Christian Simhandl: Patiententypen lassen sich den einzelnen Wirkstoffklassen nicht so einfach zuordnen, auch wenn das immer wieder versucht wird. Die wichtigsten zwei Grundsymptomatiken, die es zu berücksichtigen gilt, sind die Agitation und die Gehemmtheit. Wenn jemand innerlich unruhig, angespannt und unter Druck ist, verschreibt man besser ein Präparat, das beruhigend wirkt und nicht noch zusätzlich anheizt. Der klassische depressive Patient, der seinen Hausarzt aufsucht, kommt möglicherweise mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sehr gut aus. Wenn jedoch eine Antriebsstörung im Vordergrund steht, ist ein Medikament mit einem dualen Mechanismus eventuell besser, da das noradrenerge System den Antrieb fördert. Die Schlafstörung sollte ebenfalls mitbehandelt werden.
Simhandl: Antidepressiva sind per Definition keine Schlafmittel und wirken bei einigen Patienten besser müdemachend als bei anderen. Bei Mirtazapin, einem noradrenergen und spezifisch serotonergen Antidepressivum zum Beispiel ist Müdigkeit eine Nebenwirkung, die nur bei 30 Prozent auftritt. Trotzdem glauben viele, dass es ein Schlafmittel sei. Ganz ähnlich ist das auch bei Trazodon, einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer mit zusätzlichem Antagonismus gegenüber 5HT2-Rezeptoren und α-Adreno-rezeptoren, der in niedriger Dosierung von 50–100 mg gerne als Schlafmittel eingesetzt wird. Für eine gute antidepressive Wirkung ist dies aber meistens zu wenig. Umgekehrt ist bei Mirtazapin die niedrige Dosierung von 15 mg eher schlaffördernd als eine höhere. Venlafaxin, ein Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI), der gerne verabreicht wird, wirkt zwar grundsätzlich über einen dualen Mechanismus, der noradrenerge antriebsfördernde Effekt tritt allerdings erst bei Dosen ab 225 mg auf. Neben der Auswahl des Präparates ist also auch auf eine adäquate Dosierung zu achten.
Simhandl: Das hängt vor allem davon ab, mit welchem Schweregrad und in welcher Häufigkeit die Depression auftritt, und die Frage ist individuell zu entscheiden. Die WHO empfiehlt, die erste schwere depressive Episode für ein ganzes Jahr zu therapieren. Bei rezidivierenden Episoden sollte man in Richtung Stimmungsstabilisatoren zur Rückfallverhütung überlegen. Noch mehr als bei der akuten Depression kann hierfür auch die Psychotherapie hilfreich sein.
Simhandl: Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Mundtrockenheit et cetera können vorkommen, und es ist keineswegs sinnvoll, Patienten darunter leiden zu lassen. Bessern sich Nebenwirkungen nicht von selbst innerhalb von drei bis vier Tagen, muss die Therapie geändert werden. Unter SSRI zum Beispiel können Magenbeschwerden oder bei längerer Einnahme Libido- oder Orgasmusverlust auftreten. Das alles wirkt sich natürlich negativ auf die Lebensqualität und auf die Adhärenz aus und ist daher zu vermeiden.
Simhandl: Bei beständigen Suizidgedanken oder konkreten Suizidplänen ist es sicher wichtig und richtig, einen Facharzt hinzuzuziehen. Sind die Suizidgedanken drängend, sollte sofort eine Überweisung in ein Krankenhaus mit einer Begleitperson erfolgen. Auch wenn der Patient ein schlechtes Urteilsvermögen entwickelt oder wenn die Depression plötzlich in Manie umschlägt oder psychotische Symptome auftreten, ist eine Weiterverweisung an den Facharzt sinnvoll. Das gilt auch für das Nichtansprechen auf die Therapie: Tritt 10–14 Tage nach Behandlungsbeginn keine Besserung ein, muss ich etwas ändern. Bei den Kombinationen der Antidepressiva sollte man besonders vorsichtig sein. Fast alle Antidepressiva werden über das Cytochrom-System in der Leber abgebaut und können sich gegenseitig und andere Medikamente, wie auch die QTc-Zeit beeinflussen.