Allergie und Unverträglichkeit: Einfluss der Umwelt

Welche Gefahrenquellen bringen Allergene mit sich?

Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim: Bei einer Allergie reagiert das Immunsystem auf harmlose Allergene aus Pollen oder Hausstaubmilben mit den stärksten Waffen, die es hat. Diese Nonsense-Reaktion kommt daher, dass Allergene Gefahrensignale mitbringen, die Th2-Immunantworten und daher den Klassenswitch zu IgE-Antikörpern anregen. Viele Allergene alarmieren Haut- und Schleimhautbarrieren, beispielsweise die Hausstaubmilben über Enzyme (Serinproteasen), was ein starkes danger signal auslöst. Andere Allergene interagieren mit Toll-like-Rezeptor 4, was ebenso eine Th2-Immunantwort induziert. Beim somit sensibilisierten Patienten kooperiert IgE über den hochaffinen IgE-Rezeptor FcεRI mit natürlichen Entzündungszellen, besonders Mastzellen, Eosinophilen und Basophilen. Die hohe Affinität zwischen IgE und FcεRI bedingt, dass das meiste IgE auf Entzündungszellen sitzt und wartet, bis das Allergen wieder auftritt. Nicht umsonst ist der freie IgE-Spiegel im Blut so niedrig, dass diese Immunglobulinklasse erst 1967 entdeckt wurde. Beim nächsten Allergenkontakt mit dem zellgebundenen IgE und dessen Kreuzvernetzung kommt es zu einer buchstäblich explosionsartigen Ausschüttung von Mediatoren, darunter Histamin, welches zu den bekannten Sofortsymptomen führt, sowie auch von Leukotrienen, welche für verzögerte Reaktionen nach sechs bis acht Stunden relevant sind. Klassische allergische Symptome sind allergische Rhinitis oder Rhinokonjunktivitis, besonders verbunden mit Pruritus, oder Asthma, urtikarielle Dermatosen, gastrointestinale Beschwerden bis hin zur Anaphylaxie.

Warum sind allergische Symptome nicht immer gleich stark?

Es kommt darauf an, wie viel Allergen auftrifft und wie stark der Allergiker sensibilisiert ist bzw. wie viel IgE gebildet wird. Auch das Potenzial eines Allergens zur IgE-Kreuzvernetzung ist ausschlaggebend. Chemisch-toxische Umwelteinflüsse können Allergene komplexieren und daher IgE-kreuzvernetzungsfreudiger machen, ebenso die Nahrungsmittelprozessierung: Beispielsweise enthalten geröstete Erdnüsse ein trimerisiertes Allergen (Ara h 1) mit höherem Allergie-Potenzial.
Manche Allergiker reagieren bereits auf kleinste Allergenmengen mit schweren Symptomen, und zumeist kann Anstrengung die Schwelle zu den Symptomen senken. Das Phänomen ist beim Exercise-induced Asthma bekannt. Diesen Patienten hilft zum Beispiel die Pollen-App des Österreichischen Pollenwarndienstes, um Sport bei hohem Pollenflug und Umweltverschmutzung zu vermeiden. Bei physischer Aktivität wird die Schleimhaut besser durchblutet und permeabler, die Aufnahme von Allergenen kann daher leichter erfolgen, und somit kann die Reaktion stärker ausfallen. Kofaktoren, die letztlich die Schwere der Symptome ausmachen, sind also Sport, Hormone, Medikamente oder Stress.

Wo und welche Symptome treten am häufigsten auf?

An welchem Körperteil sich in erster Linie Symptome zeigen, hängt davon ab, wo das Allergen zuerst sensibilisiert und später am sensibilisierten Allergiker wieder auftrifft. Da die Pollen von windblühenden Pflanzen wie Gräsern oder Bäumen eingeatmet werden, entsteht eben zuerst die allergische Rhinitis, mit Rhinorrhö und Niesreiz. Oft reagieren auch die Augen mit, weil dort ebenfalls Pollen auftreffen. Brillen und die COVID-19-bedingte FFP2-Maske schützen davor. Wenn die allergische Rhinitis länger besteht, sind oft auch die Nasenneben- und Stirnhöhlen dauerhaft verstopft, und die chronische allergische Entzündung fördert das Wachstum von Nasenpolypen. Die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sinkt im Beruf, aber auch in der Schule. Etwa jeder Dritte ist heute schon von Heuschnupfen betroffen.

Wo ist der Einsatz einer Allergenimmuntherapie besonders angebracht und effektiv?

Wenn die Allergie länger besteht, weitet sie sich zumeist auf andere Allergene oder andere Organe aus. Aus Monosensibilisierung entsteht Polysensibilisierung, und auch IgE-Kreuzreaktivitäten verbreitern das Spektrum. Die Behandlung wird dann immer schwieriger. Eine allergen-spezifische Immuntherapie (AIT) soll, zumindest laut Europäischer Leitlinie, mit maximal zwei Allergen-Klassen sinnvoll ausgeführt werden. Eine Allergenimmuntherapie kann das Fortschreiten der Allergiker-Karriere verhindern. Aus einer unbehandelten allergischen Rhinitis kann sich Asthma entwickeln, die Allergie „wechselt die Etage“. Auch bei Asthma kann eine Allergenimmuntherapie zu einer Verbesserung der Symptome und zu weniger Bedarf an symptomatischen Medikamenten beitragen.
Anders als bei Pollen hat eine Allergen- immuntherapie allerdings nur eine 50:50-Chance, gegen kreuzreaktive Nahrungsmittelallergien zu wirken. IgE-Kreuzreaktivitäten entstehen durch molekulare Ähnlichkeiten und sind zumeist mit oralem Allergiesyndrom (OAS) verknüpft. Obwohl bei pollenassoziierten Nahrungsmittelallergenen oft nur ein orales Allergiesyndrom auftritt, kann beispielsweise das birkenverwandte Soja-Allergen Gly m 4 durch erhöhte Stabilität im Verdauungstrakt auch systemische Reaktionen auslösen. Aus einer lokalen Nahrungsmittelallergie im Mundbereich können sich durch Kofaktoren wie zum Beispiel körperliche Anstrengung, Hormoneinnahmen oder Magenschutz-Medikamente allergische Symptome an anderen Erfolgsorganen entwickeln, wie ein Asthmaanfall, bis hin zum anaphylaktischen Schock.

An welchen Symptomen erkennt man Allergiker und Atopiker?

Eigentlich erkennt man einen Allergiker und Atopiker quasi schon beim Betreten der Ordination: die Sprache ist nasal, sie haben ein fahles Aussehen und dunklere Augenringe. Tatsächlich haben Allergiker häufiger einen Eisenmangel, was interessanterweise vielfach publiziert, aber wenig bekannt ist, und bei Allergenkontakt kommt es sogar zu einem Abfall der Erythrozyten im BB. Das konnte in einer placebokontrollierten Doppelblinds Studie in der Wiener Allergen-Provokationskammer gezeigt werden. Eisenmangel und Blutbildveränderungen gemeinsam mit der schlechten nasalen Belüftung führen zu verminderter Sauerstoffaufnahme, gefolgt von Erschöpfung und Konzentrationsstörungen in Beruf und Schule. Allergie macht krank.

Allergien werden häufiger, warum?

Tatsächlich werden Allergien häufiger. Das hängt damit zusammen, dass Pflanzen durch Umweltverschmutzung und Ozon gestresst sind und dadurch auch mehr Pollen mit höherem Allergengehalt abgeben. Urbanisierung und Lifestyle verstärken die proallergischen Gefahrensignale für das Immunsystem: Autoabgase, darin besonders diesel exhaust particles, verbinden sich mit Pollen und machen sie aggressiver. Weiters führen industrielle, hochprozessierte Ernährung, übertriebene Hygiene und Antibiotika zur Verarmung des Mikrobioms, gefolgt von gestörter Haut- und Schleimhautbarriere (leaky gut), dies führt dazu, dass Allergene und ihre Gefahrensignale nicht mehr abgeschottet werden. Für das Mikrobiom wäre die Lebensweise, im Sinne des sogenannten Bauernhofeffektes, respektive „Minifarmeffektes“, mit vielen unterschiedlichen Tieren zusammenzuleben, von Vorteil. Stattdessen leben unsere PatientInnen in sauberen Wohnungen oft mit einer Tierspezies und hoher Allergenmenge vom „Katzenkisterl“ im Badezimmer bis hin zum Kopfpolster. IgE gegen bestimmte Tierhaarallergene, wie Fel d 1 der Katze, werden über sämtliche Sekrete der Katze ausgeschieden und sind ein Risikomarker für potenzielle Asthma-Entwicklung – somit ein Teufelskreis.

Personalisierte Therapie – welche Maßnahmen führen zu einem erfolgreichen Allergie-Management?

Wir, die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie, arbeiten seit nunmehr genau 50 Jahren daran, als behandelnde Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen durch profunde Forschung und praxisrelevante Empfehlungen das Management der Allergien leichter zu machen. Aufgrund der Komplexität der Auslöser und Beschwerdebilder ist gerade die Allergiediagnose und -therapie ein Prototyp personalisierter Medizin.
Eine frühe Diagnose hilft, spezifische Anti-Allergie-Maßnahmen einzuleiten, wie eine gezielte Vermeidung auslösender Allergene, eine Risikoeinschätzung durch molekulare Allergietests, die Einleitung von maßgeschneiderten Therapien, Empfehlungen zum Mikrobiom sowie zu gesunder Ernährung zur Immunstärkung. Besonders wichtig, das kann nicht oft genug erwähnt werden, ist die rechtzeitige Einleitung einer Allergenimmuntherapie.
Daher begrüße ich, als derzeitige Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie, die Initiative der Zeitschrift Ärzte Krone, sich dem großen Thema Allergie detailliert zu widmen, sehr. In den nächsten vier Ausgaben werden ausgezeichnete österreichische Expertinnen und Experten zu den brisantesten Allergie-Themen Stellung beziehen, um alle Kolleginnen und Kollegen effektiv upzudaten.

Vielen Dank für das Gespräch!

KOMMENTAR | Berufswahl bei Allergien: Was ist sinnvoll?


Dr.in Galateja Jordakieva, PhD
Leiterin der Ambulanz für Arbeitsmedizin, Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin, Medizinische Universität Wien

Berufsassoziierte allergische Haut- und Atemwegserkrankungen, die zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit zwingen, gehören zu den häufigsten anerkannten Berufskrankheiten in Österreich. Reaktionen auf Berufsallergene treten häufig in den ersten Jahren nach Expositionsbeginn auf, wobei Asthma und Hautekzeme besonders oft zu Ausbildungsabbrüchen führen. Im klassischen Berufseinstiegsalter, zwischen 15 und 29 Jahren, ist bei fast ¼ der österreichischen Bevölkerung bereits eine ärztlich diagnostizierte allergische Erkrankung bekannt (Statistik Austria 2019). Aktuell besteht aus ExpertInnensicht jedoch kein Grund, allergiegefährdeten BerufsanfängerInnen generell von Risikoarbeitsplätzen abzuraten. Circa ¾ entwickeln trotz Risikofaktoren keine berufsspezifische Allergie. Eine Unterstützung in der wichtigen individuellen Beratung und Risikoeinschätzung hinsichtlich des Auftretens von allergischen (Berufs-)Krankheiten bei Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen bietet zum Beispiel ein Online-Tool (www.allergierisiko.de) des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (LMU München).
Vor Eintritt in einen Risikoberuf sollten AllergikerInnen in Bezug auf Adhärenz zu Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz beraten werden; auch engmaschige arbeitsmedizinische Kontrollen sind empfohlen. Falls kein vollständiges Vermeiden der Allergene möglich ist, muss die Allergenexposition am Arbeitsplatz durch technische (zum Beispiel Absaugvorrichtungen), organisatorische (zum Beispiel Zeitreduktion im Allergenbereich) und persönliche Schutzmaßnahmen minimiert werden.
Fazit: AllergikerInnen, die eine Tätigkeit mit Allergenexposition anstreben, sind über ihr individuelles Risiko sowie über das Einhalten der Präventions- beziehungsweise Schutzmaßnahmen aufzuklären. In den ersten 3 Jahren nach Berufseintritt sind engmaschige (arbeits-)medizinische Kontrollen (alle 6–12 Monate) empfohlen, um frühzeitig Berufsallergien abzufangen. Nur PatientInnen mit höhergradigem Asthma beziehungsweise schwerem atopischem Hautekzem sowie bereits klinisch manifester Allergie gegenüber den jeweiligen berufsspezifischen Allergenen ist von Risikoberufen abzuraten.

© Florian Konicek