Alles Leber!

Im April jährte sich der Kongress der „European Association for the study of the liver“ (EASL; Gesellschaft für Leberforschung) zum 50. Mal. Austragungsort war Wien, dies nicht zum ersten Mal, auch die Jahrestagungen 1969, 1992, 2006 und 2010 fanden in der Bundeshauptstadt statt. Das Fachgebiet Hepatologie zeichnet eine große Dynamik aus. Nicht zuletzt auch ersichtlich an der Teilnehmerzahl auf der EASL-Jahrestagung. Wurden 2006 noch 5.000 Teilnehmer gezählt, kletterte die Teilnehmerzahl 2015 auf etwa 11.000. Thema Nummer 1: die Therapie der chronischen Hepatitis C. Weitere vorgestellte Präsentationen und Neuerungen betrafen die verschiedenen Komplikationen chronischer Lebererkrankungen, inklusive dem hepatozellulären Karzinom.
„Der 50. Geburtstag ist ein Meilenstein für die europäische Lebergesellschaft, da die Gesellschaft enorme Entwicklungen seit dem ersten Treffen 1966 in Marburg, Deutschland, mit etwa 70–80 teilnehmenden Hepatologen erfahren hat“, betont Univ.-Prof. Dr. Markus Peck-Radosavljevic, Generalsekretär der EASL, tätig an der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Universitätsklinik für Innere Medizin III, AKH Wien. Die europäische Lebergesellschaft zeigt auch großen Einsatz, das Bewusstsein der Bevölkerung für Lebererkrankungen zu schärfen. Im Zuge des Kongresses wurde die „Liver Works“-Awareness-Kampagne gelauncht. An mehreren öffentlichen Plätzen in Wien gab es Initiativen, die die Leber ins Zentrum rückten (Abb.)

 

Unbenannt

 

Hepatitis-C-Therapierevolution

Der diesjährige Kongress im Messezentrum Wien war inhaltlich dominiert von der Therapierevolution bei der chronischen Hepatitis C. Hieß es bei den Medikamenten früher Interferon-Ribavirin, zum Teil mit Boceprevir/Telaprevir, heißt es heute: DAAs (= direct acting antivirals; direkt agierende antivirale Medikamente), zum Teil mit Ribavirin. War die Applikation damals subkutan gespritzt (Interferon) und oral (Ribavirin und Boceprevir/Telaprevir), heißt es heute nur noch: oral. Belief sich die Therapiedauer vorher auf meist ein Jahr, liegt diese heute bei meist drei Monaten, mitunter auch nur zwei. War die Durchführung der Therapie früher kompliziert mit Stopp-Regeln und häufigen Kontrollen, ist sie jetzt: einfach. Verursachten Therapien damals schwere Nebenwirkungen, sind bei DAAs bislang keine schweren Nebenwirkungen bekannt. Gab es vorher Kontraindikationen für ein Therapie, können heute aus medizinischer Sicht fast alle Patienten behandelt werden, auch Patienten mit Leberzirrhose. Bei einer HIV-Koinfektion ist heute der Therapieerfolg bei HIV-Infektion der gleiche. Damit zum Therapieerfolg: dieser ist mit > 90% hoch; leider auch der Preis für Medikamente pro Behandlung.

Neue Therapieempfehlungen bei Hepatitis C

„Die Kosten für die neuen Substanzen zur Behandlung der chronischen Hepatitis C sind ein drängendes Thema“, weiß Prof. Dr. Jean-Michel Pawlotsky, Frankreich, Koordinator des Panels, das die neuen EASL-Guidelines zur Therapie der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion (HCV) formulierte. Pawlotsky: „Die chronische Hepatitis C stellt grundsätzlich eine Indikation zur antiviralen Therapie dar. Die Heilungsraten sind mit über 90% sehr hoch, selbst Patienten mit einer schweren Erkrankung sind therapierbar. Jeder Patient hat das Recht auf eine Behandlung.“ Die Realität sieht aber eine Priorisierung vor. Die Priorität liegt auf der Behandlung von schwer erkrankten Patienten, also jenen mit Fibrosegrad 3 und 4, einer HIV- oder Hepatitis-B-Koinfektion, jenen mit einer Transplantationsindikation, jenen mit HCV-Rekurrenz nach Transplantation, Patienten mit extrahepatischen Manifestationen, belastender Müdigkeit und jenen mit Risiko für eine HCV-Übertragung. Für Patienten mit Fibrosegrad 2 ist eine Therapie gerechtfertigt. Für gewöhnlich finden sich für diese Patienten laut Pawlotsky Gründe für eine Behandlung, wie etwa Müdigkeit. Bei Patienten ohne Fibrose oder mit Fibrosegrad 1 kann mit der Therapie zugewartet werden. Die Therapieinfektionen für HIV-Koinfizierte entsprechen jenen mit einer ausschließlichen HCV-Infektion. „Allerdings müssen Medikamenteninteraktionen berücksichtigt werden“, betont Pawlotsky.
Die EASL-Guidelines sprechen Therapieempfehlungen für jeden Genotyp aus, inklusive bevorzugte Therapieregime und weniger optimale Optionen für Situationen, in denen eine ideale Therapie zu teuer oder nicht verfügbar ist. Das EASL-Meeting inklusive der Sitzung, in denen die Empfehlungen vorgestellt wurde, hatte ein dominierendes Thema: die hohen Kosten der neuen DAAs und der Zugang zu diesen Medikamenten. „Die Situation ist nicht optimal. In den meisten europäischen Ländern ist die Behandlung auf Patienten mit schwerer Erkrankung limitiert“, betont das EASL-Verwaltungsratsmitglied Dr. Alessio Aghemo, Universität Mailand. Aghemo rät zu einer aggressiven Preisverhandlung und meint, dass in Europa die EU-Kommission bessere Preise als ein einzelner Staat ausverhandeln könnte.

Zugelassene Therapieregime in der EU

Derzeit sind in der EU folgende neue HCV-Medikamente zugelassen: Sofosbuvir (Sovaldi®; Fa. Gilead), Simeprevir (Olysio®; Fa.Janssen), Daclatasvir (Daklinza®; BMS), Sofosbuvir/Ledipasvir (Harvoni; Fa. Gilead), Paritaprevir/Ombitasvir/Ritonavir(Viekirax®; Fa. Abbvie), Dasabuvir (Exviera®; Fa. Abbvie). In den Guidelines sind auch etliche Tabellen angeführt, in denen Medikamenteninteraktionen (z.B. mit HBV-Medikamenten) gelistet sind. Die meisten Therapien sind für zwölf bis 24 Wochen, abhängig vom Ausmaß der Kompensation, zugelassen. Bei den neuen Therapieregimen werden immer zwei oder drei DAAs mit unterschiedlichen Ansatzpunkten kombiniert. Eine Kombination ist unter anderem dadurch begründet, dass das Virus Resistenzen insbesondere gegen Proteasehemmer und NS5A-Inhibitoren bilden kann, vor allem, wenn diese als Monotherapie verabreicht werden. Die einzige Ausnahme stellt Sofosbuvir (Polymerase-hemmer) dar: Gegen diese Substanz scheint das Virus keine Resistenz zu entwickeln. Dennoch muss auch Sofosbuvir mit anderen Substanzen kombiniert werden: entweder mit anderen DAAs oder mit Ribavirin.

Empfohlene Therapieoptionen

Interferonfreie Regime nach Genotyp:

  • Sofosbuvir + Daclatasvir +/– Ribavirin: alle Genotypen
  • Sofosbuvir + Ribavirin: Genotyp 2 und 3
  • Sofosbuvir/Ledipasvir +/– Ribavirin: Genotyp 1, 4, 5, 6
  • Paritaprevir/Ritonavir/Ombitasvir + Dasabuvir +/– Ribavirin: Genotyp 1
  • Sofosbuvir + Simeprevir +/– Ribavirin: Genotyp 1, 4
  • Paritaprevir/Ritonavir/Ombitasvir +/– Ribavirin: Genotyp 4

Interferonhaltige Regime nach Genotyp:

Pegyliertes Interferon alpha-2a + Ribavirin + Sofosbuvir: alle Genotypen
Pegyliertes Interferon alpha-2a + Ribavirin + Simeprevir: Genotyp 1, 4

Monitoring: Laut Pawlotsky war das Panel hinsichtlich Monitoring konservativ; wenige Male während der Therapie, zu Therapieende und zwölf oder 24 Wochen nach der Behandlung.

Therapieversagen: was tun?

Patienten mit Therapieversagen auf Peg-Interferon + Ribavirin sollten wie therapienaive Patienten therapiert werden. Das Problem stellt ein Therapieversagen auf DAAs-Regime dar. Hier eine Empfehlung abzugeben, stellte sich für das Panel als schwierig dar. Das Therapieregime sollte Sofosbuvir und ein oder zwei andere DAAs enthalten.
Die Community wartet nun auf die nächste Zulassungsrunde; zu den neuen Regimen zählen die Kombinationen Grazoprevir/Elbasvir (Fa. Merck), und Asunaprevir/Daclatasvir/Beclabuvir (Fa. BMS). Sobald diese Kombinationen zugelassen sind, werden die Empfehlungen upgedatet.

Hepatitis C und erhöhtes Krebsrisiko

Weitere Sitzungen beschäftigten sich mit den etwaigen Konsequenzen einer Hepatitis C. Dr. Lisa Nyberg, Hepatologin am Kaiser Permanente, Kalifornien, USA, stellte eine retrospektive Studie vor, die zeigte, dass die Krebsraten bei Patienten mit Hepatitis C signifikant höher sind verglichen mit einer nicht an Hepatitis C erkrankten Kohorte. Für das erhöhte Krebsrisiko könnten extrahepatische Manifestationen der Hepatitis-C-Infektion verantwortlich sein. Zu den Hepatitis-C-assoziierten Karzinomen zählen das Non-Hodgkin-Lymphom, Nieren-, Prostata- und Leberkrebs. Zur Studie: Im Zeitraum von 2008 bis 2012 wurden in der Hepatitis-C-Kohorte (die 145.210 Patientenjahre umfasste) 2.213 Krebsdiagnosen gezählt, 1.654, wenn Leberkrebs exkludiert wurde. In der Nichthepatitis-C-Kohorte (die 13.948.826 Patientenjahre umfasste) wurden 84.419 Krebsdiagnosen gezählt; 83.785, wenn Leberkrebs exkludiert wurde. Auf alle Tumoren bezogen waren die Krebsraten in der Hepatitis-C-Kohorte um das 2,5-Fache höher als in der Nichthepatitis-C-Kohorte. Selbst wenn Leberkrebs exkludiert wurde, lag die Rate noch immer um das Zweifache höher. Die Daten müssen laut Nyberg aber mit Vorsicht interpretiert werden, da Confounding-Faktoren wie Alkoholabusus, Tabak, Übergewicht und Diabetes die Ergebnisse beeinflussten.

Sensibles Thema Alkohol

Zum Thema Alkohol wurde eine französische Studie präsentiert – inspired by Lou Reed. Die amerikanische Rocklegende Lou Reed, unvergessen durch seine unvergleichliche Stimme, seinen Gitarrensound und bitterbösen Texte, starb im Oktober 2013 mit 71 Jahren kurz nach einer Lebertransplantation. Sein Tod, so Studienleiter Dr. Schwarzinger, Präsident des Translational Health Economics Network in Paris, wurde einem Hepatitis-C-bedingten Leberversagen zugeschrieben. Allerdings das Zitat von Lou Reed „Ich habe versucht, Drogen durch Trinken aufzugeben“, zeigt auf, wie Alkoholabusus das Bild der Hepatitis C verkomplizieren kann. Alkoholabusus spielt eine große und oftmals unterschätzte Rolle die chronische Hepatitis-C-bedingte Morbidität betreffend. Zudem kann Alkoholabusus ein Konfounder sein, wenn es darum geht, eine Kosten-Nutzen-Erhebung von DAAs durchzuführen.
Dr. Schwarzinger analysierte die französische Krankenhausentlassungsdatenbank. Dabei wurden knapp 29 Millionen Erwachsene identifiziert, die zwischen 2008 und 2012 zumindest einmal in einem privaten oder öffentlichen Krankenhaus aufgenommen wurden. Von diesen hospitalisierten Patienten wurden 0,02% einer Lebertransplantation unterzogen, 0,27% wurden wegen eines primären Lebertumors behandelt, 1,70% aufgrund einer Lebererkrankung im Endstadium. Verglich man bei Männern Hepatitis-C vs. Nichthepatitis-C-Infektion, war der Männeranteil in der Gruppe der Hepatitis-C-Infizierten höher (58% vs. 42%). Bezogen auf die gesamte Studienkohorte traten rund 4% aller leberbezogenen Ereignisse bei Patienten mit Hepatitis C auf. Der prozentuelle Anteil von Alkoholerkrankungen bei Hepatitis-C-Infizierten lag bei knapp 21% verglichen mit 2,4% bei Nichtinfizierten. Bei Hepatitis-C-Patienten waren auch Komorbiditäten wie Myokardinfarkt, Demenz, Nierenerkrankungen, Diabetes und chronische Lungenerkrankungen häufiger. Hörte ein Hepatitis-C-Patient zu trinken auf bzw. war dieser immer schon abstinent, war dies mit einer signifikanten Risikoreduktion für ein leberbezogenes Ereignis verglichen mit jenen, die weitertranken, verbunden.

NASH vs. NAFLD: 50% höheres Mortalitätsrisiko

Neben dem Top-Thema Hepatitis C waren auch Studien aus dem Spektrum der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung („non-alcoholic fatty liver disease“ [NAFLD]) ein zentrales Thema. Das NAFLD-Spektrum reicht von von einer einfachen Leberverfettung („non-alcoholic fatty liver“ [NAFL]) mit einer günstigen Prognose bis hin zur nichtalkoholischen Steatohepatitis („non-alcoholic steatohepatitis“ [NASH]), die bereits nach wenigen Jahren ein Fortschreiten der Leberfibrose erkennen lassen und innerhalb von zehn Jahren in 5–20% in eine Leberzirrhose übergehen kann. NAFLD gilt als anerkannter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Kleinere Studien besagen, dass NASH ein größeres Risiko bedeute als NAFLD. Eine große britische Studie mit einem Follow-up von 14 Jahren (2000–2013) untersuchte nun die Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen und die Mortalität bei Patienten mit einer Erkrankung aus dem NAFLD-Spektrum aus einer Kohorte von knapp einer Million Menschen.
Wie sich zeigte, war die Gesamtmortalität in der Gruppe mit NASH höher als in der NAFLD-Gruppe, ebenso jene der Gruppe der Zirrhose-Patienten verglichen mit der NAFLD-Gruppe. Eine kongestive Herzinsuffizienz war bei NAFLD-Patienten weniger prävalent als bei NASH- und Zirrhose-Patienten. Verglichen mit NAFLD war die Prävalenz von Typ-2-Diabetes, Vorhofflimmern, Hyperlipidämie, chronischer Nierenerkrankung in den fortgeschrittenen Stadien höher. Die Studienautoren betonen, dass diese große Kohortenstudie wichtige neue Einblicke hinsichtlich Mortalität und kardiovaskuläre Erkrankungen bei Patienten mit NAFLD bietet. Es sei beachtlich, dass während des Studienzeitraums von 14 Jahren über 20% der Patienten mit NASH-Diagnose und über 50% mit einer damit verbundenen Zirrhose verstarben.

Hepatitis B: Mehr impfen und behandeln

Global deutlich mehr impfen und behandeln, so könnte der Hepatitis B ein Schlag versetzt werden. Es braucht mehr Prävention und Behandlung, um eine Hepatitis-B-Virus-(HBV-)-Transmission und die Mortalität aufgrund einer Lebererkrankung signifikant zu reduzieren.
So wurde am EASL 2015 eine auf einem mathematischen Modell basierende Analyse vorgestellt, in der die Auswirkungen verschiedener Interventionen gegen Hepatitis B skaliert wurden. Das Modell enthielt Daten zur HBV-Epidemiologie, zur Durchimpfung, zur Behandlung sowie zum Verlauf der Erkrankung. Mit dem Modell sollten Vorhersagen über die Inzidenz der chronischen HBV, die Hepatitis-B-Prävalenz und die Mortalität generiert werden. Als erstes wurde ein Blick auf die derzeitige Vakzinierung und Behandlungen geworfen, dann auf Szenarien einer verstärkten Prävention und Behandlung.
Was sich zeigte, Impfungen von Kindern weltweit sind drauf und dran, geschätzte 1,2 Millionen neue Hepatitis-B-Infektionen bis 2030 zu verhindern; wenn das derzeitige Level gehalten wird. Dies würde gleichzeitig einen größeren Anteil von HBV-Infektionen aufgrund einer Mutter-Kind-Transmission bedeuten.
Ohne weitere Änderungen bestehender Maßnahmen im Kampf gegen die Erkrankung, wird gemäß dem Modell die Zahl von Hepatitis-B-Patienten auf dem derzeitigen hohen Level über die nächsten 40–50 Jahre bestehen bleiben. Eine weitere Vorhersage des Modells: 20 Millionen Hepatitis-B-bedingte Todesfälle bis 2030.
Würde man nun folgende Interventionen implementieren, so könnten laut Modell die Inzidenz neuer chronischer HBV-Infektionen um 90% und die Mortalität um 65% bis 2030 gesenkt werden:

  • Kinder-Durchimpfung erhöhen auf über 95%;
  • 80% der Kinder erhalten eine Grundimmunisierung, ein HBV-Immunglobulin und eine antivirale Therapie, um die Mutter-Kind-Transmission zu unterbrechen
  • 90/90/90-Strategie für bereits infizierte Personen ab 2020: 90% der Virusträger sind identifiziert, 90% der Population mit bekanntem HBV-Status sind behandelt, 90% der Behandelten erreichen eine dauerhafte Virussuppression.

Gemäß Modell könnten so geschätzte 13 Millionen Todesfälle weltweit verhindert werden, inklusive sechs Millionen infolge von Krebs. Die prognostizierten weltweiten Kosten für erweiterte Prävention und Behandlung würden bei 7,5 Milliarden US-Dollar jährlich gipfeln, bis 2030 aber rasch fallen.

Information:
Auf der Website von MedMedia finden Interessierte den Kongressreporter zum EASL 2015 mit Details zu ausgewählten Studien.