eine genetisch ratsuchende Frau in ihrem molekulargenetischen Untersuchungsbefund liest, dass sich durch Mutationen in BRCA-1 das Brustkrebsrisiko auf 70–90 % erhöht und das Eierstockkrebsrisiko auf 45 bis 60 %, dann führt dies verständlicherweise zu mitunter massiven Angstgefühlen.

  • Gesunde BRCA-Mutationsträgerinnen: Bei vielen gesunden Trägerinnen steht die Angst vor der Erkrankung im Zentrum. Die Betroffenen fühlen sich (und sind) derzeit gesund, wissen aber, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe ihres Lebens erkranken werden.Einen wesentlichen Einfluss darauf, wie die Frauen diese psychische Belastung bewältigen, hat die eigene Familiengeschichte. Beispielsweise haben viele Frauen, die eine BRCA-Mutation tragen, miterlebt, wie Familienmitglieder an einem Mamma- oder Ovarialkarzinom gelitten haben oder verstorben sind, oft ihre Mütter, Großmütter oder Schwestern. Nicht wenige gesunde BRCA-Mutationsträgerinnen sind überzeugt, dass sie mit einem ganz bestimmten Alter erkranken werden. Auf Nachfrage stellt sich meist heraus, dass dies das Alter ist, in dem bei der Mutter oder einer anderen wichtigen Bezugsperson die Erkrankung diagnostiziert wurde. Auf der anderen Seite kann ein Familienmitglied, das die Krankheit überlebt hat und gut damit umgehen kann, ein wichtiges positives Rollenvorbild darstellen.
    Gesunde BRCA-Mutationsträgerinnen, welche einen prädiktiven Gentest durchführen ließen, haben allerdings die Chance, selbstbestimmt ihre weiteren Entscheidungen zu planen – eine Chance, die mitunter andere Familienmitglieder nicht hatten.
  • Erkrankte Trägerinnen haben bereits Erfahrungen mit Krebs. Das kann gewissermaßen von Vorteil sein, da die Angst vor dem Ungewissen wegfällt und die Patientinnen auch wissen, dass die Krankheit nicht zwangsläufig tödlich verläuft. Es kann sich aber auch nachteilig auswirken, besonders wenn die Krankheit bzw. Behandlung traumatisch erlebt wurde oder bleibende Folgen hatte. Insgesamt ist NICHT davon auszugehen, dass erkrankte BRCA-Mutationsträgerinnen grundsätzlich weniger belastet sind als gesunde Trägerinnen!
    Mitunter erleben bereits erkrankte BRCA-Mutationsträgerinnen den Nachweis einer genetischen Veränderung längerfristig auch als Entlastung, da damit eine Erklärung für die eigene Erkrankung bzw. die familiäre Erkrankungshäufung gegeben werden kann. Was bleibt, ist allerdings die Sorge um die eigenen Kinder, welche mit 50%iger Wahrscheinlichkeit unabhängig vom Geschlecht ebenfalls die BRCA-Mutation geerbt haben können.

Belastungsprävention: Um die psychosoziale Belastung durch ein BRCA-Mutationsergebnis möglichst gering zu halten, sollten die wichtigsten Themen bereits vor der genetischen Untersuchung angesprochen werden, wie z. B. konkrete medizinische Konsequenzen bzw. damit verbunden Gefühle. So haben die genetisch Ratsuchenden die Möglichkeit, sich in geschütztem Rahmen damit auseinanderzusetzen und außerdem in der Wartezeit auf das Ergebnis weiter darüber nachzudenken. Je nach der individuellen Lebenssituation sind folgende Fragen von Bedeutung:


  • Wie würde die Patientin vermutlich auf ein ungünstiges Untersuchungsergebnis emotional reagieren?
  • Was würde sich in ihrem Leben ändern?
  • Welche konkreten Konsequenzen würde sie vermutlich ziehen? (z. B. Früherkennung/prophylaktische Operationen etc.)
  • Mit wem könnte sie über das Thema sprechen, von wem Unterstützung bekommen?
  • Wie geht der Partner mit dem Thema um?
  • Wie würde sie damit umgehen, dass auch ihre Kinder von dem erblichen Krankheitsrisiko betroffen sein könnten?
  • Wie würde sie damit umgehen, dass auch andere Familienmitglieder davon betroffen sein könnten? Welchen Verwandten würde sie davon erzählen?

Angstgefühle im Zusammenhang mit BRCA-Mutationen müssen und werden im Alltag verdrängt. Es gibt jedoch typische Zeitpunkte, wo die Angstabwehr nicht mehr funktioniert:
Nämlich immer dann, wenn die jährlichen Früherkennungsuntersuchungen anstehen, wenn es neue Erkrankungsfälle/Todesfälle in der Familie gibt bzw. wenn die Mutationsträgerin selbst einen auffälligen Befund erhält, welcher weitere Abklärungsmaßnahmen beinhaltet, und nicht zuletzt, wenn sich die betroffene Frau dem Erkrankungsalter einer wichtigen Bezugsperson nähert.

 

 

Höchstpersönlicher Entscheidungsprozess, in dem rationale Argumente emotional gewichtet werden: In Österreich wählen derzeit ca. 10 % aller BRCA-Mutationsträgerinnen eine bilaterale prophylaktische Mastektomie (eigene Daten) mit einem Durchschnittsalter von ca. 38 Jahren.

Wobei in den letzten Jahren an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde tendenziell auch jüngere Frauen mit Ende 20, Anfang 30 diese Entscheidung treffen. Aus der klinischen Erfahrung lässt sich festhalten, dass sie vor allem dann die prophylaktische Mastektomie wählen, wenn die eigene Mutter jung an Brustkrebs verstorben ist bzw. wenn bei ihnen selbst bereits mehrmalige Biopsien durchgeführt wurden.
In den Niederlanden hingegen entscheiden sich zwischen 35–51 % aller BRCA-Mutationsträgerinnen für diesen Eingriff (Meijers-Heijboer et al., 2003).
Bei der Entscheidungsfindung Früherkennung vs. prophylaktische Mastektomie handelt es sich um einen komplexen Prozess, wobei rationale Argumente emotional gewichtet werden. Diese subjektive Gewichtung ist interindividuell unterschiedlich und unterliegt zudem intraindividuell dem Faktor Zeit. Nicht zuletzt bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei um eine höchstpersönliche Entscheidung handelt. Die Aufgabe der genetischen Beratungsstelle liegt darin, nondirektive Information über die beiden grundsätzlichen Wege: intensivierte Früherkennungsuntersuchungen/prophylaktische Mastektomie zu geben und wertfrei die Entscheidung der BRCA-Mutationsträgerin anzunehmen.
Eine amerikanische Studiengruppe rund um Litton et al. (2009) stellte sich die Frage nach der Perzeption Früherkennung vs. prophylaktische Mastektomie bei 86 BRCA-Mutationsträgerinnen, legte folgende Aussagen vor, welche dichotom beantwortet werden konnten, und kam zu folgendem Ergebnis:

  • „PM effektivste Möglichkeit, das Brustkrebsrisiko zu reduzieren“ (70 % BRCA+)
  • „PM einzige Möglichkeit, meine Krebs­angst zu reduzieren“ (64,7 % BRCA+)
  • „PM zu drastische Maßnahme, um Brustkrebs zu verhindern“ (36,1 % BRCA+)
  • „Der Hauptgrund gegen eine PM ist die Angst vor der OP“ (27,8 % BRCA+)
  • „Der Hauptgrund gegen eine PM ist die Angst vor Entstellung“(33,8 % BRCA+)
  • „Die Entscheidung zwischen Screening und PM ist schwierig“ (23,9 % BRCA+)

Die Gretchenfrage: „Was möchten BRCA-Mutationsträgerinnen vor einer prophylaktischen Mastektomie wissen“ untersuchte Sharon et al. (2007). Diese groß angelegte Studie schloss 684 BRCA-Mutationsträgerinnen ein, welche entweder eine bilaterale prophylaktische Mastektomie oder eine kontralaterale prophylaktische Mastektomie durchführen ließen. 69 % gaben retrospektiv befragt an, dass sie gerne mehr Information zur Rekonstruktion gehabt hätten (z. B. Implantat vs. Eigengewebe, Operationstechniken, Nipple-Sparing/Skin-Spa­ring, Schnittführung, sichtbare Narben, Taubheitsgefühl etc.).

Die genetische Beratungsstelle an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde bietet deshalb für BRCA-Mutationsträgerinnen einen Erfahrungsaustausch an, bei welchem sich Frauen, welche diesen Eingriff planen, in einem 6-Augen-Setting vorab mit Frauen, welche bereits prophylaktisch mastektomiert sind, austauschen können.

Der psychosoziale Impact nach einer prophylaktischen Mastektomie ist natürlich ein anderer wichtiger Aspekt, welcher beleuchtet werden sollte. Retrospektiv befragt geben 60–95 % der BRCA-Mutationsträgerinnen eine hohe Zufriedenheit mit der vorbeugenden Entscheidung an (Pichert et al., 2003; Hartmann et al., 2011). Die krebsspezifische Angst wurde um 84 % reduziert und das subjektiv wahrgenommene Restbrustkrebsrisiko um 81 % vermindert (Litton et al., 2009). Die allgemeine Lebensqualität werde durch eine prophylaktische Mastektomie nicht reduziert, stellen die Forschungsgruppen rund um Hatcher et al. (2001) und Brandberg et al. (2008) fest.

Allerdings differenziert letztgenannter Studienautor die Ergebnisse dahingehend, dass 44 % eine Unzufriedenheit mit der Narbenbildung (1 Jahr post OP) angeben.

ZUSAMMENFASSEND lässt sich festhalten, dass BRCA-Mutationsträgerinnen eine schwierige, wichtige und gleichzeitig hochkomplexe Entscheidung treffen müssen. Für diese Entscheidungsfindung müssen potenzielle Mutationsträgerinnen bereits bei der Erstberatung noch vor der Blutabnahme vorbereitet werden, indem sie informiert werden über die möglichen medizinischen und psychosozialen Konsequenzen. Wichtig ist ebenfalls die Information, dass es sich hierbei nicht um eine Akutentscheidung handelt, sondern vielmehr die meisten Mutationsträgerinnen zunächst mit der intensivierten Früherkennung beginnen und dann entscheiden, welcher Weg hinkünftig für sie persönlich der richtige ist.

Nähere Informationen zum Thema „Erblicher Brust- und Eierstockkrebs“ sowie eine Liste aller zertifizierten Beratungsstellen in ganz Österreich unter www.brustgenberatung.at.