Antikoagulation aus Sicht der anderen

Kardiometabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen sind wie viele andere Krankheitsfelder in der modernen Medizin oft geprägt von trockenen Zahlen und Statistiken. Zwischen Labordaten auf der einen und wissenschaftlichen Studien auf der anderen Seite stehen Ärzt:innen, werten diese aus und verschreiben Wirkstoffe von Statinen bis NOAKs. Doch an der Seite der Ärzt:innen bzw. Patient:innen stehen Apotheker:innen, Angehörige und Pfleger:innen, die jeweils ihre eigenen Probleme und Herausforderungen zu bewältigen haben. Was beschäftigt die Menschen in diesem System und wie ist ihre persönliche Sicht auf das Themenfeld der Antikoagulation?

Patient:innen und Angehörige fühlen sich gut betreut

Ulrike W. ist selbst Patientin mit einer künstlichen Herzklappe und nimmt seit fast 20 Jahren den Blutgerinnungshemmer Phenprocoumon ein. Seit ihrer Schulung zur INR-Selbstmessung durch ihren Arzt im Rahmen der postoperativen Reha genießt sie die Freiheit, nur in Ausnahmefällen zu ihrem Arzt zur Beratung zu kommen und nicht für jede Messung. Als Profi des Gerinnungs-Selbstmanagements misst sie ihren INR-Wert einfach selbst und passt die nötige Dosis entsprechend an. Sie kennt ihren Körper ganz genau und hört im wahrsten Sinne des Wortes auf ihr Herz, was ihr guttut und was nicht. „Anfangs hatte ich z. B. etwas Angst beim Autofahren, aber realistischerweise können auch gesunde Menschen tödliche Unfälle haben, deswegen fühle ich mich mittlerweile kaum mehr eingeschränkt. Ich passe die Medikamentendosis an meine Lebensweise an, und nicht umgekehrt.“ Sie weiß, welche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten es zu beachten gilt oder in welchen Situationen sie ihren INR-Wert genauer im Auge behalten und nötigenfalls gegensteuern muss. Damit stellen auch Urlaube oder Feiern mit anderem Ess- und Trinkverhalten keine Herausforderung mehr dar.

Der entspannte Umgang mit ihrer Antikoagulation überträgt sich auch auf ihren Lebensgefährten: „Die einzige Herausforderung ist es sozusagen, sonntags zu fragen, welchen Wert meine Partnerin gemessen hat. Aber dadurch, dass der INR-Wert jetzt seit längerer Zeit immer im Zielbereich liegt, gibt es eigentlich im Alltag keine Probleme mehr.“ Früher schwankte der Wert dagegen noch stärker und erforderte damit mehr Vorsicht. Dabei fiel W. ein interessanter Zusammenhang auf: „Ich glaube, dass der Stressfaktor eine große Rolle spielt. Seit ich in Pension bin und keinen Stress mehr habe, liegt mein INR-Wert zu fast 95 % im therapeutischen Bereich, davor eher zu 55–60 % und sonst darüber oder darunter.“ Verbesserungen bemerkten auch Pflegekräfte in Krankenhäusern, wenn auch aus anderen Gründen. Denn seit NOAKs flächendeckend Einzug in die Antikoagulation gefunden haben, fallen viele frühere Probleme und Fragestellungen des Gerinnungsmanagements weg.

NOAKs als große Erleichterung für Apotheker:innen und Pflegekräfte

Für Markus Hofer, leitender Diplompfleger der Station Kardiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin III für Kardiologie und Angiologie, Medizinische Universität Innsbruck, ist das geringere Blutungsrisiko der NOAKs im täglichen Umgang mit den Patient:innen einer der großen Vorteile. Der noch größere Vorteil, insbesondere an einer Abteilung, in der viele blutungsrelevante Diagnosetechniken wie Herzkathederuntersuchungen durchgeführt werden, ist das mit NOAKs nicht mehr notwendige Bridging. „Früher mussten die Patient:innen ihre Gerinnungshemmer 5–7 Tage vorher absetzen und niedermolekulares Heparin spritzen. Das war für die Patient:innen natürlich nicht sehr angenehm. In der Hinsicht ist die kürzere Halbwertszeit der NOAKs sensationell, und wir bekommen viel Rückmeldung zur heute höheren Patientenzufriedenheit“, sagt Hofer. Nur wenige Patient:innen werden von ihren Hausärzt:innen oder Internist:innen nicht ausreichend aufgeklärt und kommen noch unter Einnahme der Gerinnungshemmer ins Krankenhaus: „Ich erlebe das bei Aufnahmediensten, dass den Patient:innen nicht gesagt wurde, die Medikamente abzusetzen. Dadurch verzögert sich dann unsere Untersuchung. Aber das ist ein geringer Teil, geschätzt 80 % der Patient:innen sind gut aufgeklärt.“

Apothekerin Kornelia Baumgartner teilt diese Einschätzung, dass die meisten Patient:innen von ihren behandelnden Ärzt:innen eine ausreichende Aufklärung zur Antikoagulation erhalten. In ihrer Apotheke in Mariatrost, Graz, beobachtet sie nur in einem Zusammenhang häufig fehlendes Wissen: „Wenn jemand z. B. rezeptfreie NSAR kaufen möchte, fragen wir automatisch, ob Gerinnungshemmer eingenommen werden. Man glaubt es gar nicht, wie viele Leute da überrascht sind, dass diese nicht gemeinsam eingenommen werden sollen.“ Bei Verordnungen für Gerinnungshemmer überprüft sie immer, ob gleichzeitig Antidepressiva oder Kortison verschrieben werden, und auch bei Verschreibungen von verschiedenen Ärzt:innen fragt sie nach, ob diese von der jeweils anderen Medikation wissen, damit keine unerwarteten Wechselwirkungen auftreten. Erstverschreibungen haben ebenfalls einen grundsätzlich höheren Beratungsbedarf, weil viele Menschen zu Beginn einer Gerinnungstherapie skeptisch oder ängstlich sind. Während NOAKs weniger anfällig für Wechselwirkungen sind und damit mittlerweile häufiger in Apotheken verkauft werden, sieht sie teilweise noch eine zu geringe Aufklärung der Patient:innen durch ihre Ärzt:innen zu vermeintlich harmlosen Nahrungsergänzungsmitteln mit Effekten auf die Blutgerinnung. „Ich glaube, dass schon unterschätzt wird, welche Wechselwirkungen es mit Produkten aus der Drogerie oder dem Reformhaus wie Goji-Beeren oder Fischöl-Kapseln geben kann. Hier rate ich den Patient:innen dazu, vorerst nur die wichtigeren Gerinnungshemmer zu nehmen und mit ihren Ärzt:innen zu besprechen, was sie sonst noch dazu nehmen möchten“, sagt Baumgartner.

Resümee

Jede vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung wird zusätzlich ergänzt durch ein Netzwerk aus Angehörigen, Pflegekräften und Apotheker:innen. Wenn sich Patient:innen gut informiert fühlen, überträgt sich diese Sicherheit auf ihre Angehörigen, und auch die meisten Ärzt:innen nehmen für sich wohl eine ausreichende Aufklärung in Anspruch. Nichtärztliche Health Care Professionals springen ein und ergänzen die Beratung bei Detailfragen oder bei oft übersehenen Themen der Antikoagulation.