In Großbritannien ist das Gesundheitssystem im Wesentlichen durch den NHS (National Health Service) organisiert, der als öffentliche Gesundheitsorganisation für die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen verantwortlich ist. Grundsätzlich ist das Gesundheitswesen in Großbritannien steuerfinanziert und für Patient:innen kostenlos. Die primäre Anlaufstelle für medizinische Anliegen sind Hausärzt:innen, die als General Practitioners oder kurz als GPs bezeichnet werden. Diese können bei Bedarf an Fachärzt:innen im Spital überweisen, die nicht frei zugänglich sind.
Die meisten Ärzt:innen, und damit auch Allgemeinmediziner:innen, sind beim NHS angestellt und daher im öffentlichen System tätig. Obwohl bei in Krankenhäusern angestellten Allgemeinmediziner:innen zuletzt gute Zuwachsraten verzeichnet werden konnten, gingen die Vollzeitäquivalente bei den vollausgebildeten GPs zwischen 2016 und 2023 um 7 % zurück. Im Zufriedenheitsreport geben GPs bei der Arbeitszufriedenheit den geringsten Wert aller Arztgruppen an und sind am häufigsten von einem hohen Arbeitsaufkommen und erhöhtem Burn-out-Risiko betroffen.
In Großbritannien, vor allem in England und Schottland, kämpft man derzeit mit einem Mangel an GPs. Daher wurde versucht, die Ausbildungszahlen in der Allgemeinmedizin anzuheben, was bisher eher zögerlich gelang. Die Zahl der Studienplätze wurde um 1.500 erhöht, was einem Plus von 25 % entspricht, und zusätzlich wurde eine neue Studienbeihilfe eingeführt, die nicht zurückbezahlt werden muss. Es wird aber davon ausgegangen, dass die Früchte dieser Maßnahmen erst in einigen Jahren in der Primärversorgung ankommen werden. Um ältere GPs länger im System zu halten, wurden das Pensionssteuersystem und das NHS-Pensionsschema reformiert. Praktische Hilfestellungen im Alltag seitens des NHS sollen für mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz sorgen. Für beim NHS angestellte GPs werden auch flexible Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle angeboten. Außerdem wurde eine Personalbeschaffungsinitiative gestartet, die eine Karriere im NHS bewirbt. 2023 startete der NHS ein Programm zur Verbesserung der Arbeitssituation in den Praxen und Versorgungszentren (National General Practice Improvement Programme, GPIP). Das Programm soll, bei gleichbleibender Versorgungsqualität, die Arbeitslast reduzieren. Eine bessere Patientenlenkung und ein Triagesystem, das den/die Patient:in zum „best point of service“ lenkt, sind die Schlüsselfaktoren dieses Programms. Gleichzeitig sollen Telefonkontakte, Online-Konsultationen und die Unterstützung durch Online-Tools (z.B. für die Terminvergabe) intensiviert werden. Ein weiterer wesentlicher Punkt des Programms ist die Reduktion bürokratischer Aufgaben. Zu diesem Themenkreis stehen von allgemeinen Seminaren bis hin zu persönlichen Weiterbildungsprogrammen viele Hilfsmaßnahmen zur Verfügung.
In Finnland ist gerade eine große Reform des Gesundheitswesens in Gange, die das historisch gewachsene dezentrale und fragmentierte Gesundheitswesen mehr zentralisieren soll. Insgesamt wurde die Rolle des Staates damit bereits deutlich gestärkt. Jede Person ist in Finnland obligatorisch von der sozialen Krankenversicherung erfasst. Als Erstanlaufzentrum für alle medizinischen Anliegen sollen die Finn:innen grundsätzlich das Gesundheitszentrum ihrer Wahl nutzen. Dieses kann maximal einmal im Jahr gewechselt werden. Die Gesundheitszentren, die ein breites Spektrum der Primärversorgung abdecken und teilweise sogar fachärztliche Aufgaben (durch Allgemeinmediziner:innen) übernehmen, fungieren als Gatekeeper für Spitäler und die fachärztliche Versorgung. Die Hausärzt:innen erwartet bei ihrer täglichen Arbeit eine Tätigkeit, die nicht nur von der Aufgabenstellung sehr umfassend ist, sondern auch in ein Team eingebettet abläuft. Medizinische Fachkräfte (z. B. Nurse Practitioner, Physician Assistant), die über eine Ausbildung auf Masterniveau verfügen, dürfen bestimmte ärztliche Leistungen entweder selbstständig oder unter ärztlicher Supervision durchführen. Flexible Arbeitszeitmodelle sind in den Gesundheitszentren möglich und werden auch gelebt.
Insgesamt ist in manchen abgelegenen Regionen zwar ein Mangel an Allgemeinmediziner:innen zu verzeichnen, dieser ist jedoch im letzten Jahrzehnt zurückgegangen, und Finnland ist daher von keiner massiven Knappheit betroffen. Dies ist unter anderem einem Tutoren- und Mentorenprogramm zu verdanken, das jungen Ärzt:innen in den Gesundheitszentren ausreichend Unterstützung zusichert. Aber auch die durch die Einschreibpflicht in ein Gesundheitszentrum quasi erzwungene Kontinuität in der Versorgung, in deren Mittelpunkt der/die Hausärzt:in steht, hat zur Beliebtheit der Allgemeinmedizin beigetragen, die bei jungen Mediziner:innen sogar zugenommen hat. Der Anteil von Allgemeinmediziner:innen in der Ärzteschaft ist in Finnland vergleichsweise hoch.
Das Schweizer Gesundheitswesen gilt allgemein als gut, aber teuer. Durch die Versicherungspflicht hat die gesamte Bevölkerung Zugang zum Gesundheitssystem, das im Bereich der Versicherungsmodelle viele Wahlmöglichkeiten bietet und durch geringe Wartezeiten auffällt. Die Lebenserwartung in der Schweiz ist äußerst hoch – wie auch die Kosten des Gesundheitssystems. In der Schweiz existiert zwar kein klassisches Hausarztsystem, in der Praxis sind aber die meisten Schweizer:innen in ein Versicherungsmodell eingeschrieben, das den direkten Zugang zur fachärztlichen Versorgung und zu den Spitälern einschränkt, dafür aber tarifliche Vergünstigungen bietet.
Die Schweiz ist allgemein für die guten Arbeitsbedingungen für Ärzt:innen bekannt, wodurch sich relativ einfach Personal aus dem Ausland anwerben lässt. Trotzdem ist der Altersschnitt des ärztlichen Personals eher hoch, und der Nationalrat machte daher 2022 klar, dass die gute Versorgung in der Schweiz durch Hausärzt:innen bis 2030 nur unter der Prämisse aufrechterhalten werden kann, dass die hohe Zuwanderung ausländischer Fachkräfte weiterhin bestehen bleibt. Zahlreiche Maßnahmen sollen der Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung dienen. Um die Zahl der Absolvent:innen in der Humanmedizin zu erhöhen (von 900 im Jahr 2016 auf 1.300 im Jahr 2025), wurden 100 Mio. Franken aufgebracht. Ein Schwerpunkt liegt hier auf der Sensibilisierung für die medizinische Grundversorgung. Außerdem wird die Hausarztmedizin an allen Ausbildungsorten als transversales Thema gelehrt, und den Studierenden werden zahlreiche Praktika in der Grundversorgung ermöglicht. 2021–2022 versuchte die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, mit ihrer Nachwuchskampagne #MehrVielfaltGibtsNirgends Medizinstudierende für den Fachbereich zu gewinnen. Darüber hinaus haben Kantone und Weiterbildungsstätten die Möglichkeit, mit Teilzeitangeboten oder gezielten Freistellungen von zu leistenden Notdiensten die Attraktivität der Allgemeinen Inneren Medizin zu steigern. Die Stiftung zur Förderung der Weiterbildung in der Hausarztmedizin (WHM) betreut seit 2009 ein Praxisassistenzprogramm, im Rahmen dessen sie Löhne von Praxisassistenzärzt:innen subventioniert und Lehrpraktikerkurse und Praxisführungskurse für Assistenzärzt:innen organisiert.
Es zeigt sich, dass auch in den vorgestellten Ländern Probleme bestehen, den Bedarf an medizinischer Primärversorgung zu decken. Mit Ausnahme von Finnland wurden Gegenmaßnahmen erst eher spät gesetzt. Vor allem aber zeigt die Vielzahl an Konzepten zur Förderung der Allgemeinmedizin, dass die große Bedeutung des Fachbereiches für die Versorgung der Bevölkerung mittlerweile bei der Politik angekommen ist.