Ein brisantes Papier. „Gesundheits- und Pflegeberufe: Konkretisierung der Reformansätze“, lautet der Titel des „Erstentwurfes“ eines Konzepts aus dem Juni 2013, das bis ins nächste Jahr hinein von „Gesundheit Österreich“, dem Think-Tank des Gesundheitsministeriums, in dessen Auftrag erstellt werden soll.
Hier wird einerseits das Szenario eines künftigen Berufsbildes des Krankenpflegepersonals mit vertiefter Ausbildung entworfen, andererseits eine deutliche Kompetenzerweiterung für das Pflegepersonal angestrebt. In der angefügten Tätigkeitsliste finden sich zum Beispiel:
Eindeutig ist der Auftrag des Gesundheitsministeriums. „Bundesministerium für Gesundheit, Sektion II, Abteilung A/2 – Allgemeine Gesundheitsrechtsangelegenheiten und Gesundheitsberufe“, nannte Ingrid Rottenhofer, Projektkoordinatorin beim GÖG, von der Ausbildung her Diplomkrankenschwester, den Auftraggeber.
Die Expertin in einer schriftlichen Stellungnahme zum Bedarf für solche Projekte: „Die Bedarfslage ergibt sich aus einer sehr vielschichtigen Betrachtung des Status quo der Ausbildungen in Referenz zu unter anderem demografischen, epidemiologischen, bildungspolitischen und internationalen Entwicklungen. Darüber hinaus zeigte eine umfassende Literaturrecherche eine breite Palette von internationalen im Rahmen der Gesundheits- und Pflegeversorgung wahrgenommenen Versorgungskonzepten und Rollen von Pflegepersonen, die bedarfsorientiert in einer starken Differenzierung der Berufsbilder zum Ausdruck kommt.“
Keine Frage, in dem Erstentwurf wurden jedenfalls – so auch Rottenhofer – bei den möglichen erweiterten Agenden für das Krankenpflegepersonal zahlreiche, vor allem aus West- und Nordeuropa stammende Modelle übernommen (Wound Care Nurses, Diabetes Care Nurses etc.): „In Österreich haben sich bereits seit Jahrzehnten diese Spezialsierungen auf Ebene von Weiterbildungen etabliert, die Weiterentwicklung in Richtung Advanced Nurse Practitioner ist die logische Konsequenz. Basis dafür lieferte das Kompetenzmodell für Pflegeberufe des International Council of Nurses (ICN) sowie unterschiedliche Länderkonzepte anderer Länder, wie unter anderem USA, Belgien, Deutschland, Schweiz.“
Genug, um Unmut bei Ärztevertretern auszulösen. Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK): „Wir sehen uns das sehr, sehr strukturiert an. Bisher erscheint das absolut untragbar. Es mag manche Dinge schon in anderen Ländern geben. Aber das wurde zusammengefasst, ohne auf die Strukturen in Österreich Rücksicht zu nehmen, ohne Qualitätssicherung und ohne Rücksicht auf die Organisationsabläufe.“
Ganz ähnlich sieht es auch Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer: „Wir haben zu wenige Schwestern und zunehmend auch zu wenige Ärzte.
Man hat solche Systeme in Ländern mit einem massiven Ärztemangel etabliert. Aber ich möchte von jemandem behandelt werden, der auch für seine Tätigkeit ausgebildet ist.“
Nationalratsabgeordneter Dr. Erwin Rasinger griff inzwischen zum Mittel einer parlamentarischen Anfrage an Gesundheitsminister Alois Stöger. „Man hat den Eindruck, als hätte man da alles zusammengeschrieben, was es irgendwo auf der Welt gibt. In den vergangenen 25 Jahren hat das Diplomkrankenpflegepersonal immer gesagt, es will mit ärztlichen Tätigkeiten gar nichts zu tun haben. In Großbritannien gibt es vielleicht eine Diabetes Nurse, eine Wound Nurse, aber für uns ist das nichts. Obwohl Blutabnahmen durch das Krankenpflegepersonal möglich wären, haben wir Dozenten, die das tun müssen. Zu fragen ist auch: ‚Wer pflegt dann noch?‘“, so Rasinger.
In der letzten Septemberwoche fand in Wien eine erste Gesprächsrunde der Bundesfachgruppenobleute der ÖÄK mit den für die Initiative GÖG-Verantwortlichen statt. Mayer: „Es gab aufseiten der Ärzte breite Ablehnung. Das Papier wird überarbeitet. Dann soll es an alle Bundesfachgruppen der ÖÄK gehen.“
Auf die Frage, ob man einen Konsens erzielen wolle, erklärte Rottenhofer: „Bis zur Fertigstellung des Konzeptes wird Konsens angestrebt. Ist dieser nicht herzustellen, ist laut Auftraggeber zu den strittigen Punkten eine vertiefte Evidenzrecherche durchzuführen und weiterer Dissens mit Begründung auszuweisen.“