Die diesjährige Linzer Reisemedizinische Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Reise- und Touristikmedizin (ASTTM) mit dem Thema „Gratwanderung – Fragestellungen zwischen Hysterie und Ignoranz“ war ein voller Erfolg, denn bereits zwei Wochen davor war sie komplett ausgebucht. Das erlesene Potpourri der Vortragsinhalte interessierte mehr als 240 Ärzte und auch Apotheker. Beide Gesundheitsberufe sehen sich einer wachsenden Zahl an Menschen gegenüber, die in ferne Länder und entlegene Gebiete mit oft weit verbreiteten Infektionskrankheiten reisen. Gleichzeitig nimmt auch die Zahl der älteren Urlauber mit chronischen Grunderkrankungen, die einer besonderen Beratung und Betreuung bedürfen, zu. „Das Spektrum der Grunderkrankungen reicht von Patienten mit Diabetes oder Hypertonie bis hin zu organtransplantierten Reisenden bzw. Urlaubern mit Tumorerkrankungen, die hochdosierte Opiate benötigen, welche in manche Länder nicht eingeführt werden dürfen. Meine Empfehlung: Personen mit instabiler Grunderkrankung sind außerhalb der bei uns üblichen Qualität des Gesundheitssystems nicht reisetauglich. Reisen innerhalb von Europa sind meist ohne großen Aufwand möglich, erfordern jedoch eine Stabilisierung des Patienten durch den Hausarzt. Bei Reisen in die USA ist eine deutliche Aufstockung der Reiseversicherung anzuraten“, empfiehlt Tagungsleiter Univ.-Prof. DDr. Martin Haditsch, Facharzt für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin und Ärztlicher Leiter des TravelMedCenter Leonding sowie der Labor Hannover MVZ GmbH, im Interview mit der Ärzte Krone.
Bei der Zusammenstellung der Reiseapotheke ist insbesondere darauf zu achten, dass die Medikamente für die jeweilige Reise bzw. Destination geeignet sind, Stichwort Hitze- bzw. Kältestabilität. „Wird beispielsweise Insulin statt im Handgepäck in einem im Frachtraum befindlichen Koffer transportiert, ist das Medikament kaputt“, veranschaulicht Haditsch. Je nach Reisestil und -dauer sollte das Doppelte bis Dreifache dessen, was man auf Reisen braucht, im Idealfall verteilt auf unterschiedliche Gepäckstücke, mitgenommen werden. Ein Teil der Medikamente gehöre immer ins Handgepäck sowie in die Brusttasche – also direkt an den Körper – da das Handgepäck in seltenen Fällen nicht direkt über dem eigenen Sitzplatz verwahrt wird und so in einem Akutfall evtl. nicht schnell genug zur Verfügung steht, so Haditsch. In einer reisemedizinischen Beratung müssen viele weitere Themen besprochen werden, wie Medikamenteneinnahme und Zeitverschiebung; wo ist im Bedarfsfall das Medikament im Ausland erhältlich, gibt es Äquivalenzpräparate, und sind diese auf Grund einer sensibel eingestellten Grunderkrankung überhaupt zu empfehlen!
Der Internist Univ.-Prof. Dr. Thomas Weinke aus Potsdam hob in seinem Vortrag die Ignoranz der Bevölkerung gegenüber dem Sonnenbrand hervor, dessen Folgen nicht immer banal sind. Insbesondere Patienten, die zu Photodermatosen neigen, sollen auf die Reflexion des Sonnenlichtes über Wasser und Schnee aufgeklärt werden. Auch ein bedeckter Himmel bietet keinen ausreichenden UV-Schutz, deshalb besteht die Notwendigkeit, bestimmte Körperbereiche wie Dekolleté oder Nacken konsequent zu schützen. Zu empfehlen sind eine bedeckende Bekleidung und Sonnenschutzprodukte mit hohem Lichtschutzfaktor (idealerweise SPF 50+). „Zusätzlich muss bedacht werden, dass bestimmte Medikamente – bspw. Doxycyclin zur Malariaprophylaxe – die Lichtempfindlichkeit erhöhen können“, macht Haditsch aufmerksam. Hinsichtlich der Insektenstichreaktionen ging Weinkeauf Bisse der Sandmücke und Moskitos ein, die aufgrund des oft heftigen Juckreizes und des folglich schlechten Schlafes eine enorme Minderung des Erholungswertes des Urlaubs zur Folge haben. Zwar verschaffen lokale topische Präparate und systemische Antihistaminika Linderung, gleichzeitig machen einige der Wirkstoffe aber müde, und betroffene Urlauber müssen auf den Konsum alkoholischer Getränke verzichten.
Problematisch sind insbesondere Infektionskrankheiten, vor denen man sich nur durch persönliche Maßnahmen schützen kann. Im Jahr 2003 wurden etwa 8.000 Menschen mit SARS infiziert, wobei rund ein Zehntel daran verstarb. Aktuell sorgt das H7N9-Virus in China für Besorgnis. Mittlerweile wurde bei 45 Patienten das „Vogelgrippe“-Virus diagnostiziert, elf davon sind verstorben. „Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Infizierten weiter steigen wird. Derzeit handelt es sich aber um ein nicht um ein aerogen sondern durch Schmierinfektion übertragbares Virus“, so Haditsch. Präventiv sollen Kontaktvermeidung mit kranken Menschen, Händewaschen bzw. im Anlassfall auch eine Händedesinfektion empfohlen werden.
„Durch medikamentöse Chemoprophylaxe kann neben der Malaria auch Infektionen mit HI-Viren und prinzipiell (sehr) seltenen bakteriellen Infektionen (wie Meningokokken, Milzbrand, Leptospirose, Tularämie etc.) vorgebeugt werden. Bakterielle Erreger können auch über Wege übertragen werden, die nicht vordergründig erscheinen, bspw. Hautmilzbrand bei Trommelkursteilnehmern in Westafrika oder durch aus Ziegenleder gefertigte Armbänder“, schildert Haditsch.
„Reisemedizinisch wissen wir, dass Todesfälle durch Unfälle häufiger sind als durch alle Infektionskrankheiten zusammen – dieser Umstand wird heute nach wie vor vernachlässigt“, schildert Haditsch. Dazu erklärte der Epidemiologe em. Univ.-Prof. Dr. Robert Steffen aus Zürich in seinem Vortrag „Risikoabschätzung in der Reisemedizin“: Wenn man den Todesfällen auf Grund von Unfällen und Malaria den zeitlichen Beratungsaufwand zur Prävention derartiger Ereignisse gegenüberstellt, bestehe eine erhebliche Diskrepanz. Unfälle werden in Beratungsgesprächen – wenn überhaupt – nur in einem Nebensatz erwähnt, während die Malariaprophylaxe meist ausführlich besprochen wird. „Die Unfallaufklärung ist in der Praxis immer noch nicht angekommen“, ergänzt Haditsch. Das habe aber auch mit der Erwartungshaltung der Reisenden zu tun, da einerseits nicht berücksichtigt werde, dass Beratungsaufwand im medizinischen Bereich kostenpflichtig sein kann, andererseits fordern die Urlauber vermehrt über die klassischen Themen wie Malariaprophylaxe aufgeklärt zu werden, schilderte Univ.-Doz. Dr. Ursula Hollenstein, Abteilung für Infektiologie am AKH Wien, in ihrem Vortrag „Reisemedizin in der Praxis“.
Einer besonders hohen Gefahr setzen sich Teilnehmer von Massenveranstaltungen im Rahmen des Eventtourismus aus. „So fand vor kurzem in Indien die Kumbh Mela statt, das größte religiöse Fest der Welt mit über 100 Millionen Teilnehmern. Derartige Zusammenkünfte sind zwar selten, das Risiko für eine Stampede mit vielen Verletzten und Toten ist aber sehr groß. Etwa kam es vor einigen Jahren im Rahmen der Hadj zu 2.000 Todesfällen. Auch kleinere Veranstaltungen, bspw. möchte ich an das ‚Air & Style’ in Innsbruck im Jahr 2003 erinnern, sind nicht vor einer Stampede gefeit“, erklärt Haditsch und vermisst die Awareness der Reisenden, sich vor dem Event reisemedizinische Tipps zu holen.
Urlauber sind oft der Meinung, überall eine medizinische Versorgung zu erhalten. Dass dem nicht so ist, erklärte Univ.-Prof. Dr. Nebojša Nikolić von der Fakultät für Maritime Studien der Universität Rijeka. Viele, auch große Schiffe wie etwa Fähren haben keinen Arzt an Bord. Dort kommt dem Ersten Offizier die Funktion eines Arztes – per offiziellem Dekret – zu. „Um auch auf längeren Schiffsreisen eine optimalere Versorgung zu gewährleisten, gibt es mittlerweile ausgeklügelte Telemedizin-Systeme, die über Anleitung eines Arzt am Festland eine Reihe von Behandlungsoptionen ermöglichen“, so Haditsch.
Auf Kreuzfahrtschiffen sind meist Ärzte an Bord, die sich mit einem, immer älteren Klientel und damit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit derselben auseinandersetzen müssen. „Es ist nicht davon auszugehen, dass diese immer Experten in Notfallmedizin sind und es eine Landemöglichkeit für Hubschrauber gibt. Daher ist auch für Schiffsreisende eine gewisse Fitness und Stabilität der Grunderkrankung Voraussetzung“, hob Haditsch hervor. Abgesehen von den Klassikern wie Diarrhö und Entgleisungen bei Diabetes, sind Noro- und Influenzaviren besonders problematisch. Eine Influenzaimpfung sollte daher vor Schiffsreisen Standard sein – und zwar saisonunabhängig.
„Das Basisprogramm der reisemedizinischen Beratung und Versorgung kann sowohl vom Hausarzt als auch von Apothekern optimal abgedeckt werden, denn beide Berufsgruppen kennen ihre Patienten und deren Medikationen“, so Haditsch. „Eine Problematik, die in Österreich jedoch besteht, ist dass es derzeit noch keine zertifizierte Reisemedizinausbildung für Ärzte und Apotheker gibt, mit zwei Nachteilen: Erstens, es gibt keine Qualitätssicherung – jeder kann sich dazu berufen fühlen. Zweitens können jene, die bspw. in Deutschland teure und zeitintensive Zusatzausbildungen gemacht haben, nicht mit ihrer Qualifikation werben.“ Diesbezüglich stellte Dr. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer OÖ, eine entsprechende Zertifizierung innerhalb eines Jahres in Aussicht.
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