Das große Bangen um qualifiziertes Personal

Qualifiziertes Personal ist im Gesundheitswesen die wichtigste und teuerste Ressource. So macht im Krankenhausbetrieb der Personalbereich ca. zwei Drittel der operativen Kosten aus. Speziell im Arztbereich, aber zunehmend auch in der Pflege werden die Ausbildungswege immer umfassender und aufwändiger. Eine gut ausgebildete klinische Kraft mit einer Ausbildungszeit von oft über zehn Jahren und entsprechender Erfahrung stellt somit eine immer wertvollere Ressource dar, die es zu gewinnen und zu halten gilt.
Dieses ist in Österreich aber noch nicht lange so: Noch vor wenigen Jahren galt hierzulande der Begriff der „Ärzteschwemme“, und noch Anfang des neuen Jahrtausends wurden Medizinstudenten mangels Jobperspektiven öffentlich davor gewarnt, ihre Ausbildung fortzusetzen. Als eines der verspäteten Resultate der damaligen Situation wurde die Zahl der Medizinstudenten von über 20.000 im Jahr 2004 um über ein Drittel auf 13.000 im Jahr 2012 reduziert.
Obwohl sich die Situation heute völlig gewandelt hat, ist im Spital die lange Phase des Überangebots an Mitarbeitern noch vielfach spürbar und es verwundert nicht, dass viele Aspekte des modernen Personalmanagements aufgrund des langen Überflusses an Fachkräften eher schwach ausgeprägt sind. In logischer Folge sind im Vergleich zu anderen Branchen mitarbeiterorientierende Module wie professionelles Recruiting, Karriereplanung, innovative Verträge oder umfassende Personalentwicklung oftmals nicht oder nur teilweise umgesetzt.
Es lassen sich jedoch für den Gesundheitsbereich drei globale Personaltrends beschreiben, die eine sehr hohe Aufmerksamkeit und Aktivität im Personalmanagement heute und in der Zukunft erfordern:

  1. zunehmender Fachkräftemangel
  2. sich verändernde Ansprüche an Lernen, Beruf und Freizeit (Generations- und Genderkonflikt)
  3. fortschreitende Diversifizierungen der Ausbildung und Gesundheitsberufe

Zunehmender Fachkräftemangel

Nach aktuellen Berechnungen ist davon auszugehen, dass in Europa bis 2020 ca. eine Million Fachkräfte im Gesundheitsbereich fehlen werden, hiervon ca. 600.000 Pflegekräfte und ca. 230.000 Ärzte1. In Deutschland hat beispielsweise die Zahl an ausländischen Ärzten in den letzten zehn Jahren um mehr als 60% zugenommen2, und in Großbritannien wird bereits heute von einer Quote von über 40% ausländischen Ärzten berichtet3.
Für Österreich gibt es verschiedene Studien, die den aufziehenden Fachkräftemangel beschreiben, es herrscht jedoch Einigkeit, dass mit einer erheblichen Lücke zwischen dem Bedarf an Fachkräften und dem Angebot derselben gerechnet werden muss. So berechnet die Ärztekammer für Österreich ein Defizit von ca. 3.000–7.000 Ärzten im Jahr 20304.
Im Gegenzug muss aber auch berichtet werden, dass Österreich mit einer Ärztedichte von derzeit ca. 480 Ärzten pro 100.000 Einwohner den absoluten Spitzenwert im europaweiten Vergleich innehat, während beispielsweise Deutschland oder Frankreich nur einen Bedarf von ca. 350 Ärzten aufweisen5.
Neben verstärkten Anstrengungen in der Ausbildung und Akquise von Fachkräften wird also für Österreich ein wesentlicher Schlüssel zur Vermeidung von Versorgungsengpässen darin bestehen, den zu hohen Bedarf an klinischem Personal durch Verbesserung der Systeme in Effektivität und Effizienz zu reduzieren.
Solche Überlegungen sind aber nur dann zielführend, wenn gleichzeitig das sehr hohe Niveau der Versorgung in Österreich nicht aus dem Blick gerät und vielmehr Maßnahmen gesetzt werden, die die hohe Qualität sowohl im Bereich der Grund- und Basisversorgung als auch der Spitäler erhalten und weiterentwickeln. Hierfür erscheinen die angedachten Maßnahmen des Zielsteuerungsvertrages (Stärkung des Hausärztemodells mit Primary Care und Fokussierung der Spitäler auf wirklich spitalspflichtige Fälle) nicht nur sinnvoll, sondern nahezu zwingend notwendig.

Sich verändernde Ansprüche an Lernen, Beruf und Freizeit

Generationskonflikt: In der Tat haben sich in den letzten Jahren die Bedürfnisse der Mitarbeiter an den Beruf und das damit verbundene Freizeitverhalten wahrnehmbar verändert. Die Literatur beschreibt die sogenannte „Generation Y“, die sich von ihren Ansprüchen im Vergleich zu den Vorgenerationen signifikant unterscheidet.
Die heutigen Berufseinsteiger zeichnen sich nach dieser Betrachtung vor allem durch ein höheres Selbstbewusstsein aus. Hieraus folgt, dass Hierarchien eher abgelehnt werden und dass lieber der Job gewechselt wird, als sich zu stark anzupassen. Zudem genießen die Familie und die Freizeit oftmals höchste Priorität. Im Vergleich zur Generation der „Babyboomer“, die „lebt, um zu arbeiten“ und der Generation X, die „arbeitet, um zu leben“, möchte die Generation Y eher „leben beim Arbeiten“ (s. Tab.)6.

 

 

Genderkonflikt: Speziell in der Medizin findet in den letzten Jahren eine zunehmende und starke Verweiblichung statt. War die erste promovierte Medizinerin in Österreich im Jahr 1897 zu verzeichnen, liegt der Anteil der Absolventinnen an den österreichischen Medizinuniversitäten heute bei deutlich über 60%. Aus diesem Trend ist aber eine veränderte Anspruchshaltung an den Beruf abzuleiten.
So interessieren sich Frauen offenbar deutlich seltener für Primararztpositionen, und auch die Niederlassung wird seltener angestrebt als bei den männlichen Kollegen. Auf der anderen Seite scheint aber die Bereitschaft, in den Spitälern eine Karriere als Fach- oder Oberärztin zu bestreiten, deutlich ausgeprägter zu sein. Sowohl der Spitalssektor als auch der niedergelassene Bereich wird sich auf diese Veränderungen einzustellen haben.

Diversifizierungen der Ausbildung und Gesundheitsberufe

Die Gesundheitsberufe unterliegen dem Trend, immer höhere Spezialisierungen in Ausbildung und Tätigkeiten abzufordern. Als Beispiel sei hier die Innere Medizin genannt, die sich in immer mehr und zunehmend abgegrenzte Spezialdisziplinen wie „Spezielle Rheumatologie“, „Interventionelle Kardiologie“ oder „Präventionsmedizin“ unterteilt. Vor diesem Hintergrund fällt es immer schwerer, als Gesundheitsbetrieb den „Allgemein-Internisten“ zu rekrutieren und einzusetzen und dem speziell ausgebildeten Mediziner natürlich immer schwerer, andere Agenden als sein spezifisches Spezialgebiet auf hohem Niveau zu erfüllen. Dieser Trend zeichnet sich in fast allen medizinischen Fächern ab. Aber auch in der Pflege finden sich zunehmend Spezialisierungen, und der Trend zur Akademisierung in der Pflege schreitet rasch und vermutlich unumkehrbar voran. Solche Veränderungen werden ein umfassendes Umdenken und Umstrukturieren aller Gesundheitssysteme erfordern.
Speziell für die Spitäler wird es von großer Wichtigkeit sein, den Spagat zwischen hoher Spezialisierung zum einen und guter Qualität in der Basisversorgung zum anderen zu leisten, insbesondere wenn dieses ausgewogen über 24 Stunden und jeden Tag der Woche angeboten werden soll.
Vor dem Hintergrund dieser drei globalen Trends im Personalbereich scheint es mehr als notwendig, langjährige und etablierte Versorgungs- und Organisationsmodelle im Gesundheitsbereich zunehmend zu hinterfragen und vielmehr Strukturen anzudenken, die diesen Trends gerecht werden können. Neben der wirtschaftlichen Effizienz und hohen Versorgungsqualität, die hierbei zu bedenken sind, werden sich somit immer stärker jene Modelle durchsetzen, die eine hohe Orientierung auf die Bedürfnisse der im Gesundheitsbereich Schaffenden aufweisen. Hier spielen jedoch neben Strukturen, den Formalkriterien wie Gehalt, Sozialleistungen und Vertragsgestaltung und den arbeitsplatzbezogenen Kriterien wie Ausstattung, Raumangebote und moderne Architektur zunehmend vermeintlich „weichere“ Kriterien wie die Kultur des Miteinander, Betriebsklima, Verhalten der Führungskräfte und Unternehmensimage eine immer größere Rolle. Auch ist zu beobachten, dass Aspekte wie Familienfreundlichkeit, attraktiver und günstiger Wohnraum in Nähe zum Betrieb, Kulturangebote und vor allem mannigfaltigste Angebote in der Kinderbetreuung im Ansprechen von bestehenden und neuen Mitarbeitern immer wichtiger werden.
Zusammenfassend darf man die Gesundheitsbetriebe und -dienstleister in den kommenden Monaten und Jahren wahrlich nicht beneiden: Die Herausforderungen im Kampf um qualifiziertes Personal werden die bestehenden Versorgungsstrukturen so deutlich verändern wie noch nie zuvor, und auch in den jeweiligen innerbetrieblichen Strukturen werden rasche und umfassende Anpassungen erfolgen müssen.

 

Vortrag im Rahmen der IIR-Veranstaltung „Die Spital” 2013, 11.–12. Juni

 

1 European Health Forum Gastein, Ende 2011

2 Statistik Bundesärztekammer Deutschland 2012

3 http://www.aerzteblatt.de/

4 Studie Österreichische Ärztekammer 2012

5 Der Standard, 2012

6 Schmidt CE et al., „Generation Y“, Anaesthesist 2011; 60:517–524, DOI 10.1007/s00101-011-1886-z, online publiziert: 25. März 2011, © Springer-Verlag 2011