Biopsychosozialer Zugang zum herzkranken Menschen

Die Psychokardiologie ist eine Gesamtschau des Menschen mit einer schweren Herzerkrankung und bereichert den klassischen kardiologisch-somatischen Zugang mit Erkenntnissen der Psychosomatik bzw. der biopsychosozialen Medizin. Die Fülle der Möglichkeiten geht weit über die früheren Modelle der reinen Primär- und Sekundärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Stichwort „Risikofaktoren“) hinaus in Richtung des ganzheitlichen Begriffes der Salutogenese.

Herzinfarkt und Depressionen

Studien zeigen, dass bis zu 10 % der Bevölkerung an Depressionen leiden. Umso schwerer wiegt es, dass Menschen mit Depressionen ein deutlich höheres Herzinfarkt-Risiko haben; in einzelnen Subgruppen von Menschen unter 40 Jahren mit schwersten Depressionen ist dieses geschlechtsspezifisch dramatisch (15-fach bei jungen Frauen, 3,5-fach bei jungen Männern) erhöht.

Umgekehrt treten schwere psychische Begleiterkrankungen vielfach erst im Rahmen kardialer Ereignisse oder mit zeitlicher Verzögerung von Monaten zutage. Der akute STEMI mit teilweise schwerer vegetativer Symptomatik und anhaltenden bedrohlichen Schmerzen wird oft als vital bedrohliches Ereignis erlebt. Bei etwa 20–30 % der Patient:innen folgen klinisch relevante Depressionen, die einer medikamentösen und vor allem einer Behandlung mit psychotherapeutischen Methoden bedürfen. Geschieht dies nicht, verschlechtert sich die Prognose der Herzerkrankung und die Teilhabefähigkeit für ein erfülltes privates und soziales Leben bis hin zum Verlust der Berufsfähigkeit. Depressionen nach einem Herzinfarkt steigern das Risiko für einen künftigen neuerlichen Infarkt um 15–30 %.

Typische psychokardiologische Krankheitsbilder

Bei einigen kardiologischen Erkrankungen sind psychische Symptome keine Seltenheit:

  • Bei KHK/Herzinfarkt kommt es nicht nur zu Depressionen, sondern auch häufig zu Angststörungen.
  • Bei Herzrhythmusstörungen, nach Herzstillstand/Reanimationen, nach Implantation von Defibrillatoren (ICDs) treten Panikattacken und Depressionen auf.
  • Nach großen kardialen (Not-)Operationen und langen Aufenthalten auf der Intensivstation finden sich häufig posttraumatische Belastungssyndrome.
  • Bei Herzinsuffizienz ist die Häufigkeit depressiver Störungen um das 2–4-Fache erhöht. Unabhängig von LVEF und BNP erhöhen depressive Symptome die Gesamt- und kardiale Mortalität. Etwa 30 % leiden unter Angstsymptomen, dadurch leidet auch signifikant die Adhärenz mit der Folge kardialer Dekompensation, wiederholten Spitalsaufnahmen etc.
  • Takotsubo/Broken-Heart-Syndrom: Bei der Stresskardiomyopathie ist der Zusammenhang mit seelischen Traumata, Angststörungen und Depressionen bekannt.

Psychokardiologie in Österreich

Im Jahr 1982 hat OA Dr. Georg Titscher (Hanusch-Krankenhaus, Wien) die psychosomatische Behandlung von Patient:innen mit/nach akuten Herzerkrankungen etabliert und in der Folge eine Spezialambulanz gegründet. Diese wird aktuell von OÄ Evelyn Kunschitz geleitet. Im Jahr 1997 gründete Dr. Titscher die Arbeitsgruppe „Kardiologische Psychosomatik“ der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (www.atcardio.at), die seit 2004 im „Curriculum kardiologische Psychosomatik“ medizinisches Personal aus ganz Österreich ausbildet.

Das RZ Felbring ist das erste österreichische Rehazentrum, in dem seit 2019 die stationäre psychokardiologische Rehabilitation zusätzlich zu den kardiologischen Rehamaßnahmen angeboten wird (www.rz-felbring.at); weitere Rehazentren folgten.

Nutzen der psychokardiologischen Rehabilitation

In einer 2019 veröffentlichten Untersuchung der Charité Berlin fanden sich eindeutige Vorteile der intensivierten kombinierten psychokardiologischen Rehabilitation im Vergleich zur rein somatisch-kardiologischen oder rein psychosomatischen Rehabilitation, speziell in Bezug auf ein nachhaltiges Absinken von Herzangst bzw. Vermeidungsverhalten im Alltag. Im RZ Felbring zeigte die Analyse eigener Daten im Rahmen einer Diplomarbeit in Kooperation mit der SFU Wien einen ähnlichen Trend.