Vor rund drei Jahren hat sich im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) die Arbeitsgruppe „Ethik in der Intensivmedizin“ etabliert. Ziel ist die Förderung der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen in allen Bereichen des Faches, insbesondere auch der ethischen Bewusstseinsbildung in intensivmedizinischen Fragestellungen. Die Ethikgruppe entwickelt und erarbeitet Ethikempfehlungen zu besonderen Fragestellungen. „Was medizinisch möglich und was medizinisch und ethisch sinnvoll ist, stellt Ärzte und Patienten oft vor keine einfache Wahl. Die multidisziplinäre Arbeitsgruppe der ÖGARI möchte Ärzten Hilfestellung bei Entscheidungen in intensivmedizinischen Grenzbereichen geben“, erklärt Dr. Christian Roden, Leiter der Palliativstation St. Vinzenz im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Ried und Schriftführer der Arbeitsgruppe.
Moderne Medizinprodukte machen gerade in einem geräteintensiven Fach wie der Intensivmedizin immer mehr möglich. Gleichzeitig stellt sich für das behandelnde Team aber auch immer öfter die Frage, ob die Bemühungen auch – aus dem Blickwinkel der Patientenwünsche – noch sinnvoll sind. Die Diskussion dieser Frage war auch der Anlass zur Gründung der ÖGARI-Arbeitsgruppe, die längst nicht nur von Anästhesisten und Intensivmedizinern besucht wird. „Hier treffen sich Juristen, Ethiker, Chirurgen, Neurologen und Vertreter vieler anderer Fachgebiete. Der Vorteil liegt auf der Hand: Wir bringen verschiedene Sichtweisen zusammen und haben gemeinsam sehr viel praktische Expertise, sodass unsere Ergebnisse auch rasch umsetzbar sind“, erklärt Roden die Arbeitsweise. Gemeinsam wird nicht nur das Wissen um einen philosophischen und medizinethischen Hintergrund der eigenen Profession vertieft, sondern auch konkrete Instrumente werden entwickelt. „Wir wollen dem einzelnen Arzt praktisches Handwerkszeug, zum Beispiel in Form von Leitlinien, in die Hand geben, damit er im Alltag eine Entscheidungshilfe hat, auf die er sich auch bei etwaigen juristischen Grenzfällen berufen kann. Je konkreter das Konstrukt und je breiter die Basis, auf der es entstanden ist, desto hilfreicher ist es für den Anwender“, ist Roden überzeugt. Aktuelle Arbeitspakete sind die Konkretisierung der intensivmedizinischen Therapie am Lebensende und die Ausarbeitung von Empfehlungen zu Comfort Terminal Care (CTC).
Dass den Worten auch tatsächlich Taten gefolgt sind, wurde am Beispiel der Therapiezieländerung deutlich. Aus den intensiven Diskussionen ist eine einfache Checkliste entwickelt worden, die Fragen zur Therapiezieländerung in Grenzsituationen erfasst. „Mit wenigen Kreuzen auf dieser Liste kann der Arzt auf einen Blick sehen, ob eine Überlegung zur Therapiezieländerung angestrebt werden soll“, so Roden. Wesentlich ist dem Experten auch die Diktion: Es geht nicht um die Frage, ob eine Therapie abgebrochen werden soll. Therapien bleiben bis ans Lebensende, jedoch die Ziele können je nach Zustand des Patienten variieren und das letzte Therapieziel ist die suffiziente Symptomkontrolle.
Die wichtigste Hilfestellung für Anästhesisten und Intensivmediziner ist wohl die Dokumentation ihrer Entscheidungen, die durch die Checkliste einfach gemacht wird. „Die Therapieziele sind letztlich keine Einzelentscheidungen, sondern werden von einem Team getragen und nachvollziehbar. Die exakte Dokumentation ist wichtig, um auch im Konsens den Patienten bestmöglich zu behandeln“, betont der ÖGARI-Experte. Untermauert wird die Checkliste daher mit einem Dokumentationsblatt zur Therapiezieländerung. „Diese Werkzeuge wurden von einem interdisziplinären Team entwickelt und auch in vielen unterschiedlichen Einrichtungen getestet“, bestätigt Roden die praktische Anwendbarkeit. Beide Dokumente stehen auf www.oegari.at zum Download zur Verfügung, sodass jeder Mediziner die Checkliste flexibel auch auf die unterschiedliche Struktur im eigenen Haus anpassen kann.
So unterschiedlich die Checklisten zum Einsatz kommen, so unterschiedlich ist auch die Rolle von Ethikbeiräten im Falle von Grenzentscheidungen. Je nach Krankenhausträger und der jeweiligen Struktur der Ethikberatung spielen sie bei Entscheidungen zur Therapiezieländerung eine mehr oder weniger wichtige Rolle. „Bei uns in der Vinzenzgruppe arbeitet der Ethikbeirat an der Entwicklung derartiger Dokumente aktiv mit, denn es geht hier ja nicht nur um Entscheidungen auf der Intensivstation, sondern auch in anderen Abteilungen. Bei der ÖGARI stehen deutlich die Bedürfnisse der Anästhesisten und Intensivmediziner im Vordergrund“, fasst Roden zusammen.
Ziel muss es jedenfalls sein, dass die Anwendung derartiger Hilfsmittel nicht auf den behandelnden Arzt beschränkt bleibt: Ethische Fragen zu stellen und im multidisziplinären Team zu diskutieren, muss eine Grundhaltung einer Gesundheitseinrichtung werden. Dazu bedarf es auch einer Implementierung dieses Themas in die Ausbildung und parallel dazu der kontinuierlichen Weiterarbeit in der Praxis, denn jene, die heute das Ruder in der Hand haben, wurden mit diesen Fragen in der Ausbildung nie konfrontiert. „Derzeit werden Therapiezieländerungen sehr unterschiedlich gehandhabt. Oft hängt es einfach davon ab, wer gerade Dienst hat und das ist auf lange Sicht bestimmt für keinen Beteiligten im Team eine zufriedenstellende Lösung“, weiß Roden.
Aktuell arbeitet die ÖGARI an Empfehlungen zu Comfort Terminal Care (CTC), wo es um die symptomorientierte, optimale Therapie und Versorgung von Patienten geht, bei denen der Tod aufgrund der Schwere der Erkrankung absehbar ist. Dabei kommen die klassischen Konzepte der Palliativmedizin zum Einsatz, bezogen auf die letzten Lebenstage und -stunden.