Senkung der Kostenspirale in der Krebsbehandlung und die Frage: Welchen Beitrag kann die Palliativmedizin leisten?

Wir alle wünschen uns anhaltende Gesundheit und den Zugang zu Therapien jeder Art, um Erstere so lange als möglich zu erhalten. In der Onkologie geht der Trend zunehmend in Richtung spezieller zielorientierter Verfahren. Diese Medikamente scheinen zwar weniger gravierende Nebenwirkungen hervorzurufen als herkömmliche Zytostatika, verursachen aber hohe Kosten, wie sie bislang vor allem durch klassische Kombinationschemotherapien sowohl im kurativen als auch palliativen Setting und insbesondere durch die Behandlung der dabei auftretenden Toxizitäten entstanden sind.

Vermehrt wird derzeit über die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens nachgedacht, über die Reduktion der Kosten, wobei Personalkosten unbestritten den bei weitem größten Anteil ausmachen. Durch die Einführung und nahezu verpflichtende Verwendung von Generika wird versucht, den Kostendruck der Medikamente zu verringern. Die Entwicklung in der Onkologie ist dennoch anders vorherzusehen. In den USA wird über eine Kostenentwicklung von 2006 bis 2020 von 104 auf vielleicht 220 Milliarden Dollar an direkten Kosten auf diesem Gebiet berichtet.1, 2 Inwieweit diese Zahlen auf europäische Verhältnisse übertragbar sind, bleibt dahingestellt, wahrscheinlich aber ist mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen. Nun ergibt sich die Frage, wo ein Potenzial läge, um Kosten zu verringern. Wer könnte regulierend eingreifen, abgesehen vom Hauptverband oder dem Staat selbst? Ist die Palliativmedizin eine Richtung, die möglicherweise kostensenkend wirken könnte, ohne dem Patienten zu schaden?

Chemotherapie in der letzten Lebensphase: nötig?

Klar ist, dass Kosten kaum eine Rolle spielen sollten, wenn es wirklich um die Heilung einer Erkrankung geht. Stehen wir aber vor einer unheilbaren Krankheitssituation, wo wir prognostisch von Monaten, manchmal nur von Wochen vor dem Sterben reden, ist die Lage anders. So manche Entscheidung für eine Therapie in dieser Situation beruht nicht auf wirklich gesicherten Daten und wird dennoch unter dem Aspekt der einzigen sinnvollen Möglichkeit zu diesem Zeitpunkt angeboten. Entgegen einer entsprechenden Vorbereitung auf das Sterben und den Tod sowie dem Angebot der Palliation wird die Zeit mit Diskussionen über mögliche weitere zytostatische Therapien verbracht. In diesem Kontext erhalten rund 20 % der Patienten noch in den letzten 2 Wochen vor dem Tod eine Chemotherapie, wobei das Intervall zwischen der zuletzt verabreichten Chemotherapie und dem Tod 37 Tage im Median beträgt3, so entstehen gerade in der letzten Lebensphase auffallend hohe Kosten.
Diese werden wiederholt durch Therapieversuche hervorgerufen, die mitunter infolge gravierender Nebenwirkungen nicht nur die Lebensqualität in der letzten Zeit nicht verbessern, sondern u. U. weitere Kosten durch die Behandlung eben dieser Nebenwirkungen und aufgrund häufig notwendiger stationärer Aufenthalte oder intensivmedizinischer Maßnahmen entstehen lassen.4
Vielfach wird auch der Effekt einer palliativen Chemotherapie überschätzt.5 Das erhoffte Ziel einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität oder einer erheblichen Verlängerung der Überlebenszeit bei dann zumindest gleichbleibender Lebensqualität kann zumeist nicht erreicht werden. Im Gegenteil – die Verabreichung von zytostatischen Therapien bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen ist durch zunehmende Toxizitäten auf Grund des schlechteren Allgemeinzustandes, einer allgegenwärtigen Kachexie und eines höheren ECOG-Stadiums gekennzeichnet.

Die Rolle der Palliativmedizin

Bis heute wird dieses Instrument zumeist in einer sehr späten, finalen Krankheitsphase genutzt. Und das, obwohl in den NCCN-Guidelines diesbezüglich sehr klare Empfehlungen (in Form eines Assessments) für eine frühzeitige Konsultation durch einen Palliativmediziner bestehen, und auch die ASCO in ihren letzten Aussendungen klar Position bezieht.6
Unter dem Aspekt, dass fortgeschrittene Krebserkrankungen in metastasierter Form oder durch einen von hoher Symptomlast gekennzeichneten Verlauf als schwerste, zumeist nicht heilbare Krankheitszustände zu verstehen sind, sollte das Augenmerk auf eine größtmögliche Individualisierung der Behandlung und auf die maximale Berücksichtigung der Bedürfnisse und Wünsche des Patienten gelegt werden. Dies setzt aber immer eine intensive Kommunikation zur umfassenden Aufklärung des Patienten voraus.7 Ohne diese Grundlage ist ein der Situation wirklich angepasstes Handeln unmöglich.


Patientenaufklärung: Dieser Ansatz würde vermutlich primär, durch Stärkung der Autonomie des Patienten und Verwirklichung eines informierten Konsenses, die Anzahl der Behandlungen reduzieren, da es sich doch wiederholt zeigt, dass mangels umfassender Information und offener Kommunikation Patienten Therapien zustimmten, die eigentlich nicht mehr in ihrem Sinn waren.
Die häufig geäußerte Befürchtung, es werde dem Patienten durch Vermittlung der Wahrheit die letzte Hoffnung geraubt, erweist sich zumeist als nicht haltbar.8 Erst durch diese grundlegenden Informationen kann der Betroffene die Zielsetzung selbst bestimmen und alle Entscheidungen, die andernfalls möglicherweise paternalistisch für ihn getroffen würden, mittragen. Entscheidend ist es, dem Patienten zu vermitteln, dass unabhängig von einer Chemotherapie die Arzt-Patienten-Beziehung uneingeschränkt aufrecht bleibt.
Tatsächlich läge die Hauptaufgabe in einer Neuausrichtung der Therapieziele wie Symptomkontrolle, Schmerztherapie und der offenen Diskussion darüber, wie die verbleibende Lebenszeit zu gestalten wäre.

Zeitgerechter Einsatz der Palliativmedizin: Wie Temel et al. trotz einiger Schwächen der Arbeit zuletzt zeigen konnten, vermag der zeitgerechte Einsatz der palliativen Betreuung die Lebenszeit zu verlängern, ohne offenkundig die Kosten zu steigern. Die Arbeit lässt sogar die Interpretation zu, dass durch Anpassung der Therapien an die persönliche Situation des Patienten tatsächlich die Kosten gesenkt werden könnten, da im Betreuungsarm weniger Therapien verabreicht wurden und mutmaßlich auch weniger behandlungspflichtige Nebenwirkungen auftraten.9 Es zeigte sich, dass eine von Beginn an durchgeführte und regelmäßig fortgesetzte Betreuung durch einen Palliativmediziner mit ergänzender Kommunikation die Lebensqualität der Patienten günstig beeinflusste.


Patientenverfügung: Auch die zeitgerechte Beschäftigung mit Patientenverfügungen ist eine Möglichkeit, um mittelfristig Kosten zu dämpfen. Je klarer der Patient seine Wünsche definiert, welche Form der Behandlung er am Lebensende ablehnt, desto eher bleibt ihm der Weg mitunter sogar auf eine Intensivstation und die Verabreichung zahlloser teurer Arzneimittel erspart. Dies kann natürlich nur vor dem Hintergrund einer umfassenden Aufklärung geschehen. Palliative Care sieht ihre Aufgaben auch in der Begleitung des Patienten beim Aufsetzen einer Patientenverfügung oder im Idealfall einer Vorsorgevollmacht.
Auch die Diskussion über das Sterben an sich, das zeitgerechte Anpassen oder Zurücknehmen von Therapien, der Verzicht auf operative Eingriffe in der Terminalphase sowie die Anregung zur Unterlassung von Untersuchungsgängen, die keine therapeutische Konsequenz nach sich ziehen können, würden im palliativmedizinischen Kontext kostenmindernde Effekte ergeben.

Tumorspezifische Maßnahmen überdenken: Kritisch betrachtet führt der Weg zu einer Kostensenkung nur über einen maßvollen und wirklich sinnvollen Einsatz der vorhandenen Ressourcen.10 Wie zahlreiche Arbeiten aufzeigen, ist eine nicht kleine Zahl der heute in der fortgeschrittenen palliativen Situation angewandten tumorspezifischen Maßnahmen nur von relativ geringem Benefit für den Patienten und damit grundlegend überdenkenswert.
Es ist sicher nicht Sache der Palliativmedizin, sich auf der einen Seite von Kostenträgern instrumentalisieren zu lassen, um durch Vorenthalten von Therapieoptionen kostendämpfend zu wirken, oder auf der anderen Seite alle onkologischen Therapien in Frage zu stellen, nein, die Aufgabe liegt in der optimalen Erfassung der Patientensituation, aber nicht nur aus dem Blickwinkel der Diagnose, sondern in der Betrachtung des Menschen als Ganzes und unter Berücksichtigung seiner innersten Bedürfnisse.

 

1 National Cancer Institute, Cancer Trends Progress Report 2009/2010 Update
2 Mariotto AB et al., J Natl Cancer Inst 2011; 103(2):117–128
3 Behl D et al., Journal of Palliative Medicine 2010; 13(7):831–835
4 Zhang B et al., Arch Intern Med 2009; 169(5):480–488
5 Smith TJ et al., J Support Oncol 2011; 9(2):79–86
6 Smith TJ et al., www.jco.org 2012; Epub ahead of print on Feb 6th
7 Back AL et al., Cancer 2008; 113(7 suppl):1897–910
8 Smith TJ et al., Oncology (Williston Park) 2010; 24(6):521–5
9 Temel JS et al., NEJM 2010; 363:733–42
10 Smith TJ et al., NEJM 2011; 364:2060–65