Angst in Zusammenhang mit den Begleiterscheinungen des Älterwerdens ist uns allen gemeinsam: Wir fürchten geistigen Abbau, körperliche Schwäche, Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Schmerzen, Tod, Einsamkeit bzw. Verlust des Lebenspartners. Manche Ängste treten in Zusammenhang mit der Sorge, dass die finanziellen Mittel nicht ausreichen könnten auf und dadurch Probleme mit der alltäglichen Versorgung bzw. mit der eventuellen Pflegebedürftigkeit entstünden.
Zur Angst kommt häufig auch die Trauer. Sie betrifft die zeitliche Begrenztheit des Lebens, dass manches nicht mehr erledigt oder gut gemacht werden kann, dass Fähigkeiten, auf die man stolz war, verloren gehen oder gingen, dass Menschen, die einem wertvoll waren, nicht mehr sind und dass Freundschaften, die selbstverständlich waren, nicht mehr lebbar sind oder eine melancholische Färbung bekommen. Fragen über das tatsächliche Ende werden häufiger: Wie läuft Sterben ab? Wird es mit Schmerzen verbunden sein? Werde ich nach dem Tod weiterexistieren?
Angst bei Älteren wird leicht übersehen und verkannt. Körperliche Beschwerden werden auf das Lebensalter zurückgeführt und nicht als Ausdruck von Angst gesehen. „Altersängste“ werden oft als normale Begleiter des Älterwerdens eingeschätzt. Scheu und Stolz verhindern häufig Gespräche über psychische Probleme. Gesprächsvermeidung, aber auch Beredsamkeit als Ausdruck der Angst, erschweren das Erkennen.
Die Grenze zwischen gesund und krank ist fließend. Das Bild ist bunt: Angststörungen können ohne körperliche Symptomatik und mit vorwiegend körperlicher Symptomatik bestehen. Sie bestehen gleichzeitig mit, aber unabhängig von einer bestehenden körperlichen Erkrankung und viele körperliche Erkrankungen erzeugen einfühlbar Angst. Dementsprechend schwierig ist die Zuordnung. Wichtige Fragen sind die nach Zeitdauer und den Umständen des Beginns: „Wie lange bestehen die Ängste, die Sorgen, die Befürchtungen schon?“ „Wie stark ist die Unruhe? Welcher Art ist die Schlafstörung? Besteht eine Unfähigkeit sich zu entspannen?“ Wenn die körperlichen Beschwerden im Vordergrund stehen: „Wie oft und wann treten Schwitzen, Herzrasen, Magenbeschwerden, Übelkeit, Erstickungsgefühl, Schwindel auf?“ Die Fragen nach Medikamenten und Alkohol können sowohl in Richtung früherer Gebrauch, aber auch nach Erleichterung der Angst durch den Gebrauch gestellt werden.
Bei der Präsentation in der Praxis stehen körperliche Beschwerden meist im Vordergrund. Bluthochdruck, Herzrhythmusstörung, Beklemmungen, Zittern, Schweiß, Mundtrockenheit, zugeschnürte Kehle, Atemnot, Hyperventilation, asthmaartige Beschwerden, Kopfschmerz, Schwindel, Muskelspannung sind körperliche, häufig mit Angst assoziierte oder Angst ausdrückende Symptome. Schlafstörungen, insbesondere nächtliches Erwachen und nicht wieder einschlafen können, Ermüdbarkeit, vermehrte Reizbarkeit und Ruhelosigkeit sind typische psychische, angstassoziierte Symptome. Soziale Symptome wie die Abnahme sozialer Aktivitäten, Gefühle der Geringschätzung, der Einsamkeit, ungewohnte Ungeduld und schlecht kontrollierbare Aggressivität werden häufig im vertiefenden Gespräch mitgeteilt bzw. dabei erkennbar.
Nach der Abklärung möglicher organischer Ursachen und körperlicher Symptome sind vor allem Fragen in Richtung Depression wichtig: Der Beginn einer demenziellen Entwicklung sollte erwogen werden. Panikattacken, soziale Phobien, objekt- oder situationsbezogene Phobien sowie medikamentöse Ursachen sind vor allem wegen der Vermeidung von Überdiagnostik bedeutsam.
Die Betreuung älterer Menschen mit Angststörungen geht auch für die ärztlichen oder nichtärztlichen Betreuer mit erhöhter Belastung einher. Anklammerung, kindliche Regression und gefühlte Hilflosigkeit über die tatsächliche Hilfsbedürftigkeit hinaus, überhöhte Aufmerksamkeit auf körperliches Geschehen mit dem immer wiederkehrenden Wunsch nach Deutung und Prognose machen die Interaktion oft schwierig. Gehäufte Diagnostikwünsche stehen oft im Wechsel mit Diagnostikvermeidung. Ablehnung von psychotherapeutischen Maßnahmen steht dem Wunsch nach Zeit und intensivem Gespräch gegenüber. Gleichzeitig ist häufig latente Wut bzw. Aggression spürbar, die eigentlich den unausweichlichen Begleiterscheinungen des Älterwerdens gilt.
Gezielte Entlastung durch frühzeitigen Einbezug ärztlicher und nichtärztlicher Gesundheitsberufe und Nutzung psychohygienischer Einrichtungen z.B. Balintgruppe oder Qualitätszirkel sind den Behandlern anzuraten. Die Betreuung von Menschen mit Angsterkrankung im Netzwerk hat, wie aber natürlich in fast allen Bereichen der Medizin, große Bedeutung.
Angst kann Symptom fast jeder psychischen Erkrankung sein. Die enge Zusammenarbeit mit Fachärzten für Psychiatrie zur genauen Diagnostik ist daher anzuraten, insbesondere wenn Wahnhaftes merkbar ist, wenn der Gedankenablauf nicht mehr einfühlbar ist, wenn Gedankensprünge merkbar werden oder Halluzinationen und Derealisationserlebnisse berichtet werden.
Wir denken an Anpassungsstörungen, wenn eine depressive, ängstliche, soziale Symptomatik in der Folge belastender Lebensereignisse kurzzeitig auftritt. Eine akute Belastungsreaktion wird erwogen, wenn unmittelbar nach einem Ereignis eine ängstliche, depressive, wie gelähmte oder auch ziellos überaktive Symptomatik besteht; eine posttraumatische Belastungsstörung, wenn das Ereignis länger zurückliegt und in Zusammenhang mit Ängsten, Schlafstörungen, depressiven Symptomen, Flashbacks und Schreckhaftigkeit gebracht werden kann.
Mit einer Prävalenz von 3–5% (Content 2010) sind wir in der Hausarztpraxis mit Panikstörungen konfrontiert. Kennzeichnend ist die offensichtliche, große Angst mit gleichzeitig meist depressiven Symptomen oder Agoraphobie über mehr als vier Monate, die in Form wiederholter Attacken ohne spezielle Auslöser oder körperliche Erkrankung auftritt. Sie ist bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern zu finden. Das Suizidrisiko und eventueller Alkoholmissbrauch sind zu beachten.
Generalisierte Angststörungen beginnen zwar vorwiegend um das 30. Lebensjahr, haben aber einen zweiten Gipfel um das 60. Lebensjahr, wenn der Rückzug aus dem Beruf, die Umstellung auf eine neue Lebensphase notwendig ist. Charakteristisch ist die kontinuierliche, exzessive Angst die Zukunft betreffend, aber auch in Zusammenhang mit alltäglichen Ereignissen. Es gelingt nicht, die Angst unter Kontrolle zu halten. Die Angst tritt nicht unter bestimmten Umständen auf, ist nicht episodisch und oft mit anderen psychischen Störungen assoziiert.
Wenn der Leidensdruck groß ist, das Gefühl besteht, die Kontrolle zu verlieren, wenn Vermeidungsversuche bzw. Fluchtversuche die Lebensqualität beeinträchtigen, wenn eine Unangemessenheit bezüglich Stärke, Dauer und Intensität der psychischen und körperlichen Begleiterscheinungen vorliegt, ist eine Behandlungsindikation gegeben.
Sie sollte möglichst multimodal mit Soziotherapie (Motivation zum sozialen Anschluss, Gehgruppen, stundenweise Helfer, Tagesheim etc.), Psychotherapie und Pharmakotherapie angelegt werden. Letztere sollte der Regel folgen: „Start slow, go slow, aim high, treat long” mit begleitender, strukturierter Einladung zu einem bestärkenden Gespräch wegen der hohen Absetzrate infolge krankheitsimmanenter Überbesorgtheit.