Laut Schätzungen der WHO sind ca. zwei Milliarden Menschen weltweit anämisch. Am stärksten betroffen sind mit Abstand Schwangere und (besonders in der Dritten Welt) Frauen, gefolgt von Kleinkindern sowie älteren Menschen. Insbesondere der Eisenmangel, speziell die Eisenmangelanämie, ist nach wie vor eines der verbreitetsten, schwerwiegendsten und wichtigsten Ernährungsprobleme der Welt – und außerdem der einzige Nährstoffmangel, der in signifikantem Ausmaß praktisch auch alle Industrienationen betrifft.
Als Hauptursachen der Anämie lassen sich Mangelernährung, Infektionskrankheiten, Schwangerschaft und Stillzeit, chronische Blutverluste sowie Erbkrankheiten (Thalassämie, Sichelzellanämie, Glucose- 6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel) erheben. Infektionskrankheiten wie Malaria (Hämolyse) und einige andere parasitäre Erkrankungen (Hakenwurm, Trichuriasis, Amöbiasis und Schistosomiasis) sind vor allem in den nichtindustrialisierten Ländern häufige Ursachen und führen zu einem direkten Blutverlust.
Chronische Blutverluste in unseren Breiten sind vor allem durch die Menstruations- und gastrointestinale Blutungen bedingt, wobei für letztere viele der heutzutage häufig verwendeten Medikamente (OAK, NSAR, SSRI) ursächlich sind. Diese Verluste führen letztlich zu einem Mangel an Eisen und in weiterer Folge oft auch anderen für die Hämatopoese wichtigen Mikronährstoffen (v.a. Folsäure).
Eine weitere nicht zu unterschätzende Ursache ist der teilweise oft unkritische Einsatz von Antazida – vor allem von Protonenpumpenhemmern (PPI). Durch die supprimierte Magensäure wird das aus pflanzlichem Ursprung stammende dreiwertige Eisen im Magen nicht ausreichend in das resorbierbare zweiwertige Eisen umgewandelt.
Eisenmangel verzögert die kognitive Kindesentwicklung vom Kleinkind- bis ins Adoleszentenalter, schädigt Immunmechanismen und ist mit erhöhten Morbiditätsraten assoziiert. Während der Schwangerschaft ist der Eisenmangel mit vielen Komplikationen sowohl für die Mutter als auch das Kind, wie z.B. einem erhöhten Risiko für Blutungen, Sepsis, mütterliche Mortalität, perinatale Mortalität und niedriges Geburtsgewicht, vergesellschaftet. Schätzungen gehen davon aus, dass in Entwicklungsländern beinahe alle Frauen einen gewissen Eisenmangel aufweisen und dass mehr als die Hälfte der Schwangeren anämisch sind. Sogar in den Industriestaaten sind die Eisenspeicher der meisten schwangeren Frauen unterfüllt, ca. 23% leiden an einer Eisenmangelanämie.
Auch wenn der Eisenmangel für die meisten Anämien verantwortlich ist (Abb. 1), müssen auch andere mögliche alimentäre Ursachen, wie ein Mangel an anderen Schlüsselnährstoffen, v.a. Folsäure, Vitamin B12, Vitamin A und C, Eiweiß, Kupfer und weitere Mineralstoffe, berücksichtigt werden. Vor allem der Vitamin-B12-Mangel ist in Europa zunehmend ein Thema, da die Zahl der sich vegan ernährenden Menschen stetig steigt und dieses Vitamin außer in (mikrobiell hergestelltem) Sauerkraut und Sanddorn nur in tierischen Lebensmitteln enthalten ist.
In der Diagnostik sollte bedacht werden, dass bereits bei Mangelzuständen ohne bis dato ausgebildete Anämie spürbare und die Lebensqualität einschränkende Symptome vorhanden sein können. Beim Eisenmangel spricht man etwa vom Eisenmangelsyndrom, das bei Ferritinwerten zwischen 15 und 30 ng/ml einer Anämie vorausgehen kann (Abb. 2).
Laborchemisch sollte immer ein komplettes Blutbild inklusive Retikulozyten, Ferritinspiegel, Transferrinsättigung, Vitamin-B12-Spiegel (oder besser Holotranscobalamin), Folsäure, Nierenwerte und CRP bestimmt werden.
Erythrozytenindizes (MCV, MCH) können zwar in eine Richtung weisen, z.B. eine mikrozytäre Anämie auf einen Eisenmangel oder eine makrozytäre Anämie auf einen Folsäure- oder Vitamin-B12-Mangel hinweisen; neueste Daten zeigen aber, dass auch immer an die Möglichkeit kombinierter Mängel gedacht werden muss. Hierbei gilt das klassische differenzialdiagnostische Schema der Erythrozytenindizes nicht mehr. Diesbezüglich wurden im Jahr 2014 im KH Hietzing mehr als 10.000 Anämien analysiert. Hier lag etwa bei 25% der mikrozytären Anämien zusätzlich zum Eisen ein Folsäuremangel vor. Auch bei den normozytären Anämien bestand in 30% ein Folsäure-, in 6% ein Vitamin-B12-Mangel. Daher ist auch bei mikro- und normozytärer Anämie eine Messung des Folsäure- und des Vitamin-B12-Spiegels unbedingt nötig.
Ebenso ist eine genaue Anamnese der Ernährungsgewohnheiten zu erheben, um vor allem primäre alimentäre Faktoren zu identifizieren. Wie erwähnt leidet beispielsweise ein Großteil der Veganer an einem Vitamin-B12-Mangel, dieser ist bei Vegetariern seltener. In beiden Gruppen besteht häufig ein Eisenmangel, sie weisen jedoch in der Regel eine sehr gute Versorgung mit Folsäure auf. Bei vorhandener Menstruationsblutung kannüber Onlinerechner (z.B. www.menstest.de)abgeschätzt werden, ob der Verlust anämierelevant ist. Bei positivem Haemoccult® muss eine endoskopische Abklärung mittels Kolo- und Gastroskopie erfolgen. Letztere muss auch bei einem Vitamin-B12-Mangel durchgeführt werden, um eine perniziöse Anämie auszuschließen.
Bei erhöhtem CRP und Ferritin muss an eine Anämie der chronischen Erkrankung (ACD) gedacht werden, bei der durch Hepcidin sowohl die Eisenaufnahme als auch die Eisenverteilung im Körper blockiert wird. Bei niereninsuffizienten Patienten findet sich unter einer GFR< 30 ml/min fast immer eine renale Anämie.
Präoperative Anämie: Insbesondere auch präoperativ sollten Anämien unbedingt identifiziert und therapiert werden. Es konnte gezeigt werden, dass eine (selbst milde) präoperative Anämie mit erhöhter Mortalität und Morbidität assoziiert ist. In großen Studien waren rund 30% aller präoperativen Patienten anämisch.
Bei der Supplementierung muss zwischen der Prävention und der Korrektur einer Eisenmangelanämie unterscheiden werden. Alle Schwangeren sollten während der Schwangerschaft 30–60 mg Eisen und 400 μg Folsäure täglich zur Prävention erhalten.
Hämeisen, das in Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten vorkommt, kann am besten verwertet werden. Bei der Ernährung sollte außerdem darauf geachtet werden, dass es Substanzen gibt, welche die Eisenresorption fördern. Hierzu zählen vor allem Vitamin C, aber auch andere organische Säuren wie Apfelsäure, Weinsäure und Zitronensäure, also Früchte und Gemüse.
Gehemmt wird die Eisenresorption hingegen durch: Tannin (schwarzer Tee und Kaffee), Phytinsäure (in unfermentiertem Vollkorngetreide und manchen Hülsenfrüchten), Kalzium, Magnesium (in größeren Mengen), Eier (Ursache unklar), Phosphate (v.a. in Fleisch, Käse, Lebensmittelzusätzen) und Oxalsäure (z.B. in Kakao, Spinat und Rhabarber).
Vor der Korrektur einer Eisenmangelanämie sollte (heute einfach mittels Onlinerechner) der Eisenbedarf ermittelt werden. Bei der oralen Korrektur ist zu beachten, dass nur ca. 10% des zugeführten Eisens resorbiert werden können. Es muss also oral die zehnfache Menge des zuvor errechneten Eisenbedarfs verabreicht werden.
Ab einem Eisenbedarf von über 500 mg sollte auch an die Möglichkeit der parenteralen Substitution gedacht werden. Durch den sofortigen Ausgleich des Defizits lässt sich hier bei starken Symptomen die Leidenszeit extrem verkürzen. Die modernen Präparate gelten als sehr sicher, allergische Reaktionen sind nur noch äußerst selten zu beobachten.
Für die Substitution von Folsäure stehen orale Präparate (z.B. Folsan®) zur Verfügung, Vitamin-B12 kann mittels angereicherter Lebensmittel und Zahnpasten ersetzt werden, natürlich stehen auch orale und parenterale Präparate zur Verfügung.
Resümee: Anämien sind zwar häufig, können aber gut diagnostiziert und behandelt werden. Durch eine ausgeglichene Ernährung lassen sich Nährstoffmangel-anämien häufig verhindern. Folsäure- und Vitamin-B12-Mangel sind häufiger vorhanden als bisher angenommen.