Für mich persönlich ist DDW auch etwas Besonderes, da ich heuer zum 37. Mal in ununterbrochener Reihenfolge teilgenommen habe: 1975 (damals erst 3.500 Teilnehmer) hielt ich in San Antonio, Texas, einen Vortrag über die Magenentleerung beim Hund vor und nach superselektiver Vagotomie, Forschungsarbeiten, die ich als gastoenterologischer Assistent in Zürich durchführte, 1981 eröffnete ich die Plenarsitzung in New York vor 3.000 Zuhörern mit unserer Arbeit aus Dallas über Laserphotokoagulation bei blutenden Ulcera und 1985 war ich Associate Director für den Postgraduate Course in San Francisco. Nach diesen Reminiszenzen zwei ausgewählte Themen: Barrett-Ösophagus und Mikrobiota.
Die von Norman Barrett vor 65 Jahren beschriebene Auskleidung des distalen Ösophagus hat uns in den letzten Jahren viel beschäftigt und zu zahlreichen Publikationen geführt. Die Barrett-Schleimhaut mit intestinaler Metaplasie gilt als Präkanzerose und es gibt kein anderes Karzinom als das Adenokarzinom des distalen Ösophagus mit einer größeren Zunahme der Inzidenz: 300% in den letzten 30 Jahren. Während vor einigen Jahren die Entstehung von Krebs in einer Barrett-Mukosa mit 2% pro Jahr beziffert wurde, haben die Arbeiten von Stuart Spechler (Dallas) gezeigt, dass es “nur” 0,4% pro Jahr sind. Bei der DDW 2011 wurden Zahlen präsentiert, die diese Rate noch weiter nach unten rücken, nämlich auf 0,15%, also 15 Karzinome pro Jahr/10.000 Barrett-Patienten. Dies ist immerhin noch ein 100-fach höheres Risiko für ein Adenokarzinom des Ösophagus im Vergleich zur Normalbevölkerung. Für eine hoch dosierte Protonenpumpenhemmertherapie (PPI, doppelte Standarddosis von Esomeprazol) wurde gezeigt, dass die Proliferationsrate in der Barrett-Schleimhaut signifikant reduziert wird. Ob dies ein günstiger Marker für weniger Adenokarzinome in der Zukunft ist, bleibt abzuwarten. Nach einer jetzt vielfach propagierten Ablation der Barrett-Schleimhaut mit intraepithelialer Neoplasie (photodynamische Therapie oder Radiofrequenzablation) gibt es trotz PPI-Begleittherapie Rezidive (17% in 3 Jahren bei PDT und 25% bei Radiofrequenzablation). Das “neosquamous epithelium” oder neu gebildete Pflasterepithel nach Ablationsbehandlung hat nicht dieselben Qualitäten wie normales Pflasterepithel (Dichte der “tight junctions” oder Kittleisten, Durchlässigkeit und Widerstand in vitro) und es bleibt abzuwarten, ob dies von klinischer Konsequenz ist. Offen bleibt beim Barrett auch die Frage, ob die Zellen der intestinalen Metaplasie (einschließlich der zur Identifikationen so prominenten Becherzellen) von einer Mutation des Plattenepithels kommen oder von eigenen Stammzellen eingebracht werden.
Eine Vielzahl von Sitzungen und Vorträgen widmete sich der Welt der Mikroorganismen im Darm, der Mikrobiota. Es ist dies ein Gebiet, das derzeit intensiv beforscht wird und auf dem in Zukunft weitere, wichtige Erkenntnisse zu erwarten sind. Viele Institute haben so wie wir in Graz die 16S-rRNA-Pyrosequenzierung zur Verfügung, mit der sich das Mikrobiom eines Einzelnen charakterisieren lässt und Veränderungen durch Diät, Therapie und andere Einflüsse genau festgestellt werden können. Der slowenische Mikrobiologe A. Trampuz in Genf hat es unlängst so formuliert: Mit 1013 Zellen im Körper, aber 1014 Zellen von Mikroorganismen im Darm sind wir eigentlich nur 10% Mensch in unserem Biosystem (“Metabolom”), 90% sind kommensale Bakterien. Der menschliche Dickdarm ist damit “one of the most densly populated microbial communities on earth”. Dabei haben wir über 1.000 Bakterienspezies an Bord. Je größer die Diversität, umso günstiger erscheint es für die Bewahrung der immunologischen Toleranz dieser Bakterienwelt gegenüber und für das Aufrechterhalten einer ausgewogenen Immunität (“innate immunity”). Feinstaub verringert die mikrobielle Diversität (ist deshalb die Stadtbevölkerung schlechter dran?) und Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen haben eine deutlich reduzierte Diversität (und zu viel von einigen Bakterien, wie z. B. Enterobacteriaceae, einschließlich adhärente und invasive E. coli). Die Diät hat ebenso einen großen Einfluss auf diese Biodiversität im Kolon und eine Reaktion auf Diätwechsel erfolgt sehr schnell. Eine Westlicher- Stil-Diät mit viel Fett und Kohlenhydraten reduziert ebenfalls diese Biodiversität. Bei Diätänderung (z. B. viel Fruktose, viel Fett, viel Kohlenhydrate) ändert sich die Zusammensetzung der Mikrobiota innerhalb von 24 Stunden. Die Einnahme von Antibiotika hat darauf ebenfalls einen enormen Einfluss. Bei reduzierter Diversität entstehen “Lücken”, die z. B. durch Überwucherung von Clostridium difficile zur allen bekannten pseudomembranösen Kolitis führen können oder zur weniger bekannten segmentalen hämorrhagischen Kolitis durch Klebsiella oxytoca.
Die Sequenzierung des Mikrobioms von Menschen auf vier Kontinenten hat ergeben, dass es gar nicht so viele große Verteilungsmuster dieser mehr als 1.000 Bakterienspezies gibt. Es wurden dabei 3 Haupt-Cluster festgestellt, so genannte Enterotypen (Bacteroides, Prevotella und Ruminococcus). Vielleicht bedeutet dies, dass nur wenig gut balancierte Symbiosen zwischen Wirt und Mikrobiota günstig sind, um den Herausforderungen von verschiedener Nahrung, Medikamenteneinnahme und oraler Aufnahme von Sonstigem gerecht zu werden.
Spekulationen über Probiotika-Einsatz: Eine interessante Beobachtung betrifft auch die Interaktion von Nahrung und Mikorbiota bei der Entstehung der Fettleber. Eine cholinarme Diät (wie sie sich z. B. bei jejunoilealem Bypass ergibt) führt dann zur Leberverfettung, wenn die Mikrobiota nicht die Fähigkeit hat, Cholin zu produzieren (wenn das Taxon Erysipelotrichi überwiegt statt des Taxons Gammaproteobacteria). Zusammen mit dem schon früher festgestellten Unterschied der Mikrobiota bei Dicken (mehr Fumicutes) und Dünnen (viel Bacteroidetes) eröffnet dies weitreichende Spekulation für die zukünftige Verwendung von Probiotika in der Medizin.