Alois Stöger: In den Regierungsverhandlungen 2013 wurde die Studie ursprünglich nur für den Verwaltungsbereich gefordert; mit der Frage, wo man Kosten senken könnte. Verhandelt hat das damals Hans Jörg Schelling, der auch Hauptverbandspräsident und Vizepräsident der Wirtschaftskammer war. Wir wollten hingegen, dass man das gesamte System betrachtet und dass das jemand Unabhängiger von außen macht, mit einem neutralen Blick, der über den heimischen Stakeholdern steht. So fiel dann auch die Wahl auf die London School of Economics and Political Science. Herausgekommen ist klar, dass die Diskussion über die Träger eine verkürzte ist. Wenn man nun wieder nur über Strukturen und die Anzahl der Sozialversicherungsträger diskutiert, verstellt das den Blick. Die Sozialversicherung ist im Gesundheitswesen einer von mehreren Akteuren. Es braucht ein besseres Zusammenspiel aller. Jede Form der Zusammenlegung braucht nämlich zuerst eine Harmonisierung der Leistungen. Und das ist genau das, was man laut Studie auch sofort machen kann. Änderungen in der Struktur sind bei drei der vier Modelle erst nach dieser Leistungsharmonisierung möglich – also Jahre später. Demgegenüber steht das vierte Modell, das auf stärkere Vernetzung der Träger setzt. Nur dieses Modell erlaubt sofort Verbesserungen der Leistungen und gleichzeitig der Strukturen. Genau dieses Modell präferieren wir.
Will man Kosten im Gesundheitswesen senken, geht das zu Lasten der Menschen. Mein Ziel ist anders. Ich will mit den eingesetzten Mitteln das Bestmögliche für die Menschen erreichen. Ich frage, was man tun muss, um das System effizienter zu gestalten und gleichzeitig die Leistungen für die Menschen zu verbessern. Für mich hat also eine Harmonisierung nur einen Sinn, wenn es darum geht, Leistungen nach oben anzugleichen.
Ja, das wird mehr kosten. Eine Harmonisierung kostet jährlich bis zu 500 Millionen Euro mehr. Der Schwerpunkt davon liegt im Gesundheitswesen und geht in Heilbehelfe, Hilfsmittel, Krankengeld und Leistungen wie Psychotherapie, Zahnersatz und Kieferorthopädie.
Es braucht keine zusätzlichen Einnahmen. Das zeigt die Studie ganz klar, das Geld ist da. Zum einem sollten wir die Relation beachten: 500 Millionen sind weniger als ein Prozent des gesamten Sozialversicherungsbudgets. Wir wollen mit den Vorschlägen der Studie bei den Verwaltungskosten pro Jahr rund 120 Millionen Euro sparen. Und zwar durch eine stärkere Vernetzung in der Verwaltung, zum Beispiel durch eine gemeinsame Lohnverrechnung, durch eine Vereinheitlichung der EDV oder den besseren Einsatz von ELGA. Darüber hinaus wollen wir Geld im System besser verteilen. Aktuell gibt es Träger, die vorwiegend stabil Beschäftigte versichern, diese Träger erwirtschaften teilweise große Überschüsse, während sich andere bessere Leistungen nicht leisten können. Hier muss man ansetzen. Geld muss auch durch einen konsequenten Kampf gegen Irrtum und Betrug kommen. Gerade bei den Einnahmen der Gebietskrankenkassen gibt es Möglichkeiten, etwa wenn es um Scheinfirmen geht oder verspätete Zahlungen von Unternehmen.
Die Studie hat gezeigt, dass Österreichs Sozialversicherung im Bereich der Verwaltung im internationalen Vergleich effizient arbeitet. Günstiger bei vergleichbaren Ländern ist hier nur Japan. Von der Freiheit des Zugangs her haben wir sogar das liberalste System. Auch bei der Zufriedenheit der Versicherten liegen wir sehr gut. Das zeigt, dass das, was wir tun, sicherlich nicht falsch ist. Aber natürlich gibt es Effizienzpotenziale. Ein Kostenthema ist etwa die Medikation. Hier ist der Generikaanteil noch gering, die Preise wiederum sind am oberen Limit. Überraschend war, dass trotz der hohen Spitalslastigkeit die Kosten nur leicht überdurchschnittlich sind. Wenn man aber im Spitalsbereich einsparen will, muss man vorher den ambulanten Bereich ausbauen. Das passiert mit der Reform der Primärversorgung auch, wo die Gesundheitsministerin ja ein Strategiepapier mit zahlreichen Maßnahmen zur Stärkung der Hausärzte vorgelegt hat, um den Beruf attraktiver zu machen.
Wir wollen wie gesagt eine schrittweise Harmonisierung der Leistungen nach oben. Gleichzeitig wollen wir auch eine schrittweise Reduktion von Selbstbehalten. Auch im Krankenanstaltenbereich sollte es Anpassungen geben. Es stellt sich die Frage, ob Österreich wirklich zehn Krankenanstaltengesetze benötigt. Weiters muss die Prävention in den Vordergrund gestellt werden – vor allem was die Kindergesundheit betrifft. Wer früh hilft, hilft doppelt, und jeder in Prävention investierte Euro, spart später durchschnittlich fünf Euro im Gesundheits- und Sozialsystem. Und es braucht eine Verpflichtung der Sozialversicherungsträger, dass sie die innere Koordination verbessern. Dafür benötigen wir allerdings eine entsprechende gesetzliche Grundlage.
„Ohne Ärzte geht’s nicht“ so das Motto einer neuen Kampagne der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Viele politische Parteien treten zwar für die Stärkung der niedergelassenen Ärzte ein, ohne jedoch konkrete Schritte zu setzen, kritisierten die Spitzen der Kammer bei der Präsentation. Für die Österreicher, also auch die Wähler in der kommenden Nationalratswahl, seien Themen wie Gesundheit und Gesundheitsversorgung eines der wichtigsten. „Wer bei den Wahlen Stimmen dazugewinnen möchte, sollte dieser Priorisierung Rechnung tragen. Mit unserer Kampagne tragen wir dazu bei, dass der dringende Reformbedarf auf der gesundheitspolitischen Agenda bleibt“, sagte der Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte und ÖÄK-Vizepräsident, Dr. Johannes Steinhart.
Die Kernforderungen sind: Behebung des drohenden Ärztemangels, Reparatur des Primärversorgungsgesetzes und mehr ärztliche Kompetenz in die Politik. Auch die Leiterin des ÖÄK-Referats für Primärversorgung und ärztliche Zusammenarbeitsformen, Naghme Kamaleyan-Schmied, warnt vor Zentren, wie das neue Primärversorgungsgesetz sie vorschreibe: „Das ist eine echte Bedrohung für die wohnortnahe Versorgung. Denn ein Zentrum bedeutet zunächst für viele Patienten längere Wege zum Arzt, es kann auch den Verlust des Vertrauensarztes und das Ende derfreien Arztwahl bringen.“
Jetzt ist es fix: Bis Mitte 2019 soll die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) samt E-Medikation flächendeckend auch im niedergelassenen Bereich im Einsatz sein. Dies sieht der Roll-out-Plan vor, den Gesundheitsministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) nun in Begutachtung geschickt hat. Neben dem Beginn der Speicherverpflichtung von ELGA enthält der Entwurf vor allem einen exakten Roll-out-Plan für die rund 9.000 niedergelassenen Kassenärzte und die rund 1.400 Apotheken in Österreich.
Start ist im März 2018 im bisherigen Probebetrieb-Bezirk Deutschlandsberg. Zu den bestehenden ELGA-Dokumenten (Entlassungsbriefe, Labor- und Radiologiebefunde) kommt die elektronische Medikationsliste dazu. Apotheken sollen auch rezeptfreie Medikamente erfassen können. Geschaffen wird auch die Voraussetzung für den elektronischen Impfpass. Die niedergelassenen Ärzte, die Apotheken und Ambulatorien werden bei der Einbindung von ELGA in die eigene Software unterstützt. Das Ministerium stellt als Anschubfinanzierung mehr als zehn Millionen Euro zur Verfügung.
Als wichtigen Meilenstein bezeichnete Alexander Biach, Verbandsvorsitzender im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, den Entwurf. Besonders die E-Medikation werde helfen, Mehrfachverschreibungen und gefährliche Wechselwirkungen zu verhindern.