Dr. Jan Oliver Huber, Leiter des Gesundheitspolitischen Forums und Vorstandsmitglied der Karl Landsteiner Gesellschaft, betonte in seinen Eröffnungsworten, dass es noch immer viel zu oft zu einem falschen Einsatz von Antibiotika komme und Resistenzen daher weiterhin zunehmen: „Die damit verbundene Gefahr darf nicht unterschätzt werden!“
Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Birgit Willinger, Leiterin der Abteilung für Klinische Mikrobiologie am Klinischen Institut für Labormedizin, Medizinische Universität Wien, bezeichnete in ihrer Keynote antimikrobielle Resistenzen als „die stille Pandemie“: „Antimikrobielle Resistenzen zählen weltweit zu den häufigsten und gefährlichsten Bedrohungen unserer Gesundheit. Jedes Jahr sterben in der EU (mit Norwegen und Island) über 35.000 Menschen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien. Zum Vergleich: HIV/AIDS, Influenza und Tuberkulose sowie Pneumokokken-Infektionen zusammen liegen zahlenmäßig darunter. Die Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen sind von 2016 bis 2020 in Europa um 50 % gestiegen!“ Willinger betonte, dass es vor allem die multiresistenten Bakterien sind, die Anlass zur Sorge geben und die neue Antibiotika erforderlich machen. Den Hauptgrund für die Entstehung von Resistenzen sieht sie in der falschen Anwendung: „Antibiotika werden zu häufig, zu kurz oder zu niedrig dosiert eingenommen, und sie werden eingesetzt, obwohl sie nicht wirken, z. B. bei viralen Infektionen. Dazu kommt noch der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung, der die Entstehung resistenter Bakterien begünstigt.“ Die Gegenmaßnahmen liegen aus der Sicht von Willinger somit auf der Hand: „Ein kritischer Einsatz von Antibiotika, d. h. nur dann, wenn wirklich notwendig, in korrekter Dosierung und richtiger Zeitdauer, weiters eine präzise und rasche Diagnostik, vor allem aber eine generelle Prävention von Infektionen mittels Händehygiene, Screening (Erregernachweis und Antibiogramm) und Isolierung von Pa-tient:innen bei bestimmten Infektionen sowie die Entwicklung neuer Antiinfektiva.“
MRin Dr.in Susanne Rabady, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) und Leitung Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin, Karl Landsteiner Universität Krems, schilderte die Situation im niedergelassenen Bereich und betonte zu Beginn: „Immerhin 80 % aller Medikamente werden von Hausärzt:innen verschrieben.“ Sie sieht im Hinblick auf den Einsatz von Antibiotika diagnostische Hürden bei den niedergelassenen Allgemeinmediziner:innen: „Wir Hausärzt:innen würden z. B. die Möglichkeit zur Bestätigung eines viralen Erregers mittels Schnelltest benötigen, oder auch zur Bestätigung z. B. einer Streptokokkeninfektion, aber auch einfache, in vielen Praxen mögliche Laboruntersuchungen (Blutbild, CRP) – und zwar ohne Kosten für die Patient:innen!“ Weiters kritisiert sie, dass es in der Praxis sehr wenig Informationen über die aktuelle Resistenzlage gebe. „Medikamenteninteraktionen sind zudem unüberschaubar und die diesbezüglich verfügbaren Softwares sind nicht sehr treffsicher. Leitlinien helfen zwar den Spezialist:innen, sind aber für den Einsatz in der Hausarztpraxis während der Konsultation nicht geeignet, dafür gibt es einfach zu viele, die kann man nicht alle kennen.“ Rabady sieht mehrere Angriffspunkte, um diese Probleme zu lösen: Auf der Wissensebene fordert sie einen einfacheren Zugang von Hausärzt:innen zu praxisrelevanten Informationen, wie z. B einen in die Software integrierten Zugang zu regelmäßigen Updates über die regionale Situation von Resistenzen, Fachwissen in geeigneter Form, also während der Konsultation einsetzbare hausärztliche Tools mit evidenzbasierten Empfehlungen (die es laut Rabady durchaus gibt) sowie Informationen über Real-Life-Medikamenteninteraktionen. Dies sei z. B. durch Point-of-Care-Tools wie etwa die sehr kurz gefassten EbM Guidelines möglich: „Diese kann man neben dem Patientengespräch kurz checken.“ Auf der Kontextebene sieht sie mögliche Gegenmaßnahmen in einer kontinuierlichen Betreuung der Pa-tient:innen, einem strukturierten Medikamentenmanagement und einer Patient-Summary-Software. „Zudem braucht es noch eine Förderung der Gesundheitskompetenz auf Seiten der Patient:innen“, betont Rabady. Sie sieht zudem eine erfolgreiche Arzt-Patienten-Kommunikation als wesentliche Basis und wünscht sich als Unterstützung grafisch gut aufbereitete Patienteninformationen: „Denn wir Hausärzt:innen sind davon abhängig, dass die Patient:innen zuhause das tun, was wir ihnen verordnet haben!“
Auch DIin Dr.in Christa Wirthumer-Hoche, ehemalige Leiterin des Geschäftsfeldes AGES Medizinmarktaufsicht, sieht die Antibiotikaresistenzen als dramatische Situation: „Das Problem wurde bereits vor Jahren identifiziert und muss jetzt an oberster Stelle stehen! Es wurde zwar bereits etwas getan, aber das reicht nicht.“ Wirthumer-Hoche verwies in diesem Zusammenhang auf den One Health Joint Plan of Action der Vereinten Nationen, der auf 3 Ebenen – Mensch, Tier und Umwelt – ansetzt. „Wir müssen uns bewusst machen, dass wir noch immer zu viel Antibiotika in der Veterinärmedizin einsetzen, obwohl dies für prophylaktische Zwecke gar nicht mehr der Fall sein darf. Zwar wurde dieser Verbrauch bereits reduziert, ist aber immer noch zu hoch.“ Auch auf regulatorischer Seite sieht sie Handlungsbedarf: „Die zuständigen Behörden arbeiten z. B. bereits seit Jahren daran, dass wir bei allen zugelassenen Antibiotika die Produktinformationen in Hinblick auf Indikation, Dauer der Anwendung usw. überprüfen.“
Das in der neuen EU-Pharmagesetzgebung vorgesehene Voucher-System, ein Datenexklusivitätsgutschein für neue Antibiotika, sieht Wirthumer-Hoche zwar als möglichen Anreiz für die Industrie, allerdings keinesfalls als alleinige Lösung des Resistenz-Problems, vor allem da die Europäische Kommission vorgesehen hat, dass es in 15 Jahren nur 10 Voucher geben wird.
Auch Dr. Wolfgang Andiel, Lead Public Affairs Sandoz Österreich und Präsident des Österreichischen Generikaverbandes (OeGV), hält die Idee des Vouchers zwar grundsätzlich für attraktiv, hätte sich aber gewünscht, dass man darüber nachdenkt, einen Teil des Geldes, das dafür verwendet wird, eher für Maßnahmen hinsichtlich eines richtigen Antibiotikaeinsatzes aufzuwenden. „Die Entwicklung von 10 neuen Antibiotika in den nächsten 15 Jahren wird die pharmazeutische Industrie gar nicht schaffen. Es hat schon einen Grund, warum es heute kein einziges patentgeschütztes Antibiotikum gibt: Antibiotika sind teuer in der Entwicklung und finanziell nicht lukrativ.“ Andiel hält es für sinnvoller, die Wirksamkeit bestehender Antibiotika zu erhalten und fordert in diesem Zusammenhang – wie bereits Rabady – die Verfügbarkeit von Schnelltests in der Praxis. „Es ist ja auch von großer Bedeutung, dass Patient:innen das richtige Antibiotikum bekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass auch die derzeitige Antibiotikaknappheit die Resistenzbildung anfeuern könnte, da diese zum Einsatz anderer, nicht optimal geeigneter Antibiotika führt“, betont Andiel.
Weiters kam noch Dr. Peter Eichler von der UNIQA Insurance Group AG – die nicht nur als Sponsor die Veranstaltung unterstützte, sondern auch das Thema angeregt hatte – zu Wort, der auch aus Sicht der Kostenträger betonte, dass man zur Lösung des Problems beitragen wolle. Er sieht eine geringe Health Literacy mitverantwortlich und fordert daher mehr Aufklärung bezüglich eines verantwortungsvollen Umgangs mit Antibiotika.