Antipsychotika: Seltenere Nebenwirkungen nicht übersehen!

Verglichen mit den Problemen der metabolischen Nebenwirkungen der Antipsychotika (AP), wie Übergewicht und Störungen des Zucker- und Lipidstoffwechsels, sind die in der Folge beschriebenen Nebenwirkungen selten oder sehr selten und damit von geringerer Bedeutung. Im Fall des Falles ist es aber gerade für den Allgemeinmediziner wichtig, sie zu kennen, da er wahrscheinlich als Erster damit konfrontiert wird.

QTc-Verlängerung

Generell ist das Risiko für QTc-Verlängerung bei AP gering. Wie bei vielen anderen Psychopharmaka besteht das Risiko vorwiegend, wenn mehrere Medikamente mit gleichsinniger Wirkung kombiniert werden bzw. bei Patienten mit einer vorbestehenden Disposition dafür. Einzig bei Sertindol – welches deswegen auch nur selten verwendet wird – sind wegen des Risikos begleitende EKG-Untersuchungen vorgeschrieben. Unter den verbleibenden AP der zweiten Generation (SGA) hat Ziprasidon den stärksten Effekt auf die QTc-Zeit (es besteht aber keine Verpflichtung für EKG-Kontrollen). Die früher sehr häufige intravenöse Verwendung von Haloperidol zur Akutsedierung wurde wegen der Notwendigkeit eines gleichzeitigen EKG-Monitorings in den meisten psychiatrischen Kliniken aufgegeben.

Prolaktinerhöhung

Produktion und Freisetzung von Prolaktin, produziert vom Hypophysenhinterlappen (HHL), steht unter einer tonischen Hemmung durch Dopamin. Dopaminantagonisten führen daher in der Regel zu einer Erhöhung von Prolaktin. Bei den SGA wird der Dopaminantagonismus durch andere Mechanismen, wie z. B. den Antagonismus am 5-HT2-Rezeptor, abgemildert. Das führt nicht nur zu weniger extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen, sondern auch zu einer geringeren Prolaktinerhöhung. Die SGA unterscheiden sich diesbezüglich stark. Clozapin, Olanzapin und Quetiapin erhöhen Prolaktin nur flüchtig, Risperidon deutlich und Amisulprid sehr stark. Im Gegensatz dazu kann Aripiprazol sogar zu einer Senkung des Prolaktins führen. Bei Amisulprid können die Prolaktinspiegel so hoch ansteigen (> 100 µg/l), dass man an ein Prolaktinom denken könnte. Prolaktinerhöhung kann zu sexuellen Funktionsstörungen führen, bleibt aber oft asymptomatisch und kann dann ohne weitere Maßnahmen toleriert werden.

Obstipation

Vor allem AP mit starker anticholinerger Wirkung, wie Clozapin, können zur Verminderung der Motilität im Bereich des gesamten Magen-Darm-Traktes führen. Die Intensität des Effektes kann bis zur Gastroparese oder zum Ileus reichen. Es mag überraschen, dass bei Clozapin die Mortalität durch Magen-Darm-Komplikationen höher liegt als durch Agranulozytose.

Thrombosen

Antipsychotika erhöhen das Risiko für ein thrombotisches Geschehen um den Faktor 2. Das Risiko steigt mit der Dosis, ist am höchsten in den ersten Monaten der Behandlung und paradoxerweise bei jungen Menschen höher als bei alten. Clozapin hat das höchste Risiko. Der Pathomechanismus ist unklar, möglicherweise handelt es sich um eine Folge von Sedierung.

Pneumonie

Diese Komplikation weist viele Parallelen zu den oben beschriebenen Thrombosen auf: Das Risiko ist um den Faktor 2 erhöht, bei Clozapin und zu Beginn der Therapie am größten und unabhängig vom Alter. Auch hier ist man sich über den Pathomechanismus im Unklaren – Sedierung und Aspiration könnten eine Rolle spielen.

Hyponatriämie

Hyponatriämie kommt bei psychotischen Patienten gar nicht so selten vor und kann zwei verschiedene Ursachen haben. Es kann sich um eine Verhaltensstörung des Patienten handeln – die sogenannte „psychogene Polydipsie“, bei der die Patienten große Mengen Flüssigkeit, meist Wasser, zu sich nehmen. Wenn Menge oder Tempo der Zufuhr die Ausscheidungskapazität der Niere überschreitet, kommt es zur Hyponatriämie. Hyponatriämie kann aber auch durch AP induziert werden als „Syndrom der inadäquaten Ausschüttung von ADH“ (SIADH). Das antidiuretische Hormon (ADH) wird dabei im Übermaß freigesetzt, was eine vermehrte Rückresorption von Wasser und damit Blutverdünnung und Hyponatriämie bewirkt.
Die Behandlung hängt vom Ausmaß der Hyponatriämie, von der Geschwindigkeit des Abfalls und der Ursache ab. Flüssigkeitsrestriktion ist in jedem Fall sinnvoll. Auch größere Abweichungen des Natriumspiegels (< 130 mval/l) können toleriert werden, wenn sie schon längere Zeit bestehen. Das Hauptrisiko des gesenkten Natriumspiegels ist das Hirnödem, das aber nur auftritt, wenn der Abfall schnell und der osmotische Gradient zwischen Blut und Hirn groß ist. Forcierte Normalisierung des Natriumspiegels durch die Gabe hypertoner Kochsalzlösung ist nicht ratsam, da dies zur zentralen pontinen Myelinolyse führen kann. Im Falle eines SIADH, das zwar sehr selten, aber grundsätzlich von jedem AP ausgelöst werden kann, kann die Gabe eines ADH-Antagonisten wie Tolvaptan hilfreich sein. Allerdings sollte man sich ganz sicher sein, dass es sich nicht um eine Polydipsie handelt, weil in diesem Fall der ADH-Antagonist bei Fortbestehen des Trinkverhaltens eine Wasserintoxikation verursachen würde.

Myokarditis und Kardiomyopathie unter Clozapin

Diese Nebenwirkung hat in jüngerer Zeit durch Berichte aus Australien besondere Aufmerksamkeit gefunden, wo sie mit einer Häufigkeit von 3 % gefunden wurde, während im Rest der Welt die Raten wesentlich niedriger (< 1 %) liegen. Die Ursachen für diesen Unterschied sind unklar, möglicherweise liegt es auch an einer zu geringen Aufmerksamkeit dafür. In Australien sind Echokardiografie und Bestimmungen von Troponin und CRP als Begleituntersuchungen üblich.

Störungen der Impulskontrolle bei Dopaminpartialagonisten

Aripiprazol ist zur Zeit der einzige Dopaminpartialagonist, der in Österreich erstattungsfähig ist. Aufgrund seines günstigen Nebenwirkungsprofils wird es häufig verordnet. Wenig bekannt ist, dass Aripiprazol Störungen der Impulskontrolle verursachen kann, wie sie auch bei den in der Parkinson-Therapie verwendeten direkten Dopaminagonisten (z. B. Pramipexol, Ropinirol) vorkommen können. Dies kann sich u. a. in Spielsucht oder Hypersexualität äußern. Den entscheidenden Wirkmechanismus dürfte dabei der intrinsische agonistische Effekt des Medikamentes auf den Dopaminrezeptor darstellen.

Eine derart geballte Aufzählung von Nebenwirkungen – ohne Darstellung der positiven Effekte – erweckt möglicherweise den falschen Eindruck, AP seien gefährliche Medikamente. Doch das Risiko des Patienten liegt vielmehr in der Krankheit als in der Behandlung. Am besten illustriert das der Fall von Clozapin: Wegen der Gefahr der Agranulozytose gilt es als Medikament der zweiten Wahl. Seine gute Wirksamkeit führt aber dennoch zu sehr häufiger Verwendung. Obwohl es unter den AP das breiteste Spektrum an Nebenwirkungen hat, ist die Mortalität der mit Clozapin behandelten Patienten am niedrigsten.

Wissenswertes für die Praxis
  • Metabolische und extrapyramidalmotorische Störungen sind die wichtigsten Nebenwirkungen von Antipsychotika.
  • Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere bekannte (z. B. QTc-Verlängerung, Prolaktinerhöhung) und weniger bekannte (z. B. Pneumonie, Thrombose, Myokarditis) Nebenwirkungen, bei denen der Zusammenhang mit der Medikation übersehen werden könnte.
  • Bei der Diskussion über Nebenwirkungen von Antipsychotika darf nicht vergessen werden, dass die Mortalität behandelter Patienten deutlich geringer ist als die der unbehandelten.