Die These der angebotsinduzierten Nachfrage besagt, dass Ärzte als allgemeine Leistungserbringer im Gesundheitssektor Umfang und Struktur der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen beeinflussen und bei der Festlegung der Nachfrage eigene Einkommensinteressen verfolgen. Sie stellt eine Erklärung für den empirisch belegten Zusammenhang dar, dass die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen mit steigender Arztdichte zunimmt, auch wenn die Preise der Gesundheitsleistungen konstant bleiben.
Dass Ärzte die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen beeinflussen können, wird mit den Besonderheiten des Gesundheitsmarktes begründet. Insbesondere wird auf die asymmetrische Information zwischen Ärzten (Anbietern) und Patienten (Nachfragern) verwiesen. Patienten haben zumeist nur unvollständige Informationen über diagnostische und therapeutische Optionen. Damit lässt sich begründen, dass Ärzte die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wesentlich determinieren, sobald die Patienten sie konsultieren (sog. angebotsdeterminierte Nachfrage). Dies ist unproblematisch, solange der Arzt ein perfekter Agent der Patienteninteressen ist, wenn er also Entscheidungen trifft, wie sie der Patient bei hinreichenden medizinischen Kenntnissen selbst treffen würde. Sofern der Arzt jedoch eigene (Einkommens-)Interessen in die Entscheidungen über Umfang und Struktur der Gesundheitsleistungen einfließen lässt, geht angebotsdeterminierte in angebotsinduzierte Nachfrage über. Angebotsinduzierte Nachfrage wird dadurch erleichtert, dass Patienten umfassend gegen Versorgungskosten versichert sind, so dass ihre Zahlungsbereitschaft keine wirksame Begrenzung ihres Konsums an Gesundheitsleistungen darstellt.
Beispiel: In einer Region wird bisher die Primärnachfrage nach Gesundheitsleistungen bedient. Lassen sich in der Region weitere Ärzte nieder und steigt damit die Arztdichte in der Region an, dehnt der individuelle Arzt die Nachfrage nach eigenen Gesundheitsleistungen über die medizinisch indizierte Primärnachfrage aus, um das bisherige Einkommen auch zukünftig zu realisieren (Einkommen-Zieltheorie).
Der permanente Nachfrageüberhang und der Zeitkosteneffekt sind gängige Erklärungen für den Nachfrageanstieg nach Gesundheitsleistungen bei zunehmender Arztdichte. Bei der These des permanenten Nachfrageüberhangs wird angenommen, dass im Gesundheitssektor ein Nachfrageüberhang besteht, der auch bei voller Kapazitätsauslastung der Ärzte nicht bedient werden kann. Dementsprechend steigt die Nachfrage parallel mit dem Angebot an, wenn sich in einer Region weitere Ärzte niederlassen.
Mit dem Zeitkosteneffekt lässt sich eine Ausdehnung der Leistungsmenge bei steigender Arztdichte auch mit rationalen Entscheidungen der Patienten begründen. Die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen ist mit Zeitkosten (Warte- und Wegezeiten) der Patienten verbunden. Mit steigender Arztdichte sinken die Zeitkosten der Patienten und es ist rational, die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen auszudehnen.
Seit dem Inkrafttreten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes besteht die Verpflichtung, bis spätestens 1. 1. 2016 „die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen“ (Herstellung eines stufenlosen Zugangs, bauliche Gestaltung von sanitären Anlagen usw.). Sollte die Adaptierung aufgrund des tatsächlichen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemessenen Aufwands unzumutbar sein, sieht das Gesetz vor, dass zumindest eine maßgebliche Verbesserung der Situation erreicht werden muss.
Egal ob Hygieneverordnung, Barrierefreiheit, zunehmender forensischer Druck oder andere Erschwernisse, die auferlegt werden – die Kompensationsmechanismen des niedergelassenen Arztes, die durch Einkommen-Zieltheorie und angebotsinduzierte Nachfrage ausreichend erklärt werden, führen unweigerlich dazu, dass ebendort der Hebel des Unternehmers angesetzt wird.
Eine logische Konsequenz des Gesagten ist auch selbstverständlich die Ausweitung des Angebotes außerhalb der definierten Kassenleistungen.
Das Wissen um diese gesundheitsökonomischen Mechanismen sollte eigentlich dazu führen, dass Politik, Gesetzgebung und Sozialversicherungsträger vor der Einführung von praxiserschwerenden Maßnahmen über eine kompensatorische Abgeltung nachdenken um ein Überwälzen der Kosten auf den Konsumenten zu verhindern. „Stichwort Zwei-Klassen-Medizin“. Leider finden genau diese Zugeständnisse selten oder nie statt, zumeist aufgrund tief verwurzelter ideologischer Haltungen, die ÄrztInnen lieber als volontierende Heiler denn als gewinnorientierte Unternehmer sehen wollen.