Die chronische myeloische Leukämie (CML) ist eine klonale maligne Erkrankung der hämatopoetischen Stammzelle mit einer erworbenen chromosomalen Abnormität. 1960 wurde dieser spezielle chromosomale Defekt in Philadelphia beschrieben (Philadelphia-Chromosom). 1973 wurde nachgewiesen, dass das Philadelphia-Chromosom das Resultat einer reziproken Translokation zwischen den Chromosomen 9 und 22 darstellt. Das zelluläre Onkogen ABL vom Chromosom 9 wird in die Bruchpunktregion („break point cluster region“, BCR) auf Chromosom 22 transloziert. Als Produkt dieses chimären BCR-ABL-Gens wurde 1986 das 210-kD-BCR-ABL-Protein nachgewiesen. Die pathogenetische Relevanz des BCR-ABL-Gens wurde durch Transfektions- und Transplantationsmodelle in vitro und in vivo sowie durch die Wirkung des selektiven ABL-Inhibitors Imatinib belegt.
Etwa 15 % aller Leukämien sind CML-Fälle. In Österreich treten etwa 150 Neuerkrankungen/Jahr auf, mehr als die Hälfte aller Patienten sind zum Diagnosezeitpunkt älter als 60 Jahre.
Ursprünglich war eine Heilung der CML nur mittels einer allogenen Stammzelltransplantation möglich. Mit der Einführung der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) konnte eine dramatische therapeutische Verbesserung in der Behandlung der CML erzielt werden.
In der IRIS-Studie wurde Imatinib-Mesylat (400 mg/Tag) prospektiv randomisiert mit dem damaligen Goldstandard Interferon-α (5 Mio./m2/d) + AraC (20 mg/m2/d), 10 Tage/Mo. bei 1.106 Patienten verglichen.
Das Acht-Jahres-Update dieser Studie zeigt ein kumulatives komplettes zytogenetisches Ansprechen (CCyR) von 83 %, ein krankheitsfreies Überleben von 81 % und ein Gesamtüberleben von 85 %. Keiner der Patienten, die innerhalb von 12 Monaten eine „major molecular response“ (MMR = 0,1 % BCR-ABL) erreichten, zeigte eine Progression in eine akzelerierte Phase (AP) oder Blastenkrise (BC). Patienten, welche nicht innerhalb von 3 Monaten eine komplette hämatologische Remission (CHR) oder ein zytogenetisches Ansprechen innerhalb von 6 Monaten erreichen, werden nach ELN- und NCCN-Kriterien als Nichtansprecher eingestuft. Bei solchen Patienten wird die Umstellung auf einen anderen TKI empfohlen.
Mittlerweile wurden TKI der 2. Generation entwickelt: Nilotinib, Dasatinib, Bosutinib und Ponatinib. Nilotinib und Dasatinib sind mittlerweile als Erstlinientherapie zugelassen. Nilotinib ist ein Aminopyrimidinderivat, welches ähnlich wie Imatinib durch kompetitive Hemmung an der ATP-Bindungsstelle wirkt, allerdings 30–50-fach stärker.
846 unbehandelte CP-CML-Patienten wurden prospektiv randomisiert: Nilotinib 2-mal 300 mg/d versus Nilotinib 2-mal 400 mg/d vs. Imatinib 400 mg/d. Bereits nach 6 Monaten betrugen die MMR-Raten 33 % und 30 % versus 12 % für Imatinib. Die kumulativen MMR, MR4 und MR4,5 lagen nach 1 bzw. 3 Jahren bei Nilotinib signifikant höher als bei Imatinib (Tab.).
Die Inzidenz an Progressionen in AP/BC lag bei Nilotinib signifikanter unter der von Imatinib.
516 unbehandelte CP-CML-Patienten wurden randomisiert: Dasatinib 100 mg/d vs. Imatinib 400 mg/d. Im Drei-Jahres-Follow-up wiesen die Dasatinib-Patienten innerhalb von 3 Monaten ein tieferes molekulares Ansprechen (≤ 10 % BCR-ABL) auf als jene mit Imatinib (84 % vs. 64 %), weiters wurde im Dasatinib-Arm eine geringere Transformation in AP/BC beobachtet (Abb. 1).
In der ENESTnd-Studie konnte ebenfalls gezeigt werden, dass ein rasches (3 Monate) und tiefes molekulares Ansprechen (MMR und MR4,5) mit einem erhöhten krankheitsfreien- und Gesamtüberleben einhergeht.
Fokussierend auf die Relevanz des molekularen Ansprechens wurde in einer anderen Studie bei 100 Patienten mit CML, die drei Jahre Imatinib erhalten hatten und zwei Jahre hindurch ein MR4,5 aufwiesen, das Medikament abgesetzt. Nach 30 Monaten Follow-up zeigte sich folgendes Bild:
61 % Relapse (58 Patienten innerhalb der ersten 7 Monate), 39 % MR4,5-Persistenz nach 24 bzw. 36 Monaten. Alle Patienten sprachen auf eine neuerliche Imatinib-Therapie wieder an. Patienten mit niedrigem Sokal-Score wiesen ein signifikant besseres Andauern der MR4,5 auf als solche mit intermediärem oder hohem Risiko.
Aus diesen Resultaten wurde weiters geschlossen, dass ein Verlust einer MMR jedenfalls eine Indikation für einen Wiederbeginn einer Therapie darstellt, ein Verlust einer MR4,5 dies aber nicht unbedingt erfordert. In Zukunft wird versucht, zu zeigen, dass es möglich ist, nach Erreichen einer andauernden MR4,5 z. B. Nilotinib abzusetzen, um zu beweisen, dass nach einer funktionellen Heilung eine weitere Therapie nicht notwendig ist. Eine Reihe von Studien beschäftigt sich mit der Diskontinuierung der Therapie (ENEST-1st, ENEST-op, ENEST-cmr, EUROPe-Stop-TKI).
Bosutinib, ein TKI, der vor Kurzem in der Dosierung von 500 mg/d zugelassen wurde, wirkt bei imatinibresistenten Patienten, aber auch bei Nichtansprechen auf Nilotinib oder Dasatinib (Abb. 2).
Ponatinib wurde bei dasatinib- oder nilotinibresistenten Patienten und BCR-ABL-Mutation T315I getestet (PACE-Studie). Bei CP-CML betrug die MCyR 54 %, Patienten mit T315I-BCR-ABL-Mutationen zeigten eine CCyR von 65 % und eine MMR von 50 %.
Weitere Zukunftsprojekte beschäftigen sich mit Kombinationstherapien bei Patienten mit fehlendem molekularem Ansprechen oder CML-AP/BC. Hier wären Studien zu nennen, in denen Nilotinib mit MEK-Inhibitoren, Ruxolitinib, BEZ235 oder LDE225 kombiniert wird.
Durch eine personalisierte TKI-Therapie könnte in den kommenden Jahren gezeigt werden, dass bei einer substanziellen Anzahl von CML-Patienten eine funktionelle Heilung ohne die Notwendigkeit einer weiteren Therapie erzielt werden kann.