Viele sorgen sich um die zukünftige medizinische Versorgung der Bevölkerung – angesichts der Tatsache, dass viele Kollegen aus der Babyboomer-Generation in einigen Jahren in Pension gehen werden, könnte das eine durchaus berechtigte Sorge sein. Besteht überhaupt Grund zu Sorge? Wenn ja, welche Maßnahmen sind angedacht?
SC Dr. Clemens Martin Auer vom BMG sieht zwar „ernste Probleme, aber noch keine dramatischen Entwicklungen wie einen Zusammenbruch des Systems. Problematisch ist, dass sich offensichtlich viel zu wenige Ärzte angesprochen fühlen, Allgemeinmedizin betreiben zu können oder wollen. Die zweite Geschichte ist die Attraktivität des ländlichen Raumes für die Berufsausübung ganz generell. Diese beiden Themenkreise greifen ineinander und erzeugen ein gewisses Problem, dem wir uns stellen müssen. Die Antwort kann – auch in den Städten – nicht sein, dass alle 300 Meter ein Allgemeinmediziner sitzt, das hat mit wohnortnaher Versorgung nichts zu tun. Was wichtig ist, sind wohnortnahe Versorgungsstrukturen – und die sollen in Zukunft besser organisiert und auch besser aufeinander abgestimmt werden. Primärversorgung braucht eine neue, größere Organisationsdichte. Dazu werden vertragliche und insbesondere ökonomische Rahmenbedingungen benötigt, und die versuchen wir auf den Weg zu bringen. Und wenn uns das gelingt, dann wird wahrscheinlich auch die Tätigkeit des Allgemeinmediziners wieder attraktiver werden, egal ob im urbanen oder ruralen Setting. Meine Grundbotschaft ist eine schlichte: ‚More of the same‘ löst das Problem nicht“.
Das geplante PHC-Gesetz sei kein Gesetz gegen Ärzte oder andere Gesundheitsberufe, sondern „es soll ein Gesetz für Ärzte und andere Gesundheitsberufe sein. Und der Verbesserung der Strukturen dienen.“ Ein wesentlicher Punkt sei die Stärkung der Zusammenarbeit und dafür brauche es „völlig neue Vertragsverhältnisse zwischen den Primärversorgern und der Sozialversicherung, denn das derzeitige Vertragsregime ist nicht in der Lage, moderne Primärversorgung sicherzustellen. Das weiß auch die Sozialversicherung. Die Verträge, und damit der Gesamtvertrag, müssen anders als derzeit aussehen. Das verursacht natürlich Unruhe, aber unser Ziel ist, dass am Ende der Reise etwas Besseres herauskommt und auch Bezahlsysteme gefunden werden, die die Tätigkeit eines Allgemeinmediziners besser unterstützen, als das heute der Fall ist. Ich glaube, wenn der Gesetzesentwurf endlich das Licht der Welt erblickt und auch bei den Stakeholdern ankommt, wird sich sehr vieles aus Mystifizierung in Luft auflösen“.
Es gehe nicht um Staatsmedizin oder um Einschränkung der freien Arztwahl oder darum, dass Primärversorgung nur mehr in Zentren betrieben werden solle. „Aber es muss klar sein, dass Organisationsvielfalt auch bedeutet, dass es Trägervielfalt geben wird. Ärzte sind gut beraten, diese Trägervielfalt auch auszunützen. Was wir verlangen werden, sind Rechtspersönlichkeiten der Zusammenarbeit – egal ob es sich um zentrale oder dislozierte Gruppenpraxen – mit einem verbindlichen Versorgungskonzept handelt. Im Minimalfall kann das ein Verein sein.“
In einer Primärversorgungseinheit könnten sich die dort teilnehmenden Ärzte und die nichtärztlichen Gesundheitsberufe in einer Vielzahl von Möglichkeiten organisieren. „Es geht uns darum, den Verbindlichkeitsgrad der Zusammenarbeit zu erhöhen. Das alte Vertragsregime wird bestehen bleiben, es wird auch kein Arzt gezwungen werden, durch das Gesetz in eine völlig neue Welt einzusteigen. Er kann dort bleiben, wo er ist, so lange er seinen Vertrag hat. Es wird auch in Zukunft solche ‚alten‘ Verträge geben. Ob die dann allerdings noch attraktiv sein werden, sei dahingestellt. Was wir aber verlangen können, ist eine dichte Organisation mit der Kollegenschaft, und dieses „Sich organisieren“ muss in einer Rechtspersönlichkeit stattfinden. Und das soll nach innen und außen verbindlich sein und muss auch gegenüber dem Kostenträger Sozialversicherung als Einheit wahrnehmbar sein. In der Gruppenpraxis wird es über den ärztlichen Teil der Leistungen einen Gesamtvertrag geben.“
Auer schildert auch eine mögliche unterstützende Finanzierung am Land: „Es gibt unter anderem Geld für Infrastruktur-Förderung im Rahmen von Sozial- und Gesundheitsprojekten, und zwar einen Finanzrahmen von 20 Millionen Euro bis 2020. Das ist ja auch ein Thema regionalpolitischer Wirtschaftsförderung. Es hat schon früher immer wieder Gemeinden gegeben, die einen Teil der Infrastruktur bzw. Organisation übernommen haben, um einen guten Gemeindearzt/Hausarzt/Landarzt anzusiedeln. Das ist in Wahrheit nichts anderes gewesen als Infrastrukturförderung. Wenn die politischen Strukturen in den ruralen Gebieten Interesse haben, Gesundheitsinfrastruktur für ihre Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, wird ihnen nichts anderes übrig bleiben – vor allem so lange nicht, so lange die ökonomische Ertragskraft einer solchen Versorgungseinheit nicht so viel erwirtschaften kann, dass die Investitionen alle refinanziert werden können.“
BM Dr. Sabine Oberhauser meint dazu: „Die medizinische Versorgung funktioniert derzeit aufgrund eines großen und dichten allgemeinmedizinischen Netzes. Ich glaube, dass man das durch gemeinschaftliche Organisationen attraktiveren sollte, ergänzend zur reinen Einzelordination. Immer öfter wollen Menschen nach ihrer Ausbildung im Spital nicht alleine in einer Ordination sitzen, sondern im Team weiterarbeiten. Viele scheuen unter Umständen die finanzielle Verantwortung einer selbständigen Tätigkeit. Wir versuchen zusätzlich zum Arzt als Unternehmer einen gemeinsamen Weg für diejenigen zu finden, die das eben nicht wollen, sei es durch Primärversorgungszentren oder Gruppenpraxen. Ob es auch eine Möglichkeit zur Anstellung von Ärzten durch Ärzte geben wird, werden die Verhandlungen zeigen.“
Mag. Bernhard Wurzer, Verbandsmanager im Hauptverband, meint: „Ich denke, wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Es ist nicht so, dass wir unmittelbar vor einem Zusammenbruch des Systems stehen. Aber wir sehen aufgrund der bevorstehenden Pensionierungswelle sehr wohl Herausforderungen für die Zukunft. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Gefahr laufen, als Kassenmedizin so unattraktiv zu wirken, dass es keinen mehr gibt, der hinein will – das gilt sowohl für die Interessenvertretung als auch für die Sozialversicherung. Zeitweise habe ich das Gefühl, dass der Arztberuf so schlecht gemacht wird, dass es kein Wunder ist, dass keiner mehr Arzt werden will. Meiner Meinung nach brauchen wir andere, verschiedene Modelle die den Anforderungen der Versicherten und der Ärztinnen und Ärzte gerecht werden. Denkbar wäre etwa, dass die Sozialversicherung auch Ordinationen finanziert, wenn zum Beispiel ein junger Arzt kein Vermögen in eine Ordination investieren will oder sie erst später abzahlen kann oder verstärkt Kooperationsmöglichkeiten und Job-Sharing-Modelle.“ Man werde auch über bestimmte Anreize für besonders periphere Regionen nachdenken müssen.
Der oberösterreichische Gesundheitsreferent LH Dr. Josef Pühringer skizziert die Situation in Oberösterreich: „Die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung ist in Oberösterreich derzeit gesichert. Es werden aber in den kommenden 15 Jahren in unserem Bundesland mehr als 50% der heute tätigen Fachärztinnen und Fachärzte sowie Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner in Pension gehen. Im niedergelassenen Bereich ist der drohende Ärztemangel Gott sei Dank noch nicht so spürbar wie im Spitalsbereich. Trotzdem nehmen wir das Thema sehr ernst. Land und OÖGKK bekennen sich dazu, die Versorgungsdichte in allen Versorgungsstufen (stationär, spitalsambulant und niedergelassener Bereich) zu prüfen, um darauf in den Planungen dem Bedarf entsprechend reagieren zu können. Dabei werden wir auch besonderes Augenmerk darauf legen, in welchen Regionen und in welchen speziellen Fächern in den nächsten Jahren auf eine besondere Nachwuchssicherung geachtet werden soll.
Für die Qualität der Versorgung im ländlichen Raum ist ja gerade die Sicherung der Hausärzte als erste Ansprechpartner in Gesundheitsfragen für die Bevölkerung ganz entscheidend. Auf meine Initiative wird daher derzeit gemeinsam mit OÖ Gebietskrankenkasse, Ärztekammer und Spitalsträgern auf Expertenebene ein konkretes Maßnahmenpaket zur Sicherung des ärztlichen Nachwuchses erarbeitet. Die von mir seit Langem geforderte Reform der Ärzteausbildung mit verpflichtender Lehrpraxis wurde auf Bundesebene nun endlich umgesetzt.
Die Schaffung der Medizinischen Fakultät in Linz ist natürlich ein wichtiger Schritt, um Oberösterreichs Medizinstudentinnen und -studenten auch nach Abschluss ihres Studiums im Bundesland halten zu können. Sie wird mittelfristig ebenfalls wesentlich zur Entspannung der Situation beitragen können.
Der Hausärztliche Notdienst (HÄND) ist in Oberösterreich bereits in zahlreichen Bezirken umgesetzt und bringt viele Vorteile für Patienten und Ärztinnen/Ärzte. Die Organisation der Notfallnummer 141 erfolgt über das Rote Kreuz, das auch die jeweiligen Anliegen koordiniert. Dadurch ist eine treffsicherere Kommunikation mit dem zuständigen Arzt gewährleistet. Der HÄND soll in Oberösterreich flächendeckend ausgebaut werden, die Entscheidung liegt bei den Ärzten in der Region.“