Die Abklärung und Therapie der Multiorganerkrankung erfordert häufig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, wenngleich anfänglich neurologische und kardiologische Symptome meist im Vordergrund stehen.
Die hATTR wird durch heterozygote Mutationen im Transthyretin-(TTR-)Gen verursacht. Diese führen zur Formation von Amyloidfibrillen, die durch toxische Wirkung zu Störungen der Organfunktionen führen.
Aufgrund der autosomal dominanten Vererbung sind Frauen und Männer gleich häufig betroffen; Penetranz, Krankheitsbeginn und -verlauf können aber innerhalb einer Familie erheblich variieren. Je nach zugrunde liegender TTR-Mutation steht initial meist ein neurologischer oder kardiologischer Phänotyp im Vordergrund. Nach meist längerem Krankheitsverlauf folgen zusätzliche Probleme durch Beteiligung anderer Organe. Unbehandelt führt die hATTR meist innerhalb von ca. 7–11 Jahren zum Tod.
Erste neurologische und/oder kardiologische Symptome treten meist zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr auf, jedoch ist auch ein früherer oder späterer Krankheitsbeginn möglich.
Charakteristisch sind initiale Parästhesien und schmerzhafte Dysästhesien sowie Schmerz- und Temperaturempfindungsstörungen in den distalen Extremitätenabschnitten, denen bald eine Muskelschwäche und -atrophie folgen. Das Gangbild verändert sich, es wird unsicher und breitbeinig, durch die Fußheberschwäche entwickelt sich ein Steppergang. In den Händen entwickeln sich zunehmend feinmotorische Probleme. Verglichen mit anderen Polyneuropathien (PNP) ist der Verlauf meist rasch progredient über wenige Monate bis Jahre. Bei vielen Patient:innen erfolgte meist schon Jahre zuvor eine Karpaltunnelsyndrom-Operation.
Abklärung. Eine komplette neurologische Untersuchung ist obligatorisch. Bereits bei der Erstuntersuchung sollten die distale Muskelkraft (Großzehen- und Zehenheber, Fußheber, Plantarflexion, kleine Handmuskeln, Extension der Finger- und Handgelenke etc.) sowie die Muskeleigenreflexe genau dokumentiert werden, um im weiteren Verlauf die Krankheitsprogression beurteilen zu können. Es finden sich auch propriozeptive Ausfälle, eine Areflexie und distale trophische Störungen mit Wundheilungsproblemen. Neurologische Verlaufskontrollen werden im Abstand von drei Monaten empfohlen. Elektrophysiologisch lässt sich eine PNP oft erst Monate nach Symptombeginn bestätigen. Elektrophysiologische Kontrollen sollten zumindest einmal pro Jahr durchgeführt werden.
Durch Amyloidablagerung entwickelt sich eine Kardiomyopathie mit folgender Herzinsuffizienz. Patient:innen klagen über eine verstärkte Tagesmüdigkeit, belastungsabhängige Dyspnoe, Kurzatmigkeit, Probleme beim Treppensteigen und Beinödeme. Es folgen Hepatomegalie, Aszites und ein erhöhter Jugularvenendruck. Amyloidablagerungen in den Koronargefäßen können eine Angina Pectoris und im Reizleitungssystem lebensbedrohliche Rhythmusstörungen auslösen.
Abklärung. Bei Verdacht auf eine hATTR-assoziierte Kardiomyopathie ist eine Zuweisung zur (bildgebenden) kardiologischen Abklärung unbedingt erforderlich. Laboruntersuchungen grenzen andere Amyloidosen durch Nachweis von Paraprotein im Serum oder Harn ab. Deutlich erhöhte (NT-pro-)BNP- sowie Troponin-Werte stellen wiederum Hinweise auf eine kardiale Beteiligung im Rahmen einer Amyloidose dar.
Häufig sind im Krankheitsverlauf gastrointestinale Manifestationen, die sich als rezidivierende Durchfälle, aber auch Obstipation sowie Gewichtsabnahme äußern. Auch eine Nieren- und Augenbeteiligung, orthopädische Komplikationen (z. B. Karpaltunnelsyndrom, schnellender Finger, spontane Ruptur der distalen Bizepssehne, Erkrankungen der Rotatorenmanschette, lumbale Spinalkanalstenose) sowie Manifestationen im zentralen Nervensystem (leptomeningeale Amyloidose) kommen vor, weshalb eine umfassende interdisziplinäre Abklärung unabdingbar ist.
Für eine frühzeitige Diagnosestellung ist zunächst eine umfassende Anamnese entscheidend. So wird bei jeder unklaren PNP bzw. bei Verdacht auf eine Amyloidose empfohlen, gezielt nach dem Krankheitsbeginn und -verlauf sowie den entsprechenden Symptomen zu fragen, um die sogenannten richtungsweisenden „Red Flags“ zu erfassen. Hier kann die Anwendung einer Checkliste hilfreich sein (Tab.).
Eine Gewebsbiopsie ist nur noch in Einzelfällen bei einer TTR-Mutation unklarer Signifikanz oder zum Ausschluss anderer Erkrankungen angezeigt.
Zum Ausschluss bzw. zur Bestätigung der Diagnose ist eine Blutabnahme für eine Sequenzierung des TTR-Gens erforderlich. Die genetische Beratung kann durch die/den jeweilige:n Fachärzt:in erfolgen, eine schriftliche Einverständniserklärung der Patient:innen ist erforderlich. Bei „At risk“-Familienmitgliedern, die noch keine Symptome aufweisen, jedoch eine präsymptomatische Testung ausdrücklich wünschen, muss in der Beratung in Hinblick auf die Tragweite und die möglichen Konsequenzen eines positiven Gentests eingegangen werden. Follow-up-Untersuchungen sind mit den Patient:innen bzw. auch mit asymptomatischen Mutationsträger:innen zu besprechen bzw. zu planen.
Neben der symptomatischen Therapie stehen heute auch kausale Therapieoptionen zur Verfügung. Das Therapieziel besteht im Stopp oder zumindest in der Verzögerung der Krankheitsprogression. Der Therapieerfolg ist umso besser, je früher die Therapie beginnt. Für asymptomatische Anlagenträger:innen ist noch keine Therapie zugelassen, dies auch, da im Einzelfall nicht bekannt ist, ob bzw. wann ein:e Betroffene:r symptomatisch wird. Die Wirkstoffe Patisiran, Vutrisiran und Inotersen sind für die Behandlung der PNP bei genetisch bestätigter hATTR zugelassen und wirken auf dem Prinzip der RNA-Interferenz bzw. der Antisense-Technologie. Durch die sequenzspezifische Degradierung von Messenger-RNA kann die Translation des Zielproteins verhindert werden (Stilllegung von Genen, „gene silencing“). Unabhängig von der zugrunde liegenden Mutation kann mit Hilfe dieses Mechanismus die Transthyretin-Synthese in der Leber gehemmt werden.
Der Wirkstoff Tafamidis bewirkt die Stabilisierung der tetrameren Form des Transthyretins, wodurch auch die Amyloidbildung und -ablagerung in den Geweben vermindert wird. Bei Anwendung von Tafamidis konnte auch für den kardiologischen Typ eine gute Wirksamkeit nachgewiesen werden.