Biomarker als Schlüssel

Die Implementierung des Lungenkrebs-Screenings in Österreich steht schon länger zur Diskussion. Wie ist hier der aktuelle Stand?
OA Dr. Maximilian Hochmair: Die 2023 gegründete Taskforce arbeitet sehr fleißig, und wir versuchen das umzusetzen, es sind jedoch noch gewisse logistische Dinge zu beachten. Wenn wir jetzt das Lungenkrebs-Screening bei der entsprechenden Risikogruppe (Patient:innen ab 50 Jahren, die geraucht haben oder vor kurzem aufgehört haben bzw. immer noch rauchen) einsetzen, betrifft das rund 80.000 Menschen in Wien und um die 350.000 Personen in ganz Österreich. Das ist eine Logistik, die einerseits von der CT-Verfügbarkeit her gestemmt werden muss, andererseits müssen die CTs auch noch befundet und die Patient:innen entsprechend weitergeleitet werden. Das heißt, die Befundung muss wie beim Mammakarzinom gewährleistet sein, sodass richtig befundet wird und auch eine genaue Beschreibung dieser Rundherde erfolgt, weil wir wissen, dass viele dieser Rundherde gutartig sind. Das ist ganz wichtig, dass das geordnet abläuft; am Ablauf wird noch gearbeitet. Wann genau es kommen wird, kann man momentan noch nicht abschätzen.

Wie sind Überdiagnosen in diesem Zusammenhang zu bewerten?
Überdiagnosen bedeuten eine enorme psychische Belastung für die Patient:innen. Wenn jemand Raucher:in ist, ein CT-Screening macht und dann einen kleinen Rundherd hat, der wenige Millimeter groß ist, und dann die Sorge hat, dass das ein Lungenkrebs ist, ist es natürlich psychisch eine enorme Belastung. Das heißt, die Befundung, dass man hineinschreibt, wie wahrscheinlich der Tumor bösartig ist und wann die nächste Kontrolle stattfinden soll, ist in dieser Situation besonders wichtig. Wir können es natürlich nicht zu 100 % sagen, aber anhand der Größe, des Wachstums, der Tendenz, des familiären Risikos und des Raucherstatus ist bereits eine gewisse Risikostratifizierung möglich.

Dass Rauchen schädlich ist, ist allgemein bekannt. Welche Maßnahmen könnten dazu führen, damit mehr Menschen mit dem Rauchen aufhören?
In Bezug auf den Nichtraucherschutz ist Österreich im unteren Mittelfeld: laut Tobacco Control Scale 2021 stehen wir am 26. Platz von 37 angeführten Ländern, das heißt, wir können im Nichtraucherschutz noch einiges bewegen. Was heißt bewegen? Vor Kindergärten, auf Spielplätzen, in Parks etc., also überall dort, wo wir eigentlich ein gutes Vorbild sein sollten, wird noch immer regelmäßig geraucht, und das sollte aufhören. Zusätzlich raucht noch immer ein Viertel der österreichischen Bevölkerung, hier könnte der Tabakpreis verändert werden, da kann man an vielen Strängen ziehen. Ich glaube, dass es wichtig ist, ein Bewusstsein zu schaffen, dass Rauchen in öffentlichen Räumen noch immer ein zentrales Thema ist.

Halten Sie Rauchalternativen für sinnvoll?
Auch hier ist es wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen, dass Rauchalternativen wie z.B. Wasserpfeifen eigentlich aggressiver sind als normale Zigaretten, wenn hier auch andere Substanzen wie Obstaromen mit Wasserstoff verbrannt bzw. verbunden werden. Diese Produkte sind nicht als gesund zu titulieren. Ich erkläre meinen Patient:innen immer, wenn man aufhört, dass man nicht auf eine Alternative des Inhalierens umsteigen soll. Nikotinersatzpräparate wie Pflaster, Kaugummi oder dünne Plättchen , die über den Sublingualbereich aufgenommen werden, sind erlaubt, aber das Inhalieren von anderen Substanzen ist ausdrücklich nicht zu empfehlen.

Welche Bedeutung haben personalisierte Therapien in der Behandlung des Lungenkarzinoms?
Als ich in den 1990er-Jahren angefangen habe, wurden alle Patient:innen nur mit einer oder mit zwei unterschiedlichen Chemotherapien behandelt. Jetzt hat sich die Therapie in vielen Bereichen grundlegend geändert. Durch die Bestimmung von PD-L1, aber vor allem von Biomarkern über NGS (Next-Generation Sequencing) können wir hier ganz genau den Tumor besser verstehen und feststellen, wer von welcher Therapie profitiert bzw. nicht profitiert. Neben der Chemotherapie, die sicherlich noch nicht weg ist, haben wir die Immuntherapie, hier vor allem PD-L1, PD-1, CTLA-4-Inhibitoren (Checkpoint-Inhibitoren), die versuchen, das Immunsystem zu reaktivieren.

Manche Patient:innen brauchen nur eine Immuntherapie, manche brauchen eine Immuntherapie mit Chemotherapie kombiniert. Die nächste große Gruppe sind die zielgerichteten Therapien („Targeted Therapies“), bei denen wir zum Beispiel auf Mutationen von EGFR, ALK, ROS1, BRAF-V600, MET-Exon-14-Skipping, NTRK, RET-Fusion oder HER2 testen und dann auf diese gezielt eingehen. Wir wissen aber auch, dass beispielsweise EGFR-mutierte Patient:innen kaum von einer Immuntherapie profitieren, das heißt, wir können hier aufgrund der Testung die Immuntherapie weglassen. Auf der anderen Seite kombinieren wir auch zielgerichtete Therapien mit einer Chemotherapie. Es ist sehr individuell.

Welche aktuellen Entwicklungen gibt es noch?
Ganz aktuelle Daten haben wir von einer weiteren Substanzgruppe, den bispezifischen (monoklonalen) Antikörpern. Das sind Antikörper, die in der Mitte durchgeschnitten werden, auf die unterschiedlichen Schenkel binden zwei verschiedene Rezeptoren. Eine der ersten Substanzen, die wir hier einsetzen, ist Amivantamab. Es blockiert den EGFR- und den MET-Rezeptor gemeinsam, womit wir im Vorfeld schon potenzielle Resistenzen blockieren. Neue Medikamente, die PD-1 und TIGIT oder auch CTLA-4 mit PD-1 gemeinsam kombinieren, erweitern unser Behandlungsspektrum enorm.
Die neueste Substanzklasse, die auch schon eingesetzt wird, sind die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate – eben Chemotherapeutika gemischt mit zielgerichteter Therapie. Das heißt, das Chemotherapeutikum hat einen Liganden, der zu einem Antikörper verbindet. Die erste zugelassene Substanz bei Patient:innen mit HER2-mutiertem nichtkleinzelligem Lungenkarzinom ist Trastuzumab-Deruxtecan. Der Antikörper (Trastuzumab) bindet an den HER2-Rezeptor, das Chemotherapeutikum (Deruxtecan) kann dann gezielt vor Ort wirken, womit die Substanz eigentlich eine zielgerichtete Chemotherapie darstellt. Die Nebenwirkungen fallen in der Regel milder aus als bei der klassischen Chemotherapie, aber etwas stärker als bei den zielgerichteten Therapien. Weitere derartige Substanzen wie Datopotamab-Deruxtecan, Patritumab-Deruxtecan, Sacituzumab-Govitecan und Telisotuzumab-Vedotin befinden sich in der Pipeline.

„In der Behandlung des Lungenkarzinoms stehen uns heutzutage fünf Substanzklassen zur Verfügung: die klassische Chemotherapie, die Immuntherapie, die zielgerichteten Therapien sowie die bispezifischen Antikörper und die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate.”

In welchen Fällen kommen diese Therapien zum Einsatz?
Diese Substanzen werden nicht mehr nur im Stadium IV eingesetzt, sondern mittlerweile auch in den Frühstadien. Das heißt, wir warten nicht mehr, dass die Patient:innen nach der Operation ein Rezidiv entwickeln, sondern setzen die Substanzen bereits im Vorfeld – auch schon vor einer Operation oder perioperativ vor und nach der Operation – ein oder vor und nach Strahlentherapie, damit alle Patient:innen davon profitieren.

Vielen Dank für das Gespräch!