Auf Grund der toxischen Wirkung des Alkohols auf die Körperzellen aller Gewebe kann niemals von einem gesunden Alkoholkonsum gesprochen werden. Man geht jedoch bei einer täglichen Trinkmenge von bis zu 16 Gramm Alkohol bei Frauen und 24 Gramm Alkohol bei Männern von einem risikoarmen Trinkverhalten aus. Ein problematischer Konsum mit deutlich erhöhtem Gesundheitsrisiko besteht bei einer Trinkmenge über 40 Gramm bei Frauen und 60 Gramm bei Männern. In Österreich kauft man üblicherweise nicht 10 oder 20 Gramm Alkohol, sondern bestellt ein Achtel oder Viertel Wein oder ein Krügel Bier. Wieviel Gramm Alkohol beinhalten diese Getränke? Ein halber Liter Bier beinhaltet ungefähr 20 Gramm Alkohol, ein Viertelliter Wein ungefähr 24 Gramm Alkohol. Daraus ergibt sich, dass ein täglicher Konsum von 1 Liter Bier bei Frauen und ein täglicher Konsum von 1,5 Liter Bier bei Männern bereits mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko einhergeht – je höher die Trinkmenge, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Organschädigung. Es bestehen bei der Vulnerabilität große individuelle Unterschiede, insgesamt reagieren Frauen empfindlicher auf Alkohol als Männer.
Die Alkoholabhängigkeit ist eine chronisch rezidivierende Erkrankung, die mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einhergeht. Neben den somatischen und psychischen Folgeerkrankungen sind immer starke Auswirkungen im sozialen Umfeld zu beobachten. In Österreich kann bei annähernd 1 Million Menschen ein problematischer Alkoholkonsum festgestellt werden. Bei 5 % der Bevölkerung über 15 Jahren kann eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert werden. Männer sind dreimal häufiger von dieser Erkrankung betroffen. Eine regelmäßig hohe tägliche Trinkmenge ist ein wichtiger anamnestischer Hinweis Richtung Alkoholabhängigkeit, aber dies ist nicht das entscheidende diagnostische Kriterium. Es geht vielmehr um den Stellenwert des Alkohols im Leben des Betroffenen und die dadurch entstandenen Veränderungen im Verhalten. Ein zentrales Element stellt der Kontrollverlust dar. Eine mangelnde Kontrolle über Zeitpunkt, Menge und Dauer des Alkoholkonsums ist ein deutlicher Hinweis auf eine Alkoholabhängigkeit. Zusätzlich kommt es zu einer Einengung auf den Alkoholkonsum mit Vernachlässigung anderer Pflichten und Aufgaben. Als weitere diagnostische Kriterien sind die Toleranzentwicklung (das heißt es werden immer höhere Alkoholmengen benötigt, um die gewohnte Wirkung zu erreichen) und das Auftreten von Entzugssymptomen bei Unterbrechung des Alkoholkonsums zu nennen. Typischerweise verspürt der alkoholkranke Mensch einen Drang und Zwang, den Alkohol zu konsumieren, und setzt den Konsum weiter fort, auch wenn negative Folgen bemerkbar sind.
Die qualifizierte Entzugsbehandlung zur Unterbrechung des kontinuierlichen Alkoholkonsums kann ambulant oder stationär erfolgen. Zur Behandlung des Entzugssyndroms hat sich der Einsatz von Benzodiazepinen bewährt. Nach Beendigung des Alkoholkonsums und nach dem Abklingen der Entzugssymptome ist die Erkrankung Alkoholabhängigkeit jedoch nicht überwunden. Ziel der weiteren Behandlung ist, eine möglichst hohe Anzahl von alkoholfreien Tagen zu erreichen und im Falle eines Wiederauftretens der Erkrankung die Dauer des Alkoholrückfalls kurz und die tägliche Trinkmenge möglichst gering zu halten. Zur Aufrechterhaltung der Alkoholabstinenz stehen die Anti-Craving-Substanzen Acamprosat und Naltrexon als Medikation zur Verfügung. Die Dosierung von Acamprosat ist vom Körpergewicht abhängig. Bis 60 kg KG werden 4 Stück Filmtabletten verabreicht, bei einem KG darüber 6 Stück. Bei Naltrexon ist eine täglich einmalige Einnahme einer Tablette 50 mg ausreichend. Im Falle eines Alkoholrückfalles sollen die Medikamente weiter eingenommen werden. Bei der weiteren Behandlung spielt die diagnostische Abklärung von psychiatrischen Komorbiditäten eine wesentliche Rolle. Depressive Störungen, Angsterkrankungen und Erkrankungen mit psychotischem Erleben können sowohl Ursache als auch Folge der Alkoholabhängigkeit sein. Die Behandlung dieser Erkrankungen stellt einen wichtigen Erfolgsfaktor für die weitere Entwicklung der Alkoholabhängigkeit dar. Neben den bisher genannten psychiatrischen Erkrankungen sei noch die posttraumatische Belastungsstörung genannt, da diese häufig übersehen wird.
Eine Alkoholabhängigkeit entwickelt sich über viele Jahre. Die größten Fortschritte in der Behandlung und Prävention der Alkoholfolgeerkrankungen ist ein früherer Behandlungsbeginn. Frühzeitiges Ansprechen der Trinkgewohnheiten mit zeitgerechter Diagnose eines Konsums mit erhöhtem Risiko ist die Voraussetzung für zielgerichtete Interventionen. Die stationäre Entzugsbehandlung stellt für viele Betroffene eine zu große Schwelle dar und führt zu einem verzögerten Behandlungsbeginn. Die Trinkmengenreduktion stellt in dieser Zeit eine geeignete Intervention dar. Der geplante Versuch, die tägliche Alkoholtrinkmenge zu reduzieren und wieder alkoholfreie Tage zu planen, führt auch zu einer realistischeren Sichtweise der aktuellen Situation. Im ärztlichen Gespräch wird auf Grund der Erfahrung mit der Trinkmengenreduktion gemeinsam der weitere Therapieplan erstellt. Sollte mehr Kontrolle über den Konsum erfolgt sein, kann weiter ambulant behandelt werden. Bei persistierender hoher Trinkmenge bietet sich die stationäre Entzugsbehandlung an.
Der Zusammenhang von Alkohol und Suizidalität ist komplex und in vielen Punkten noch nicht geklärt. Das Suizidrisiko ist bei Personen mit Alkoholabhängigkeit bis zu zehnfach erhöht. Eine akute Alkoholintoxikation führt zu einer erhöhten Risikobereitschaft und einer verringerten Impulskontrolle mit herabgesetzter Hemmschwelle für suizidales Verhalten. Die Alkoholabhängigkeit verändert das Lebensumfeld der betroffenen Personen mit vielen belastenden Ereignissen. Verlust des Arbeitsplatzes, Scheidung, Schulden, soziale Isolation mit dem Gefühl der Einsamkeit sind weitere Risikofaktoren für Suizidversuche und Suizide. Das Auftreten von Symptomen einer schweren Depression und das Äußern von Suizidgedanken bei gleichzeitig bestehender Alkoholabhängigkeit stellt eine Indikation für die stationäre Aufnahme dar.
Praxismemo