Das Fibromyalgiesyndrom (FMS;Synonyma: generalisierte Tendomyopathie, muskulofasziales Syndrom u.a.) stellt sich als komplexes Krankheitsbild dar, das durch hohe individuelle Krankheitslast und daraus resultierende sozioökonomische Konsequenzen gekennzeichnet ist. Seit 1990 ist die Fibromyalgie als Krankheit anerkannt.
Die Häufigkeit der Erkrankung wird oft unterschätzt. Es besteht eine Prävalenz bei Frauen von 3,5% und bei Männern von 0,5%. Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, es können aber auch Kinder und Ältere betroffen sein.
Die sozioökonomischen Folgen der Erkrankung sind beachtlich. Nicht zuletzt deshalb steigt in den letzten Jahren das wissenschaftliche Interesse für das FMS. FMS-Patienten sind in ihrer Lebensführung deutlich eingeschränkt. Häufige Krankenstände bis hin zur Frühpensionierung mit den daraus resultierenden Kosten sowie die soziale Isolation im privaten Bereich sprechen für sich.
Man unterscheidet eine primäre von einer sekundären Form. Bei der sekundären ist der Symptomenkomplex als Folge einer anderen Grunderkrankung zu sehen (paraneoplastisch, posttraumatisch, postinfektiös, i.R. von entzündlichen rheumatischen Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes …). Durch die Behandlung der Grundkrankheit wird möglicherweise auch eine positive Beeinflussung des FMS erfolgen.
Bei der primären Form geht man von einer Störung der Schmerzverarbeitung im ZNS (Gehirn und Rückenmark) aus. Unterschiedliche Konzentrationen von Botenstoffen wie Serotonin und Substanz P dürften für eine erhöhte Schmerzempfindung verantwortlich sein. Dazwischen gibt es Mischformen, Überlappungsformen und Subtypen, wie z.B. das „chronic fatigue syndrome“, die derzeit jedoch noch nicht standardisiert sind.
Weiters wird eine familiäre Häufung der Fibromyalgie in Untersuchungen bestätigt, wonach bei Verwandten 1. Grades von FMS-Patienten das Risiko, an FMS zu erkranken, verachtfacht ist.
Trotz dieser „organischen“, d.h. körperlichen Veränderungen des Gehirns, ist aber immer noch nicht klar, ob die Fibromyalgie letztendlich eine psychosomatische Erkrankung ist, bei der die Veränderungen der Botenstoffe des Gehirns erst sekundär entstehen, oder ob es sich gewissermaßen um eine Stoffwechselerkrankung des Gehirns mit der Folge von Schmerzen und psychosomatischen Störungen handelt. Sicher ist aber, dass die schmerzhaften Stellen des Bewegungssystems selber nicht verändert oder gar entzündet sind, sondern erst die veränderte Schmerzempfindung im Gehirn dazu führt, dass der Schmerz im Bewegungssystem empfunden wird. Trotzdem handelt es sich aber um echte und nicht etwa um eingebildete Schmerzen!
Das klinische Bild ist von sehr uncharakteristischen und bei sehr vielen Krankheitsentitäten vorkommenden Beschwerden geprägt. Neben flächenhaften Weichteil- und Muskelschmerzen kommen auch Gelenkschmerzen unterschiedlichster Ausprägung, Druckempfindlichkeiten sowie typisch geschilderte vegetative Symptome wie Subdepressivität, Schlaflosigkeit, Kälteempfindlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten etc. hinzu.
Die Patienten haben oft das Gefühl, die schmerzhaften Weichteile seien diffus geschwollen und kleine Verdichtungen des Unterhautfettgewebes werden als schmerzhafte Knötchen empfunden. Die Schmerzen halten über lange Zeit, meist über Jahre an und können bei manchen Patienten durch körperliche Aktivitäten oder auch Krankengymnastik bzw. Massage sogar verstärkt werden. Weiters ist das Krankheitsbild durch Schlafstörungen, gefolgt von störender Tagesmüdigkeit geprägt (Tab. 1). Die Beschwerden können durch Faktoren wie Stresssituationen (psychisch wie physisch), Angstzustände, körperliche Belastungen, Kälte, feuchtes Wetter oder Wetterwechsel verstärkt werden.
Die Diagnosestellung ist, wie auch aus der oben angeführten Symptomatologie ersichtlich, äußerst schwierig und auch kontrovers diskutiert.
Labor oder apparativ-diagnostische Untersuchungen können nur zum Ausschluss sekundärer Ursachen herangezogen werden, da bei dem zu den weichteilrheumatischen Erkrankungen zählenden FMS kein erhöhtes Entzündungslabor oder spezifische Antikörper nachweisbar sind und kein Röntgen, CT oder MRI zur Diagnosestellung beitragen kann – mit Ausnahme von Negativbefunden im Sinne einer Ausschlussdiagnose.
Die 1990 erstellten Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) stellten in Ermangelung besserer Kriterien bis vor Kurzem die einzige Grundlage dafür dar.
Diese Diagnosekriterien wurden in den Folgejahren vielfach übernommen, es zeigte sich jedoch die Problematik, dass z.B. das Ergebnis der Untersuchung der „tender points“ sehr von den Erfahrungen des Untersuchers abhängig ist. In einer Studie fand man heraus, dass ca. 25% der Patienten, bei denen nach dem klinischen Eindruck eine Fibromyalgie besteht, nicht die ACR-Kriterien von 1990 erfüllen.
ACR-Kriterien der Fibromyalgie von 2010: Das American College of Rheumatology empfiehlt daher in seinen aktuellen diagnostischen Kriterien der Fibromyalgie einen anderen Ansatz. Die Untersuchung der „tender points“ wird nicht mehr empfohlen, stattdessen stützt sich die Diagnosestellung ausschließlich auf die anamnestischen Angaben des Patienten (Tab. 2).
Wie die Diagnose ist auch die Therapie interdisziplinär (Neurologe, Physikalische Medizin, Internist, Rheumatologe). Neben der Schulung der Patienten in Selbsthilfe- oder Therapiegruppen umfasst sie Bewegungstherapie im Sinne von aerobem Ausdauertraining, Entspannungsübungen, kognitive Verhaltenstherapie sowie Pharmakotherapie. In unserem Zentrum wird auch eine Hyperthermie (Fiebertherapie) mit – wie international auch berichtet – einem Erfolg von ca. 30% angeboten und durchgeführt. Daneben kommen auch – mit mehr oder weniger gutem Ansprechen – Therapieansätze mit Akupunktur, Laser-Schmerztherapie, Kältetherapie bei minus 110 Grad Celsius sowie Therapieeinfahrten in den Gasteiner Heilstollen im Sinne von kombinierter Überwärmungs- und Radonbehandlung etc. zum Tragen.
Die medikamentöse Therapie konzentriert sich bei fehlender Wirkung von Analgetika und NSAR im konventionellen Sinn auf schmerzdistanzierende Substanzen wie Antidepressiva (Amitriptylin), selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI; Citalopram), Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Hemmer (SNRI; Duloxetin), 5-HT3-Antagonisten (Tropisetron) sowie Antikonvulsiva (Gabapentin, Pregabalin), die bei chronischen Schmerzen wie postherpetischer Neuralgie und diabetischer Polyneuropathie zum Einsatz kommen und auch bei der Fibromyalgie wirken.
Insgesamt muss, wie auch bereits erwähnt, die Therapie ebenso wie die Diagnostik im Rahmen einer interdisziplinären Betreuung zu suchen sein, wobei meiner persönlichen Einschätzung und Erfahrung nach die medizinische Führung in den Händen des Rheumatologen bzw. des rheumatologisch tätigen Internisten liegen sollte. Die große Chance für Fibromyalgiepatienten besteht aus meiner Sicht darin, dass die Erkrankung immer häufiger auch in medizinischen Kreisen diskutiert wird, wodurch sich auch die Expertenzahl vermehrt. Durch eine forcierte Beforschung der Erkrankung werden sich auch die medizinischen Expertisen ausweiten. Nicht zuletzt sollten dadurch auch effizientere Therapieformen gefunden werden. Bis dahin muss man allerdings so gut es geht die – wenn auch teils noch sehr bescheidenen – Therapieoptionen, sowohl was die Verfügbarkeit als auch die Wirksamkeit betrifft, nutzen.
Referenzen:
• Akritidou I, Köllner V, Häuser W, Fibromyalgie – eine Somatisierungsstörung? Ergebnisse der Umfrage der Deutschen Fibromyalgievereinigung zu Begleitsymptomen der Fibromyalgie. Psychother Psychosom Med Psychol 2008; 19:113
• Branco JC, State-of-the-art on fibromyalgia mechanism. Acta Reumatol Port 2010; 35(1):10–5
• Alentorn-Geli E et al., Six weeks of whole-body vibration exercise improves pain and fatigue in women with fibromyalgia. J Altern Complement Med 2008; 14(8):975–81
• Cedraschi C et al., Fibromyalgia: a randomised, controlled trial of a treatment programme based on self management. Ann Rheum Dis 2004; 63(3):290–6
• Arnold B et al., Systematische Übersichr, Metaanalyse und Leitlinie: Multimodale Therapie des Fibromyalgiesyndrom 2012
• Arnold LM et al., A double-blind, multicenter trial comparing duloxetine with placebo in the treatment of fibromyalgia patients with or without major depressive disorder. Arthritis Rheum 2004; 50(9):2974–84