COVID-19 kann nicht nur die Lunge, sondern auch Herz und Kreislauf auf unterschiedliche Art und Weise schädigen. SARS-CoV-2 benötigt das membrangebundene Angiotensin-Converting Enzyme 2 (ACE-2) als funktionellen Rezeptor, um an die Wirtszelle anzudocken und diese zu infizieren. Dieses findet sich in hoher Konzentration nicht nur an den Epithelzellen der Atemwege, sondern auch im Herzen und an den Gefäßwänden, wie Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek, Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, erläutert.
Letztlich bedingt eine Schädigung des Gefäßendothels eine Aktivierung der Blutgerinnung, wodurch es vermehrt zur Gerinnselbildung kommen kann. COVID-19 ist daher mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse – wie Myokardinfarkt, KHK, tiefe Beinvenenthrombosen und Pulmonalembolien, aber auch Schlaganfall – assoziiert. Die Komplikationen sind insbesondere bei schweren COVID-19-Verläufen zu beobachten – und das in einem Ausmaß, wie man sie beispielsweise bei Influenza nicht sieht. Siostrzonek verweist auf eine rezente niederländische Studie, die bei etwa 30 % der intensivpflichtigen COVID-19-Patienten eine Lungenembolie zeigt. In einer vor kurzem publizierten österreichischen klinisch-pathologischen Studie, in der 11 an COVID-Verstorbene obduziert worden waren, konnten ebenfalls pulmonal arterielle Thrombosen und eine systemische Organbeteiligung gezeigt werden.
Das erhöhte hyperkoagulative Risiko betrifft sowohl das venöse als auch das arterielle Stromgebiet, wie Siostrzonek betont: „Auch jüngere Patienten können betroffen sein, etwa durch Schlaganfälle.“ In diesem Zusammenhang verweist Siostrzonek auf Schweizer Kardiologen, die Lungenembolien auch als möglichen Grund für plötzliche Todesfälle bei zu Hause behandelten COVID-Patienten sehen.
Empfehlungen zum Gerinnungsmanagement bei COVID-19-Patienten wurden unter anderem von der GTH (Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung) sowie von der ÖGARI (Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin) publiziert. Wie Siostrzonek erläutert, sollten Patienten mit klinisch manifester COVID-Erkrankung – egal ob hospitalisiert oder nicht – eine medikamentöse Thromboseprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen (NMH) erhalten. „Wichtig ist auch, dass Patienten unter bestehender NOAK-Therapie diese im Falle einer COVID-Erkrankung fortsetzen.“
Bei Intensivpatienten mit niedrigem Blutungsrisiko und fehlenden Kontraindikationen für NMH kann eine höhere Dosierung, eine sogenannte „halbtherapeutische“ Antikoagulation, erwogen werden. Im Falle eines gesicherten thromboembolischen Ereignisses muss natürlich in entsprechend therapeutischer Dosierung antikoaguliert werden. Derzeit wird eine generelle Antikoagulation in therapeutischer Dosierung bei allen schwerkranken Patienten zwar noch nicht empfohlen. „Es gibt aber Überlegungen, auch bei diesen Patienten eine volle therapeutische Antikoagulation einzuleiten, da diese bei Verbrauchskoagulopathien mit Thrombosen durchaus indiziert ist“, so Siostrzonek. Er verweist auf eine New Yorker Untersuchung, bei der die Auswirkungen einer bestehenden therapeutischen Antikoagulation (NOAK oder Marcoumar) bei an COVID-19 erkrankten Patienten untersucht worden war. Die Daten lassen den Schluss zu, dass die therapeutische Antikoagulation nicht mit einer Erhöhung des Blutungsrisikos einherging und sogar mit einem besseren Überleben assoziiert war.
Infolge einer COVID-19-Infektion kann es zu direkten Schäden am Herzmuskel, aber auch zu unspezifischen proinflammatorischen Prozessen wie einem Zytokinsturm kommen, der sich letztlich in Form einer akuten septischen Kardiomyopathie manifestieren kann. Darüber hinaus kann auch die Rechtsherzbelastung mit pulmonaler Drucksteigerung zu einem Troponin-Anstieg führen, so Siostrzonek. In wenigen Fällen wurde auch eine Myokarditis durch direkten Virusbefall beobachtet. All diese Faktoren erhöhen das Risiko für Infarkt und Herzinsuffizienz und können Arrhythmien auslösen. So konnte in einer Reihe von Untersuchungen ein vermehrtes Auftreten von Kammerflimmern während der Pandemie beobachtet werden, was zur hohen Mortalität der Erkrankung beiträgt.
„Troponin ist bei schwerer COVID-19-Erkrankung häufig erhöht, oft erst im Verlauf: Eine wiederholte Testung der kardialen Marker wird daher empfohlen. Erhöhte Werte von D-Dimer, Troponin oder IL-6 sind dann eindeutig mit einer schlechteren Prognose assoziiert.“
Zur Frage der Therapie mit ACE-Hemmern und Sartanen (Angiotensin-Rezeptor-Blockern) sind bereits zu Beginn der Corona-Pandemie von der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft in Übereinstimmung mit der European Society of Cardiology Empfehlungen publiziert worden, eine bestehende Medikation beizubehalten. Explizit wurde darauf hingewiesen, dass ein Absetzen der Medikamente nicht indiziert sei und wegen des erhöhten Risikos eines akuten Herzinfarktes, Schlaganfalles oder einer akuten Verschlechterung einer Herzinsuffizienz unbedingt vermieden werden sollte. Mittlerweile ist eine Reihe weiterer, auch systematischer Arbeiten erschienen, die diese Empfehlungen unterstützen. „Diese Daten konnten keinen Zusammenhang für einen Schaden durch ACE-Hemmer- oder Sartan-Therapie zeigen; im Gegenteil gibt es Hinweise, dass eine entsprechende Therapie den Verlauf einer COVID-Infektion sogar günstig beeinflussen könnte“, so Siostrzonek. „Die Therapie, auf die der Patient eingestellt ist, sollte auch im Falle einer Erkrankung weiter fortgeführt werden.“
Ist in der Primärversorgung etwas besonders zu beachten? Hier verweist Siostrzonek auf die möglichen, längere Zeit feststellbaren Einschränkungen der Lungenfunktion nach durchgemachter COVID-Erkrankung. In kardiologischer Hinsicht ist ihm das Nachholen möglicherweise aufgeschobener Kontrollen besonders wichtig und auch der Aspekt, alle Patienten mit kardialen Erkrankungen ebenfalls auf die Notwendigkeit der Influenza und Pneumokokken-Impfung hinzuweisen.