Die akute Virushepatitis ist nach dem Seuchengesetz in Österreich eine seit Jahren meldepflichtige Erkrankung. Die vom Bundesministerium für Gesundheit ausgewiesenen Fälle geben wohl nur zur Hepatitis A ein verlässliches Bild. Dies, weil die Hepatitis-B-Infektion häufig okkult verläuft und nur mit flächendeckenden Screeninguntersuchungen umfassend erfasst werden könnte; die Hepatitis D das B-Virus als Vehikel benötigt und zudem noch ein stark fluktuierendes Aufkommen aufweist und somit dem Nachweis leicht entgeht. Die zentrale Erfassung der chronischen Hepatitis-C-Infektion hingegen ist u. a. wegen der mit der Krankheit verbundenen Stigmatisierung kontroversiell und die von den Laboratorien als Pflicht verstandene Meldung wegen der Möglichkeit der Mehrfachmeldung noch nicht zu bewerten. Die Hepatitis-E-Infektion wiederum ist wahrscheinlich deutlich unterdiagnostiziert. Sie wird immer noch als Erkrankung der Subtropen verstanden und ist dementsprechend noch nicht im diagnostischen Radar lokaler Erkrankungen verankert. Im Folgenden sollen aktuelle epidemiologische Entwicklungen präsentiert und Aktuelles zu den Virushepatitiden gestreift werden.
Aus epidemiologischer Sicht darf Tirol (ausgenommen Osttirol) als Mikrokosmos gelten: Zum einen werden nahezu alle neuen Fälle chronischer Virusinfektionen unserer Ambulanz vorgestellt und dokumentiert, unser diagnostisches Labor ist immer noch der Hauptanbieter für Quantifizierungen und Genotypisierung. Daneben haben wir mit dem neubesetzten virologischen Institut der Universität einen interessierten Partner.
Hepatitis A: Die jährlich in Tirol anfallenden „autochthonen“ Hepatitis-A-Fälle beschränken sich auf knapp 10 Ereignisse. Auffallend sind die in 2–3-jährigen Abständen auftretenden „Spikes“ von 28 Erkrankungen im Jahr 2004, 24 (2008) und 29 im Jahre 2009, die nur Ausdruck regionaler Ereignisse durch Einschleppung über nicht geimpfte, infizierte Fernreisende sein können.
Lokale Hepatitis-E-Virus-Infektionen: Eine völlig neue Entwicklung ist das Auftreten von lokalen Hepatitis-E-Virus(HEV)-Infektionen, die seit 2003 beobachtet werden. Pro Jahr werden in unserem Einzugsgebiet bis zu 9 Hepatitis-E-Infektionen neu diagnostiziert. Aus klinischer Sicht besorgniserregend ist das zunehmende Auftreten chronischer Infektionen bei immunsupprimierten Patienten, die eine signifikante, aber häufig auch unspezifische Morbidität verursachen und verzögert diagnostiziert werden. Diese Infektion kann aus tierischen Quellen, über direkten zwischenmenschlichen Kontakt, aber auch über Bluttransfusionen erfolgen. Für den chronischen Verlauf ist in der Regel der Genotyp 3 verantwortlich. Dieser ist auch in Europa heimisch, führt aber nicht zu den gefürchteten fulminanten Verläufen bei Schwangeren. Dafür ist der in den Subtropen heimische Genotyp 1 verantwortlich. Die bisher wenig verstandenen extrahepatischen Manifestationen der HEV-Erkrankung betreffen vor allem das Zentralnervensystem und die Nieren. Die serologische Diagnostik der Erkrankung ist aufgrund der mangelnden Sensitivität der kommerziellen ELISA als mangelhaft zu betrachten. Der Goldstandard für eine floride Infektion ist der Virusnachweis mittels PCR. Inzwischen sind zwei gegen Genotyp 1 hochwirksame aktive und sichere Impfstoffe vorgestellt worden, von denen die kürzlich vorgestellte Vakzine chinesischer Provenienz wohl endlich kommerzialisiert werden dürfte.
Hepatitis-C-Virus-Infektion: Die häufigste Ursache der chronischen Virushepatitis – die Hepatitis-C-Virus(HCV)-Infektion – nimmt in ihrer Häufigkeit in den letzten Jahren eindeutig ab. Bemerkenswert sind alle 3–4 Jahre zu beobachtende Häufigkeitsgipfel an Neudiagnosen, die in ihren absoluten Werten rückläufig sind. War um die Jahrtausendwende noch ein Maximum von 291 neuen Fällen zu beobachten, lag der nächste Gipfel 2003 bei 212 Fällen und 2007 nur mehr bei 141 neuen Patienten. Die jährlichen Minima vor diesen Gipfeln fielen von 145 über 122 auf 110 neu diagnostizierten Patienten im Jahre 2006 ab. Für das Jahr 2010 lässt sich nur mehr ein angedeuteter Gipfel von 107 Fällen mit jeweils 97 neu Betroffenen davor und danach ausmachen. In 5-Jahres-Perioden zusammengefasst stehen 560 neue Fälle in der zweiten Hälfte der letzten Dekade einer Gesamtzahl von 763 Fällen in den ersten fünf Jahren gegenüber. Die Gesamtbürde der HCV-verursachten Morbidität wird entsprechend internationaler Prognosemodelle erst nach 2020 signifikant abnehmen.
Die relative Verteilung der Genotypen mit 63 % Genotyp-1-Infektionen, davon zwei Drittel vom Subtyp 1a, gefolgt von 27 % vom Genotyp 3 und jeweils 5 % der Genotypen 4 und 5 hat sich über die Jahre nicht wesentlich geändert. Der günstige IL-28-Genotyp CC, der ein hilfreicher Hinweis für die gute Heilungschance auf eine konventionelle Interferon-Ribavirin-Therapie darstellt, ist bei 36 % unserer Bevölkerung, der ungünstige Genotyp TT bei 19 % und der Mischtyp beim Rest vorliegend. Inwieweit diese pharmakogenetische Information bei der sich bereits abzeichnenden hochpotenten interferonfreien oralen antiviralen Therapie noch eine Rolle spielen wird, ist derzeit noch nicht endgültig zu beurteilen. Keine Hoffnung besteht, dass eine neutralisierende aktive Immunisierung gegen die HCV-Infektion in absehbarerer Zeit zu erwarten sein könnte.
Hepatitis B: Auch bei den Hepatitis-B-Neudiagnosen ist eine undulierende Charakteristik mit allerdings quantitativ größeren Ausschlägen in weiteren Zeiträumen als bei den HCV-Fällen auffällig. So konnten wir im Jahre 2000 ein Maximum von 139 und im Jahre 2008 eines von 185 neuen Fällen beobachten, während sich die Zahl der jährlichen Neudiagnosen in den Jahren dazwischen mit 70 bis 80 relativ konstant entwickelte. Die Gesamtzahl der Neudiagnosen von 442 in den ersten 5 Jahren der letzten Dekade hat sich interessanterweise gegenüber 463 Neudiagnosen in der zweiten Dekadenhälfte kaum verändert. Inwieweit hier ein Migrationsverhalten zum Tragen kommt ist unklar. Die Möglichkeit der aktiven Immunisierung gegen HBV hat bestenfalls einen kontrollierenden, sicher keinen eradizierenden Effekt.
Hepatitis D: Auffallend und besorgniserregend ist das Wiederauftreten der Hepatitis Delta sowohl in der eigenen als auch in der Migrationspopulation mit insgesamt 6–7 neuen Fällen pro Jahr seit 2008. Gegen die Hepatitis Delta gibt es nach wie vor keine effektive Therapie. Die einzige Option ist eine flächendeckende Immunisierung gegen die HBV-Infektion vor allem in den Risikogruppen.
Die Entwicklung auf dem Gebiet der Virushepatitiden bleibt in vieler Hinsicht spannend. Die Epidemiologie ist im Vergleich zu den aktuellen dramatischen Fortschritten auf dem Gebiet der HCV-Therapie für viele wahrscheinlich eine „lahme Ente“. Allerdings liegen in ihr wichtige Informationen, die der Betreuung unserer Patienten zugutekommen.