Wiener Gesundheitssystem am Abgrund: Spitalsarzt als Sisyphus

Amateurhafte Personalplanung

klinik: Wurde in den letzten Wochen ein Entgegenkommen seitens der Gemeinde Wien erzielt?

Szekeres: Es wurden einige Punkte konkretisiert, allerdings keine so substanziellen Veränderungen erzielt, dass das Gesamtpaket angenommen werden konnte.

Primär strittiger Punkt war ja die Einsparung von knapp 400 Planstellen?

Das war der Hauptkritikpunkt. Es steht jetzt zwar keine konkrete Zahl an einzu­sparenden Stellen mehr drinnen, und es wird auch erwähnt, dass punktuell Stellen ­vermehrt werden müssten, allerdings hat sich die Stadt Wien nicht dazu bekannt, den Personalstand zu halten oder adäquat anzupassen. Die Kolleginnen und Kollegen fürchten daher noch immer Personalreduktionen – und dementiert wurde das nie. Gleichzeitig kommt es zu einer Arbeitsverdichtung. Es gibt jetzt schon in vielen Bereichen Schwierigkeiten, Dienste zu besetzen. Weitere Personaleinsparungen sind nicht machbar, außer man reduziert die Leistungen, und dazu hat sich ja niemand bekannt.

Aber de facto passiert es ja?

Ja, es passiert, aber es wird versucht, es zu verschweigen.
Es kommt zur Reduktion von OP-Kapazitäten, es sind Nachtdiensträder nicht besetzbar. Ein Beispiel ist die Notfallaufnahme im KH Hietzing. Es gibt Abteilungen, die nicht funktionieren, wie die HNO im Donauspital, weil es dort zu wenige Fachärzte gibt. In der Semmelweisklinik soll mit 1. Juli der Kinderarzt-Nachtdienst eingespart werden. Das sind nur Beispiele. Gleichzeitig sehen wir im niedergelassenen Bereich ein Herunterfahren der Kassenstellen bei einer wachsenden Wiener Bevölkerung, d. h. das öffentliche Gesundheitssystem wird reduziert. Das bereitet uns Sorge!

Die Stadträtin hat das Vorgehen der Ärztekammer als unseriös bezeichnet.

Was genau daran unseriös ist, weiß ich nicht. Wir finden die beabsichtigte Personal­reduktion ohne Begleit- und Strukturmaßnahmen ignorant, gleichzeitig sind wir bereit, mit der Krankenkasse und der Stadt Wien über Veränderungen des gesamten Wiener Gesundheitssystems zu sprechen. Aber da hat es seitens der Stadt Wien noch keine Rückmeldung gegeben.

Wie schätzen Sie den Personalbedarf aufgrund der Arbeitszeitreduktion ein?

Das muss pro Abteilung untersucht werden!

Im Auftrag des KAV war eine Beratungsfirma unterwegs …

Diese Beratungsfirma hat in der Kalkulation schwere Fehler gemacht! Für die Nachtdienste wurden Primarärzte mitgerechnet, es wurde nicht nach Qualifikation (d. h. Facharzt oder Turnusarzt) differenziert, und es wurde mit falschen Absenzen kalkuliert. Auf Basis dieser Kalkulation hat man versucht, die Primarärzte zu nötigen, auf Diensträder und Personal zu verzichten. Darüber hinaus gibt es keine komplette Leistungserfassung ambulanter Leistungen. Aber ohne Leistungserfassung und Leistungsplanung eine Personalplanung zu machen ist amateurhaft. So kann man einen Konzern wie den KAV nicht führen.

Interview mit: Dr. Thomas Szekeres

Präsident der Wiener Ärztekammer

Foto: Franz Pfluegl


AutorIn: Susanne Hinger

Klinik 02|2015

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2015-05-07