Mit Jahresende hat die Regierung den Weg für neue Kassenstellen und auch für eine neue Strategie durch die Reduktion des Ärztekammer-Einflusses frei gemacht, denn Kassenärzt:innen zu finden ist nicht immer leicht.
Die Regierung machte für das Problem das Mitspracherecht der Ärztekammer verantwortlich und hat dieses per Gesetzesänderung gekappt. Derzeit gibt es rund 300 offene Kassenstellen, erklärt Mag. Moritz Mitterer, Hauptversammlungsvorsitzender der ÖGK. Gleichzeitig will die Bundesregierung zusätzliche 100 Stellen schaffen – und das noch im Frühjahr. Die ÖGK bekommt rund 50 Millionen Euro pro Jahr für diese 100 Stellen und startet nun die Interessentensuche. Seit Jahreswechsel kann man sich auf der eigenen Website www.meine-eigene-praxis.at informieren und melden, für interessierte Student:innen soll es auch ein Buddy-System geben.
Neu dabei: Die ÖGK will nicht mehr ausschließlich bestimmte Stellen ausschreiben, sondern sucht generell Ärzt:innen, die an Kassenstellen interessiert sind. Mit diesen sucht man dann passende Stellen und tritt in Verhandlungen ein, erklärt ÖGK-Generaldirektor Mag. Bernhard Wurzer. Eine Änderung gibt es gesetzlich auch bei Pensionierungen: Eine selektive Kündigung von Kassenverträgen ist künftig nicht mehr möglich. „Es war oft so, dass eine große Kasse gekündigt wurde und kleine beibehalten worden sind. Damit war aber eine Ausschreibung der Kassenstelle schwer, weil jungen Ärzt:innen die anderen Kassen fehlten“, erklärt ÖGK-Obmann Andreas Huss. Für Stellen, die schwer zu besetzen sind, gibt es nun bis zu 100.000 Euro Startbonus. Aufgeteilt werden sollen die neuen Ärzt:innen nach einem Schlüsselsystem nach Bundesländern und Fachrichtung.
All das dürfte doch einen Nerv bei der Ärzteschaft getroffen haben: Das Interesse an den Kassenstellen ist offenbar enorm. Mit Jahresbeginn hatten sich bereits 300 Interessent:innen gemeldet. Geschaffen werden vor allem Stellen für Allgemeinmedizin sowie Kinder- und Jugendheilkunde. Auch Stellen für Gynäkologie, (Kinder-)Psychiatrie, Augenheilkunde sowie Haut- und Geschlechtskrankheiten werden neu eingerichtet. Zudem gibt es einen Bundesländerschlüssel. Die Hälfte soll in Primärversorgungseinheiten eingerichtet werden. „Rund 100 Allgemeinmediziner:innen und 200 Fachärzt:innen haben bisher Interesse gezeigt. Das ist deutlich mehr, als wir erwartet haben“, berichtet Wurzer. Die genaue Aufteilung in den jeweiligen Bundesländern erfolgt basierend auf den regionalen Gegebenheiten durch die Sozialversicherung.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) zeigten sich über die Nachrichten aus der ÖGK erfreut. „Die Österreichische Gesundheitskasse hat gezeigt, dass die Richtung stimmt“, zeigte sich auch Moritz Mitterer zufrieden. Die Ärztekammer sieht die Nachrichten zwar ebenfalls positiv, Bundeskurienobmann Dr. Edgar Wutscher merkt aber an, dass unabhängig von den 100 zusätzlichen Kassenstellen nach wie vor fast 300 Stellen unbesetzt sind, und diese unbesetzten Stellen dürften auch durch die aktuellen Bewerbungen nicht ignoriert werden, betonte Wutscher. Auch hier brauche es Anreize. Die Problematik sei eine tiefgreifende, die nur mit einem ganzen Maßnahmenpaket lösbar sei.
Prof. Dr. Dietmar Bayer, Stellvertretender Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzt:innen und Vizepräsident der Ärztekammer Steiermark, fordert, dass der Startbonus, der für die 100 zusätzlichen Kassenstellen vorgesehen ist, auch für alle weiteren offenen Kassenstellen gelten sollte. Man dürfe nicht diejenigen Ärzt:innen vor den Kopf stoßen, die aktuell schon in einem Bewerbungsprozess stehen, alles andere würde zu einer „Zwei-Klassen-Kassenmedizin“ führen. Sein Kollege und Präsident der Ärztekammer Steiermark Michael Sacherer ortet bei dem jetzigen Modell eine Verletzung des Prinzips der Gleichbehandlung. Außerdem lasse sich aus der Bewerberzahl allein noch nicht ableiten, wie zielgenau die Bewerbungen seien, ergänzte Bayer, denn diese zeige nicht, wie viele davon für Allgemeinmediziner:innen und in den Regionen, in denen gesucht wird, verfügbar sind oder wie viele überhaupt die geforderten Kriterien für eine Kassenarztstelle erfüllen.
Unzufriedenheit gibt es in der ÖGK wiederum mit dem zwischen Bund, Ländern und Gemeinden fixierten neuen Finanzausgleich und der damit einhergehenden Gesundheitsreform. Für alle Vorhaben reichen die Mittel nämlich nicht, meinte Huss, so gebe es etwa einen einheitlichen Leistungskatalog nicht zum Nulltarif. Die ÖGK will also mit der nächsten Regierung über weiteres zusätzliches Geld aus dem Steuertopf verhandeln. Weiter ausbauen will man etwa die Primärversorgungseinheiten (PVE). Derzeit gibt es davon etwa 50, zehn weitere sind Anfang 2024 in Umsetzung, womit es bald flächendeckend in allen Bundesländern solche ärztlichen Versorgungszentren geben soll. Im Rahmen der Verhandlungen über die Regionalen Strukturpläne Gesundheit bis 2030 denkt Huss auch schon über einen Ausbau auf 300 Primärversorgungseinheiten nach. Ein wichtiger Aspekt bei der Umsetzung dieser Pläne sei die aktive Rolle der ÖGK, die bereits Vorreiterin in Bezug auf flexible Arbeitsmodelle und Alternativlösungen ist. Hierzu zählen neben PVE Jobsharing, das Teilen von Kassenstellen, Vertretungen, dislozierte Ambulanzen, Pilotprojekte, die Ärztebereitstellungsgesellschaft sowie das ÖGK-Stipendium.