Angststörungen und wie man sie behandelt

Behandlungsbedürftige Ängste gehen weit über die Angststörungen hinaus. So kann auch bei somatischen Zuständen (Infarkt, Asthmaanfall etc.) Angst auftreten, ohne dass diese gleich die Kriterien einer Angststörung erfüllen. Auch bei vielen psychischen Störungen treten Ängste auf, ohne dass eine Angststörung im engeren Sinne vorliegt.

Ab der ICD-11, der noch nicht gültigen neuen Klassifikation der WHO, werden Angststörungen neu gefasst (Tab.). Zur generalisierten Angststörung, einer langandauernden unangebrachten Angst, der Panikstörung, immer wieder Auftreten von Panikattacken (ungerichtete Ängste) und den Phobien (gerichtete Ängste: Agoraphobie, Sozialphobie und spezifische Phobien) wurden die Trennungsangststörung und der selektive Mutismus neu aufgenommen.
Die Trennungsangststörung ist durch eine ausgeprägte und übermäßige Furcht oder Angst vor der Trennung von bestimmten Bezugspersonen gekennzeichnet. Bei Kindern und Jugendlichen konzentriert sich die Trennungsangst typischerweise auf Bezugspersonen, Eltern oder andere Familienmitglieder, und die Angst geht über das hinaus, was entwicklungsmäßig als normal angesehen werden würde. Bei Erwachsenen stehen in der Regel ein Liebespartner oder die Kinder im Mittelpunkt. Der selektive Mutismus kann bei Kindern auftreten, die in bestimmten sozialen Situationen, typischerweise zu Hause, eine angemessene Sprachkompetenz zeigen, in anderen Situationen, typischerweise in der Schule, aber konsequent (über 1 Monat) nicht sprechen.

Zur Behandlung von Angststörungen stehen psychotherapeutische und psychopharmakologische Möglichkeiten zur Verfügung.

Psychoedukation

Wichtig für die Patient:innen ist es, im Rahmen der Psychoedukation die eigene Angststörung zu verstehen, um die Grundlage für das Selbstmanagement zu ermöglichen (Themen der Psychoedukation: Teufelskreis der Panikattacke, Angst-Stress-Modell). Die Panikattacke kann als eine Fehlaktivierung des Fluchtverhaltens verstanden werden. Panikattacken allein treten etwa bei jedem 3. Menschen mindestens einmal im Leben auf. Bei einzelnen Panikattacken genügt häufig eine Psychoedukation mit Lebensstiländerung, bei der Panikstörung (mindestens eine Panikattacke pro Woche über einen Monat) braucht es über die Psychoedukation und die Lebensstiländerung hinaus auch eine Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie.

Psychotherapie

Im Rahmen der Psychotherapie ist es wichtig, eine gute therapeutische Beziehung aufzubauen. Klärung, Ressourcenmobilisation, Problemkonfrontation und Bewältigung stellen weitere wichtige Wirkfaktoren dar.

Verhaltenstherapeutische Verfahren bei phobischen Störungen

Bei den phobischen Störungen haben sich vor allem verhaltenstherapeutische Verfahren als besonders wirksam erwiesen. Im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Psychotherapie wie der Selbstmanagement-Therapie werden 7 Therapiephasen unterschieden:

  1. die Eingangsphase mit der Schaffung günstiger Ausgangsbedingungen für den therapeutischen Prozess
  2. der Aufbau von Veränderungsmotivation und die Auswahl von Änderungsbereichen
  3. die Verhaltensanalyse: die Problembeschreibung und die Suche nach den aufrechterhaltenden Bedingungen
  4. das Klären und Vereinbaren therapeutischer Ziele
  5. Planung, Auswahl und Durchführung spezieller Methoden
  6. die Evaluation der Fortschritte und
  7. die Endphase: Erfolgsoptimierung und Abschluss der Therapie

Für die Phase 5 stehen Expositionsverfahren (gestufte Exposition, Flooding) oder gestufte Verfahren wie die systematische Desensibilisierung mit dem Erlernen eines Entspannungsverfahrens zur Verfügung. Entspannungsverfahren können auch bei anderen, ungerichteten Angststörungen eingesetzt werden. Besonders bewährt hat sich die progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder sogenannte „Skills“ zur Emotionsregulation (z. B. Tapping).

Metakognitive Therapie

Eine Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie ist die metakognitive Therapie. Menschen mit einer generalisierten Angststörung setzen das „Sich-Sorgen“ als vorherrschende Strategie ein, um zukünftige Probleme zu antizipieren und Möglichkeiten der Bewältigung zu entwickeln. Das sind zunächst „Gewöhnliche Sorgen“ (= Typ-I-Sorgen).
Ausschlaggebend für den Übergang zur generalisierten Angststörung sind vor allem die negativen metakognitiven Überzeugungen über die Unkontrollierbarkeit des Sich-Sorgens und über die Schädlichkeit des Sich-Sorgens (= Typ-II-Sorgen). In der kognitiven Verhaltenstherapie nutzen die Therapeut:innen Fragen, um den Inhalt von Gedanken und Überzeugungen zu explorieren und die Behandlung auf eine Veränderung dieser Überzeugungen zu lenken.
In der metakognitiven Therapie hingegen zielt der sokratische Dialog darauf ab, dysfunktionale Überzeugungen über Gedanken und Emotionen (Metakognitionen) aufzudecken und zu verändern (Identifizierung und Beeinflussung des kognitiven Aufmerksamkeitssyndroms [CAS]).

Sorgfältige Diagnostik

Angstsymptome treten bei vielen psychischen Störungen auf, vor allem auch bei der posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) und den Zwangsstörungen (F42.x).
Diese Ängste sind psychotherapeutisch und psychopharmakologisch oft unterschiedlich zu behandeln als jene Ängste, die bei Angststörungen vorkommen. Phänomenologisch sind die Ängste jedoch oft sehr ähnlich. Eine gute Diagnostik ist daher unbedingt notwendig, um eine geeignete Therapie zu finden. Bei komplexen Traumatisierungen und Zwangsstörungen können zu früh angewandte Expositionsverfahren sogar kontraproduktiv sein. Auch die Anwendung von Entspannungsverfahren muss auf die unterschiedlichen Diagnosen abgestimmt werden.

Pharmakologische Therapieoptionen

Bei den pharmakologischen Interventionen ist eine sorgfältige Diagnostik ebenfalls wichtig, da nicht jedes Medikament bei jeder Angststörung indiziert ist. Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) haben sich besonders bei den Angststörungen bewährt: Escitalopram und Paroxetin sind bei generalisierter Angststörung, Panikstörung und Sozialphobie indiziert. Sertralin hingegen ist bei Panikstörung und Sozialphobie indiziert. SSRI sind auch bei den Zwangsstörungen indiziert; bei der posttraumatischen Belastungsstörung dagegen nur Paroxetin und Sertralin.

Auch die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Duloxetin und Venlafaxin sind bei der generalisierten Angststörung indiziert. Venlafaxin kann auch bei Sozialphobie eingesetzt werden. Trazodon ist bei der generalisierten Angststörung und der posttraumatischen Belastungsstörung indiziert. Für den reversiblen Monoaminooxidase-A-Hemmer (RIMA) Moclobemid stellt Sozialphobie eine Indikation dar.
Für das Antiepileptikum Pregabalin besteht für die generalisierte Angststörung ebenfalls eine Indikation.
Benzodiazepine machen die Hauptgruppe der Anxiolytika aus. Benzodiazepine sind allgemein gut verträglich und werden daher bei einer breiten Palette von Ängsten im klinischen Alltag eingesetzt. Nebenwirkungen wie Benommenheit bis zur tiefen Sedierung, verzögertes Reaktionsvermögen, Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, Entwicklung einer Abhängigkeit im Langzeitgebrauch und als Risikofaktor für eine Demenzentwicklung im Langzeitgebrauch machen Benzodiazepine allerdings in der Regel nicht für eine Dauertherapie geeignet. Für Angststörungen wird daher eine begrenzte Einnahmedauer von 6 Wochen empfohlen.
Das Antihistaminikum Hydroxyzin kann bei der Behandlung der generalisierten Angststörung eingesetzt werden.
Auch Phytotherapeutika können helfen. In der Metaanalyse von Känel et al. (2021) konnte gezeigt werden, dass Silexan (Lavendelpräparat) statistisch signifikante und klinisch relevante Vorteile gegenüber einer Placebobehandlung bei der Verbesserung der somatischen Symptome, einschließlich Schlaflosigkeit/Müdigkeit, und der körperlichen Gesund
heit bei Patient:innen mit Angststörungen hat.

Wichtig ist die Vermeidung einer Suchtentwicklung bei Tranquilizern. Häufig ist eine Kombination aus Psycho- und Pharmakotherapie erforderlich.