Allergologie aktuell: von der Diagnose zur Therapie

Herr Dozent Wantke, inwieweit ist die österreichische Bevölkerung von Allergien betroffen?

Univ.-Doz. Dr. Felix Wantke: Bereits ein Viertel der Erwachsenen in Österreich weist eine Sensibilisierung gegen inhalative Allergien auf. Bei den Kindern liegt dieser Wert bei etwa 25–50 Prozent. Klinische Symptome zeigen sich aber nur bei in etwa 7–13 Prozent der Erwachsenen und 15–20 Prozent der Kinder. Die Pollenallergie ist die am häufigsten auftretende Allergieform in Österreich. Auch Hausstaubmilben zählen zu den häufigsten Allergie-Auslösern überhaupt.

Was sind die häufigsten Präsentationen einer Allergie?

Eines der ersten Symptome einer Allergie ist die allergische Bindehautentzündung mit juckenden und tränenden Augen und der Heuschnupfen, der mit Niesanfällen oder einer verstopften Nase einhergeht. Asthmatische Symptome wie Atembeschwerden, Kurzatmigkeit, Atemnot und ein pfeifendes Atemgeräusch sind ernst zu nehmen.

Wie sieht die Diagnostik aus?

Den wichtigsten Baustein in der Allergiediagnostik stellt weiterhin die Anamnese dar. Durch sie ist ein Großteil an Allergien bereits im Patientengespräch einzugrenzen oder auszuschließen, und sie bildet die Grundlage für eine weitere gezielte allergologische Diagnostik. Der Haut-Pricktest ist weiterhin die Basis der In-vivo-Diagnostik. Die Bestimmung des Gesamt-IgE-Spiegels gibt einen Hinweis auf Allergie, allerdings kann auch bei normalem Gesamt-IgE eine Allergie vorliegen. Ein weiterer Schritt ist die Bestimmung von spezifischem IgE gegen die Allergene. Bei sehr hohen Gesamt IgE-Spiegeln sind allerdings nur leicht erhöhte spezifische IgE-Werte zu relativieren. Mit der Komponentendiagnostik kann ein noch besseres Bild der Allergie- und Sensibilisierungsmuster gezeichnet werden.

Wann kommt die Komponentendiagnostik zum Einsatz?

Gerade bei der Diagnostik und Risikoabschätzung von Nahrungsmittelallergien ist sie heute bereits unverzichtbar geworden. Bei Patienten mit Sensibilisierungen gegen diverse Pollen kann bei unklarer Anamnese die Komponenten- diagnostik helfen, relevante Allergene einzugrenzen und von Kreuzsensibilisierungen zu unterscheiden. Sie ist die große Neuerung der letzten zehn Jahre – die molekulare Allergiediagnostik – und wird zunehmend häufiger zur Analyse und Relevanzabschätzung verschiedener Allergene eingesetzt. Die Hauttestung ist aber nach wie vor der Standard.

Inwieweit hat sich der Allergie-Chip-Test bereits etabliert, und wo liegen die Vor- und Nachteile?

Grundsätzlich bietet der Allergie-Chip-Test eine gute Möglichkeit, den Patienten auf eine große Menge an relevanten Allergenen gleichzeitig zu testen, und zwar auf inhalative Allergien und auf Nahrungsmittel. Leider können bisher noch nicht alle Allergene gut bewertet werden und damit auch falsche Ergebnisse möglich sein. Ich sehe diese Tests aber als das Hauptinstrument in der Zukunft, natürlich nach kompletter Entwicklung. Bei jedem Allergenchip bedarf es eines Spezialisten, um die Ergebnisse vernünftig deuten zu können.

Auch in der Therapie blieb man den drei Säulen treu. Was ist Ihre Erfahrung mit der Allergenkarenz?

An erster Stelle steht nach wie vor die Allergenvermeidung. Meist ist das aber gar nicht möglich. Abgeben von Haustieren ist für den Patienten emotional sehr schwierig, bei Pollen besteht kaum eine Chance, und auch die Hausstaubmilbe ist hartnäckig. In neuen Untersuchungen wurde festgestellt, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln die Konzentration an Hausstaubmilben sehr hoch ist, eine Allergenkarenz ist daher für den Benützer nicht möglich. Interessant zu wissen ist, dass Staubsaugen nur einen sehr niedrigen Prozentsatz der winzigen Tierchen aus Teppichen entfernt.

Bei einer Therapie mit Antihistaminika fürchten viele Patienten die Müdigkeit. Kann man hier Entwarnung geben?

Antihistaminika sind seit Jahrzehnten State of the Art bei Allergien. Heutzutage gibt es auch Präparate, die nicht mehr so müde machen. Bei Schulkindern zum Beispiel sollte die Gabe vielleicht nicht an den Morgen gelegt werden, weil sie sonst im Unterricht müde werden. Bei der gleichzeitigen Einnahme von Antidepressiva kann sich die Wirkung beziehungsweise auch die Müdigkeit verstärken. Dann sollte die Dosis reduziert werden. Lokale Kortison-Sprays sind vor allem bei verstopfter Nase, insbesondere bei Hausstaubmilbenallergie, einzusetzen. Diese Sprays gibt es auch als Kombinationsspray mit Antihistaminika.

Mit der spezifischen Immuntherapie steht eine wirksame Therapieform zu Verfügung, die auch einen Langzeiteffekt hat. Wie kann man sich das vorstellen?

Die spezifische Immuntherapie stellt die dritte Säule der Therapie dar, die darauf abzielt, durch die wiederholte Gabe des Allergens, gewöhnlich über drei Jahre, eine Immuntoleranz zu erzeugen, sodass sich der Körper langsam an das Allergen gewöhnt und keine Immunantwort mehr entsteht. Bei der spezifischen Immuntherapie wird das Allergen entweder oral eingenommen oder direkt unter die Haut injiziert. Die Immuntherapie ist eine Kassenleistung, allerdings ist die subkutane Therapie mit einem großen Zeitaufwand für den Patienten verbunden. Die subkutane Immuntherapie beginnt wöchentlich und geht dann in einen monatlichen Zyklus über. Bei der sublingualen Variante ist der Zeitaufwand mit einer Minute pro Tag sehr gering.

Für wen kommt die spezifische Immuntherapie in Frage?

Voraussetzung für eine SIT ist eine nachgewiesene IgE-vermittelte Sensibilisierung sowie ein klarer Zusammenhang zwischen klinischer Symptomatik und auslösendem Allergen. Aufgrund der zugrunde liegenden Datenlage wird eine SIT bei Kindern erst ab einem Alter von fünf Jahren empfohlen. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht mehr wirklich. Es können Allergene zur Anwendung kommen, bei denen eine Allergenkarenz nicht oder nur unzureichend möglich ist und bei welchen die Wirksamkeit gezeigt wurde. Im Großen und Ganzen schließt das die Gruppe der Insektengifte (Biene und Wespe), Pollen, insbesondere Gräser, Bäume, Beifuß und Ragweed, und Hausstaubmilben ein. Für Schimmelpilze und Tierepithelien liegen nur sehr wenige Wirksamkeitsdaten und oft eine unzureichende Standardisierung vor, sodass hier die Indikation sehr restriktiv erfolgen soll.

Lange wurde Asthma als Kontraindikation für eine SIT angesehen. Inwieweit hat sich dies verändert?

Sieht man die Literatur durch, so fällt auf, dass Asthma bronchiale ein Risikofaktor für systemische, insbesondere respiratorische Nebenwirkungen ist. In der Statistik der Todesfälle bei spezifischer Immuntherapie finden sich bis zu 80 Prozent Asthmapatienten.
Laut GINA-Guidelines soll eine spezifische Immuntherapie nur bei Asthmapatienten mit einem FEV1-Wert von größer als 70 Prozent durchgeführt werden. Wesentlich ist, dass das Asthma gut eingestellt sein muss und der behandelnde Arzt entsprechende Erfahrung hat. Insbesondere in der Anfangsphase der SIT erhöht sich die Allergenexposition signifikant und führt zu erhöhter Inflammation, wodurch das Risiko für Asthmaanfälle steigt. Daher ist eine prophylaktische Erhöhung der antiinflammatorischen Controllertherapie während der Aufdosierungsphase und am Anfang der Erhaltungsdosis sinnvoll. Je früher beim Auftreten einer Allergie therapiert wird, umso besser stehen die Chancen, dass kein Asthma entsteht.

 

Wissenswertes für die Praxis

  • Die Anamnese ist die Grundlage für die Diagnose und wird um die In-vivo- und In-vitro-Testung ergänzt. Für spezielle Fragestellungen ist die Komponententestung und in ausgesuchten Fällen auch der Chip-Test hilfreich.
  • Die drei Säulen der symptomatischen Therapie sind Allergenkarenz, symptomatische (medikamentöse) Therapie und spezifische Immuntherapie. Die entsprechenden Leitlinien beinhalten genaue Angaben über die Dosierungsschritte.
  • Die spezifische Immuntherapie ist eine nachhaltig wirksame Methode, die in Zukunft noch eine größere Rolle spielen wird.