Dr. Oskar Janata FA für Infektionskrankheiten, Klinik Donaustadt, WiGeV, Wien |
Rezepte für den Bezug von Antibiotika, insbesondere Penicillin oder Cephalosporin-Kindersäfte, konnten in den Apotheken nicht eingelöst werden. Auch wenn es einige vielleicht vergessen haben: Antibiotika gehören zu den essenziellen Therapeutika der Medizin. Von den Hausärzt:innen, welche die bakteriellen Komplikationen nach Influenza oder RSV behandeln müssen, bis zu den Intensivmediziner:innen, welche die – trotz „Ende der Pandemie“ – immer noch schwer an COVID-19 erkrankten Patient:innen an den Beatmungsmaschinen betreuen, sind alle darauf angewiesen, jederzeit das passende Antibiotikum einsetzen zu können.
Obwohl Antibiotika unentbehrlich sind, sind Versorgungsengpässe paradoxerweise gar nicht so selten, wofür es eine Reihe von Gründen gibt. Technische Probleme bei der Produktion können die Herstellung stoppen. Die Erzeugung der meisten Antibiotika beruht immer noch auf Fermentationsprozessen, die für Verunreinigungen anfällig sind. Welche Folgen Unterbrechungen der Verteilerkette haben können, haben wir in den letzten Jahren mehrfach erfahren. Antibiotika werden heutzutage weltweit und arbeitsteilig hergestellt. Vor Jahren führte eine Verunreinigung der Rohstoffe beim Hersteller von Chemikalien in Indien und ein Verpackungsproblem bei einer italienischen Pharmafirma dazu, dass es in Japan (!) zu einem eklatanten Mangel an einem im Spital häufig verwendeten Cephalosporin kam. Die unvermeidlichen Konsequenzen eines derartigen Mangels sind einerseits hohe Kosten für die alternativen Substanzen, andererseits bedeutet es für die Patient:innen die Gefahr einer möglicherweise weniger effizienten Therapie bei vermehrtem Risiko von Nebenwirkungen.
Die vom Mangel betroffenen Penicilline und Cephalosporine gehören eben zu den potentesten und gleichzeitig am besten verträglichen Antiinfektiva. Die Mangelsituation kann aber auch durch eine überraschend hohe Nachfrage, bedingt durch pandemische Atemwegsinfektionen, oder Auftreten von Krankheitserregern, deren Behandlung ganz spezielle Antibiotika erfordern, verursacht werden. An der Instabilität des Systems sind die pharmazeutischen Firmen nicht unbeteiligt, die an der Herstellung von Antibiotika, die kaum Gewinne abwerfen, zunehmend weniger interessiert sind. Durch Firmenfusionierungen wurden zudem viele, früher als Anbieter konkurrierende Firmen vom Markt genommen. Wenn also eine Firma Lieferprobleme hat, kann die Konkurrenz nicht aushelfen. Das Anlegen von Reserven und die Lagerhaltung sind in den modernen Produktionsprozessen sowieso nicht vorgesehen.
Welche Maßnahmen wären zur Überwindung der Antibiotikakrise notwendig? An erster Stelle wäre eine aktive Benennung des Problems durch die zuständigen Behörden zu fordern, um einer aufkommenden Unsicherheit bei Ärzt:innen und Patient:innen zu begegnen. Die Fachgesellschaft en müssten alternative Behandlungskonzepte ausarbeiten und den Ärzt:innen rasch kommunizieren. Harnwegsinfekte muss man nicht mit Penicillinen oder Cephalosporinen behandeln, wenn man diese Substanzen viel dringender für die Therapie von Infektionen der Atemwege benötigt. Die verfügbaren Antibiotikavorräte sollten erfasst werden, und es wäre für eine faire und transparente Verteilung zu sorgen; ein „Horten“ von Antibiotika, aus welchen Gründen auch immer, muss verhindert werden. Die Patient:innen müssen über die Verfügbarkeit in den einzelnen Apotheken informiert werden; es ist eigentlich nicht zumutbar, Eltern, die um ihre fiebernden, kranken Kinder besorgt sind, auf die Suche nach einer Apotheke mit Restbeständen zu schicken. Apotheker:innen muss erlaubt werden, ad hoc Präparate herzustellen. Man kann zwar nicht alle Tabletten oder Kapseln in Kindersäfte umwandeln, die nötige Fachkompetenz ist jedoch sicher vorhanden. Die Einfuhr von in Österreich nicht üblichen Substanzen sollte erleichtert werden, z. B. von Nitrofurantoin-Kindersaft als Ersatz für orale Cephalosporine bei Harnwegsinfekten.
Eine langfristig wirksame Strategie zur Vermeidung von Versorgungsengpässen sollte gut durchdacht und in einem nationalen Aktionsplan niedergeschrieben werden. Eine im klassischen Sinn verstaatlichte Antibiotikaproduktion wird es wohl nicht geben; jedoch wäre ein Arrangement nach dem „Schwedischen Modell“ denkbar, bei dem der Staat den Firmen Umsatzgarantien gibt und diese im Gegenzug die Versorgung priorisieren. Alternativ könnten Non-Profit-Organisationen mit der Produktion von Basis-Antibiotika betraut werden. Analog zum historischen Ankauf des Influenza-Medikaments Tamiflu® könnte auch eine gewisse Menge von für die Grundversorgung relevanten Antibiotika eingelagert werden. Zusammenfassend ist noch einmal zu betonen, dass Antibiotika nicht nur für die Spitzenmedizin essenziell sind, sondern Tag für Tag in der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung zur Anwendung kommen. Die aktuelle Versorgungsknappheit ist unangenehm; die Folgen eines langfristigen Mangels oder gar Ausfalls der Versorgung sind nur schwer vorstellbar.