Lieferengpässe ja, aber keine Versorgungsengpässe!

Interview mit: Dr. Josef Probst

 

Was sind Gründe für Liefereng­pässe?

„Die Medikamentenlieferkette ist komplex, und ihre Effizienz beruht auf der Leistung jeder einzelnen Station, einschließlich der Rohstofflieferanten, Hersteller, Großhändler bis hin zu öffentlichen Apotheken. Fällt ein Glied der Kette aus, kann es zu Auslieferungsschwierigkeiten kommen.“

Wie ist aus Ihrer Sicht die Situation in Österreich?

„Wir haben in Österreich eine ausgezeichnete Arzneimittelversorgung, bislang ohne relevante Probleme. In Österreich sind pharmazeutische Unternehmen gesetzlich verpflichtet, die Lieferfähigkeit der im Erstattungskodex angeführten Heilmittel in der Mindestausstattungsmenge sowie in der laufenden bedarfsorientierten Menge sicherzustellen. Bei Lieferschwierigkeiten von voraussichtlich mehr als einem Monat hat das Unternehmen den Hauptverband unverzüglich zu informieren.
Mit Stand Mai wurden uns von Seiten der pharmazeutischen Unternehmen rund 100 Produkte mit kurzfristigen Lieferschwierigkeiten gemeldet worden. In allen Fällen stehen wirkstoffgleiche oder wirkstoffähnliche Alternativen zur Verfügung. Vielfach sind nur einzelne Packungsgrößen oder Darreichungsformen kurzfristig knapp. Von einem Versorgungsengpass kann daher nicht gesprochen werden.“

Ist Österreich als Niedrigpreisland und Kleinabnehmer ein unattraktiver Markt?

„In Österreich bestehen klare, institutionalisierte und allgemein bekannte Regeln zur Erstattung von Medikamenten. Es ist klar festgelegt, welche Preisbildungsregeln einzuhalten sind, um in den Erstattungskodex aufgenommen zu werden. Dadurch bieten wir den Marktteilnehmern eine gesetzlich geregelte, langfristige Sicherheit. Österreich ist ein attraktiver Markt mit raschem Zugang zu Innovationen. Wir sind von der Marktgröße Nummer 13 in Europa.
Ein Unternehmen kann auch entscheiden, seine Produkte in Österreich außerhalb des Erstattungskodex zu platzieren und somit selbst den Preis zu bestimmen, den es unternehmenspolitisch als optimal erachtet. Dieser Strategie folgen einzelne internationale Konzerne. Bei hochpreisigen Produkten, wo die jeweiligen Konzerne Monopolanbieter sind – etwa bei HIV-Präparaten oder Orphan drugs –, ist dies eine gängige Praxis: Die Konzerne bestimmen die Monopolpreise. Erfolgreich verhandeln können wir nur dort, wo es mehrere Anbieter gibt.“

Wo sehen Sie Optimierungspotenzial?

„Lieferengpässen können unterschiedlichste Ursachen zugrunde liegen. Deshalb gibt es auch keine singuläre Optimierungsmaßnahme, mit der sie sich pauschal überwinden ließen. Klar ist, dass die Pharmawirtschaft als Branche insgesamt Versorgungsverantwortung hat. Das beginnt bei der Frage, wie viele Packungen in der Apotheke verfügbar sind, und endet bei der Frage, ob die Konzerne ohne Niederlassung ausreichend Produkte verfügbar haben. Das Gesundheitswesen und besonders die Sozialversicherung haben ein hohes Interesse an einer problemlosen Lieferfähigkeit. Nachdenken sollten wir, in welchen Punkten Lieferfähigkeits- und Lagerhaltungsvorschriften weiterentwickelt werden sollten.“

Was kann der Hauptverband beitragen?

„Die österreichische Sozialversicherung hat ein vitales Interesse an einer lückenlos qualitätsgesicherten Versorgung ihrer Versicherten. Wir werden die einzelnen Elemente der Medikamentenlieferkette genauer betrachten und ihre Ursachen verfolgen. Wir bitten dazu um Unterstützung der Partner der Pharmawirtschaft, die genaue Wahrnehmungen zu den Ursachen kurzfristiger Lieferschwierigkeiten haben.“

Welche Maßnahmen erwarten Sie von der Politik?

„Ich meine, dass eine sachliche Diskussion über sinnvolle Dimensionen einer Vorratshaltung geführt werden muss. Wir befinden uns in keiner Notsituation, es ist aber angemessen, auf schwache Signale zu reagieren, die sich am Horizont abzeichnen können.“

 

 

Interwiev mit: Prof. Dr. Heinz Krammer

Was sind Gründe für Lieferengpässe?

„Die Gründe für Lieferengpässe, also eine zeitlich befristete Nichtverfügbarkeit eines Arzneimittels, sind natürlich vielfältig. Die Bandbreite reicht von der Konzentration von Fertigungsstätten, höheren Qualitätsansprüchen durch regulatorische Anforderungen und der steigenden globalen Nachfrage bis zu Fehleinschätzung des Bedarfes durch die Industrie, vor allem rund um den Zeitpunkt von Patentabläufen. Auch die mangelnde Information der Ärzte bei längerer Nichtlieferbarkeit bzw. Auflassung von Medikamenten führt zu völlig unnötigen Störungen. Weiters kann der Umbau von Produktionsstätten, etwa um diese GMP-konform zu modifizieren, kurzfristig zu Verzögerungen führen. Ein Problem mit dem auch Österreich zu kämpfen hat, ist das Phänomen des Parallelexports. Es könnte durch das Einführen von ‚public service obligations‘ deutlich gemildert werden. Das heißt, der Großhandel müsste dazu berechtigt werden, alle Waren – in der für Österreich nötigen Menge – zu beziehen und parallel dazu verpflichtet werden, noch strenger darauf zu achten, dass keine Medikamente re-exportiert werden.“

Wie ist aus Ihrer Sicht die Situation in Österreich?

„Wir haben in Österreich in der Regel keine Versorgungsengpässe, mit wenigen Ausnahmen in der Vergangenheit. Reine Lieferengpässe gibt es allerdings regelmäßig. Die bald lancierte Transparenzdatenbank des Großhandels und der Industrie (siehe Seite 14) wird dazu beitragen, Apotheker rechtzeitig über Arzneimittelengpässe zu informieren.“

Ist Österreich als Niedrigpreisland und Kleinabnehmer ein unattraktiver Markt?

„Aus meinen Erfahrungen als Mitglied der Heilmittelevaluierungskommission kann ich sagen, dass die Preisbildungsvorschriften für den Erstattungskodex des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger über kurz oder lang dazu führen werden, dass wir mit Versorgungsengpässen konfrontiert werden. Es wird auf Dauer nicht toleriert werden, für einen Markt mit 8 Millionen Einwohnern den Preis für ganz Europa kaputt zu machen. Es muss daher ein Umdenken in der Preispolitik der Krankenkassen stattfinden.“

Wo sehen Sie Optimierungspotenzial?

„Optimierungspotenzial sehe ich in der rechtzeitigen Kommunikation von eventuellen Engpässen sowie der Bekanntgabe, wann ein Produkt wieder verfügbar sein wird. Ein weiterer Punkt ist die Krisenbevorratung. Immerhin 25 % der Arzneimittel werden mittlerweile im Ausland gelagert und importiert. Unvorhersehbare Ereignisse – bspw. Umweltkatastrophen oder Personalstreiks – können zu Engpässen führen. Die PHAGO tritt deshalb dafür ein, inländische Krisenlager einzurichten, um Engpässe umschiffen zu können. Auch den Trend des direkten Vertriebs von der Industrie an die Apotheken sehe ich kritisch, da dadurch keine Reserve im Großhandel verfügbar ist.“

Was kann der Großhandel beitragen?

„Der Großhandel ist bemüht, dass so wenige Produkte wie möglich über den Direktvertrieb vertrieben werden. Immerhin ist die Großhandelsspanne durch die starke Degression mit einer jährlichen Senkung von ca. 0,1–0,15 % rückläufig, und das bei laufend steigenden Kosten. Diese Schere wird weiter auseinanderklaffen, es sei denn, die Umsätze können ausgeweitet werden, was jedoch in den vergangenen Jahren nicht möglich war. Das wird langfristig dazu führen, dass sich der Großhandel auf wenige Player konzentrieren wird. Das Auflassen des einen oder anderen Lagers wird das Risiko für Lieferengpässe sicher nicht reduzieren.“

Welche Maßnahmen erwarten Sie von der Politik?

„Es ist paradox, dass Österreich als reiches Land unterdurchschnittliche Arzneimittelpreise hat. Die Folge ist, dass immer mehr Medikamente die Hürde in die Kassenerstattung nicht schaffen, weil Konzerne nicht bereit sind, deutlich unter den europäischen Preisdurchschnitt zu gehen. Ich wünsche mir daher, dass bei der Preisbildung von innovativen neuen Produkten mehr Rücksicht darauf genommen wird, dass Österreich ein international eingebundenes Land ist und wir nicht völlig abgeschottet Preise festlegen können. Für lebensnotwendige Produkte, bspw. Antidiabetika, wünsche ich mir weiters die bereits erwähnte Krisenbevorratung über den Großhandel in Österreichs Hauptstädten. Diese wäre nicht so teuer, da lediglich die Finanzierungskosten der zusätzlichen Lagerbestände zu tragen wären. Allein durch den jährlichen Beitrag des Großhandels aufgrund des abgeschlossenen Rahmenpharmavertrages zur Sanierung der Krankenkassen – die ja abgeschlossen ist – könnte ein Krisenlager im Großhandel von rund 50 Mio. Euro aufgebaut werden. Die Problematik eventueller Versorgungsengpässe könnte damit deutlich gemildert werden.“

 

 

Interwiev mit: Dr. Christoph Baumgärtel, MSc,

Was sind Gründe für Lieferengpässe?

„Grundsätzlich ist ein fortschreitender Zusammenschluss von Unternehmen zu beobachten. Für einige Präparate gibt es daher manchmal nur ein oder zwei Hersteller. Durch diese Monopolisierungen kann es zu Produktionsschwierigkeiten kommen, wovon die Lieferfähigkeit kurz- oder manchmal auch mittelfristig betroffen sein kann. Ein weiterer Grund sind die steigenden GMP-Anforderungen an die Qualität der Arzneimittel. In vielen Fällen gelingt es der AGES gemeinsam mit den Produzenten eine Lösung zu finden, z. B. dass der zweite Hersteller seine Produktion hochfährt oder wir Ersatzkontingente für den Import finden. Das dauert aber naturgemäß einige Zeit und geht nicht immer von heute auf morgen. Umso wichtiger ist es für die AGES, rechtzeitig eine Engpass-Meldung vom Hersteller zu erhalten, um koordinierend und unterstützend eingreifen zu können.“

Wie ist aus Ihrer Sicht die Situation in Österreich?

„Die AGES beobachtet die aktuellen internationalen Entwicklungen sehr sorgfältig, da die Arzneimittelproduktion global ist und Engpässe in anderen Ländern auch Österreich betreffen können. Im Vergleich mit anderen Staaten wie den USA steht Österreich aber relativ gut da. Wir haben zwar einige temporäre Lieferengpässe, wirkliche Versorgungsengpässe hingegen können wir an einer Hand abzählen. Eine Auflistung der aktuell betroffenen Arzneispezialitäten inklusive der Ursachen kann auf der BASG-Homepage abgerufen werden.“

Wo sehen Sie Optimierungspotenzial?

„Hier möchte ich drei Punkte anführen:

  1. Grundsätzlich sollte nach Möglichkeit eine Monopolisierung der Herstell- und Produktionsstandorte vermieden werden. Dies gilt sowohl für Fertigprodukt- als auch Wirkstoffhersteller. Dadurch kann verhindert werden, dass es bei Produktionsschwierigkeiten zu weitreichenden Produktionsausfällen und damit Versorgungsproblemen kommt.
  2. Die Lagerhaltung wird zunehmend EU-weit zentralisiert. Der Ausbau von Lagerkapazitäten auf nationaler Ebene könnte die Lage entspannen und dazu führen, dass die benötigten Produkte vor Ort sind und im Falle des Falles nicht erst quer durch die EU transportiert werden müssen.
  3. Der Parallelhandel sollte immer mit Augenmaß betrieben werden. Hier haben Arzneimittelhändler eine hohe Verantwortung. Es muss trotz freiem Warenverkehr sichergestellt sein, dass der Parallelhandel nicht dazu führt, dass benötigte Ware fast ausschließlich ins EU-Ausland verkauft wird und somit die Versorgung innerhalb des eigenen Landes nicht mehr gewährleistet ist.“

Welche Maßnahmen erwarten Sie von der Politik?

„Derzeit besteht eine Meldepflicht, wenn das Inverkehrbringen eines Arzneimittels eingestellt wird (AMG §21.2) und wenn ein Engpass aufgrund von Rückrufen und/oder Qualitätsmängeln aufgetreten ist (AMBO §34). Es wäre überlegenswert, die bestehende Meldepflicht auch auf Kapazitätsengpässe – wie sie zuletzt z. B. bei Impfungen auftraten – auszuweiten. In den USA wird dies bereits praktiziert, mit bisher sehr guten Erfahrungen.

 

Die Statements der Österreichischen Apothekerkammer und der Pharmig sind in der Ausgabe 10 der Apotheker Krone nachzulesen.