Chronisch entzündliche Darmerkrankungen führen als relapsierende und destruierende Erkrankungen, entsprechend Ausdehnung und Schweregrad, über die Zeit zu einer irreversiblen Schädigung am Verdauungstrakt. Im Wesentlichen wird zwischen zwei Formen unterschieden: Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Beide führen zu einer lebenslangen Einschränkung der Lebensqualität für die Betroffenen und gehen häufig mit Langzeitkomplikationen einher. Epidemiologische Studien zeigen, dass die Häufigkeit von CED weltweit zunimmt. Univ.-Prof. Dr. Alexander Moschen, Gastroenterloge am Universitätsklinikum Innsbruck, erläutert die Gründe: „Dies ist auf veränderte Umweltbedingungen zurückzuführen – letztlich auf die Art und Weise, wie wir heute leben und uns ernähren, wobei die relevanten Auslöser – im Sinne der Prävention – bislang schlecht definiert bleiben.“ Bei der Krankheitsentstehung dürften aber Faktoren, die direkt oder indirekt von unserem Darmmikrobiom ausgehen, zu den entscheidenden Komponenten zählen.
Auf einen Blick
Was die Therapie betrifft, so stehen unterschiedliche Medikamente für den Schub, die sogenannte Induktionstherapie, und Medikamente zur Remissionserhaltung zur Verfügung. Je nach Schweregrad der Erkrankung erfolgt eine Step-up-Strategie. Während für die milde bis moderate Colitis ulcerosa 5-Aminosalizylate zum Einsatz kommen, werden diese beim Morbus Crohn nur gelegentlich angewendet. Bei ausgeprägterer Aktivität kommen anfangs häufig systemische Steroide zum Einsatz, die über 8 bis 12 Wochen wieder ausgeschlichen werden.
Bei steroidrefraktären beziehungsweise -abhängigen Patienten braucht es hingegen eine alternative Medikation zur Remissionsinduktion und -erhaltung. Generell sind derzeit 3 Klassen von Biologika, Anti-TNF-α (Infliximab, Adalimumab), Anti-α4β7-Integrin (Vedolizumab) und Anti-IL-12/IL-23 (Ustekinumab), für den Morbus Crohn und 3 verschiedene Biologikaklassen, nämlich Anti-TNF-α (Infliximab, Adalimumab, Golimumab), Anti-α4β7 (Vedolizumab), Anti-IL-12/IL-23 (Ustekinumab) sowie der „small-molecule“ Januskinase-1/3-Blocker (Tofacitinib), für die Colitis ulcerosa verfügbar.
Mit der aktuellen Therapie können viele Patienten gut versorgt und ihre Lebensqualität deutlich verbessert werden, erläutert Moschen: „Um die Ansprechraten auf die Therapien zu erhöhen, erhoffen wir uns positive Resultate aus der Mikrobiomforschung – einerseits im Sinne einer Potenzierung der Wirksamkeit durch mikrobiomspezifische Interventionen und andererseits durch die Identifikation prädiktiver Biomarker.“
CED gehören zu den ersten Krankheitsentitäten, die auf die Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmkeimwelt geprüft wurden. „Es konnte gezeigt werden, dass die Darmflora von CED-Patienten im Vergleich zu einer darmgesunden Person verändert ist. Noch ist jedoch nicht geklärt, ob das veränderte Mikrobiom Ursache oder Folge der Erkrankung ist“, sagt der Experte.
An der Pathogenese der CED sind ähnliche Einflussfaktoren beteiligt wie bei der Zusammensetzung des Mikrobioms: die Genetik, das (fehlgeleitete) Immunsystem, Umweltbedingungen und die Keimwelt. Zu den wirtabhängigen Faktoren gehört laut Moschen neben der Genetik auch die geografische Lage des Wohnorts: „Wir wissen, dass sich die strukturelle Zusammensetzung von Mikrobiomen in Abhängigkeit der Geografie unterscheidet und die Übersiedlung in ,neues Gebiet‘ über längere Zeit Anpassungen an ‚lokale Verhältnisse‘ nach sich zieht. Es gibt also offenbar einen geosozialen Selektionsdruck.“ Zu den einflussnehmenden Umweltbedingungen zählen unter anderem Ernährungsgewohnheiten, Nahrungsmittelzusätze und Antibiotikatherapien.
Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass das Mikrobiom Einfluss auf die Entzündung im Darm hat – ein verändertes Mikrobiom kann somit dazu beitragen, die intestinale Inflammation aufrechtzuerhalten. Während gewisse bakterielle Stoffwechselprodukte eine antientzündliche Aktivität aufweisen und dadurch den Aufrechterhalt der Darmbarriere fördern, treiben andere Bestandteile die Entzündung voran. „Ein wichtiges Ziel ist es, herauszufinden, welche Faktoren und Interventionen zu einer proinflammatorischen Reaktion des Mikrobioms auf den Darm führen und wie diese Waage zugunsten der antientzündlichen Faktoren bewegt werden kann, sodass CED-Erkrankte davon profitieren“, erläutert Moschen.
Emulgatoren, die in Fertiggerichten verwendet werden, haben sowohl einen direkten negativen Einfluss auf die Darmbarriere als auch indirekt über die Beeinflussung der Darmflora. Auch für Siliziumkristalle, die oft in Pulverkaffee enthalten sind, wurde ein proinflammatorischer Effekt im Tiermodell nachgewiesen. Tierische Produkte, insbesondere rotes Fleisch und tierisches Fett, setzen die Darmflora einer Selektion aus, die jene Keime fördert, welche die Entzündung vorantreiben. Moschen entwarnt: „Das heißt nicht, dass man diese Produkte gar nicht mehr essen darf, aber man sollte sie zumindest nicht täglich konsumieren.“
Die Zukunft sieht Moschen in einer individuellen Mikrobiomoptimierung: „Hier gibt es zwei wesentliche Ansätze: Entweder wir führen Bakterien zu, die ähnlich wie Präbiotika die günstigen Eigenschaften der körpereigenen Keime fördern, oder wir supplementieren jene Keime, von denen wir glauben, dass sie besonders günstig sind beziehungsweise beim CED-Patienten fehlen. Ich glaube zwar nicht, dass wir durch individuelle ,Keim-Cocktails‘ gesund werden, bin aber zuversichtlich, dass wir zukünftig und mit einem besseren Verständnis der entzündungsmodulierenden Mechanismen im Mikrobiom die Wirksamkeit der aktuellen Therapien verstärken beziehungsweise modulieren können. Diese Vorgänge sind über die CED hinaus für alle immunmediierten Erkrankungen relevant. Über die Modulation im Darm wird man auch andere Therapien für andere Zielorgane optimieren können.“
Die Therapiemöglichkeiten zur Behandlung von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert und zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten beigetragen. Offen bleibt jedoch oft die Frage, welcher Patient von welchem Therapieansatz profitiert und in welcher Reihenfolge die verschiedenen Biologika zur Anwendung kommen sollen. Auch hier erhofft man sich Antworten aus der Mikrobiomforschung, sagt Moschen: „Es kann durchaus sein, dass eine Anti-TNF-α-Therapie ein anderes mikrobiotisches Set-up braucht als eine Anti-IL-12/IL-23-Therapie. Noch lassen sich hier keine Empfehlungen für die klinische Anwendung ableiten, wir hoffen aber auf zeitnahe Resultate, die uns verraten, welcher Patient auf welche Therapie am besten anspricht. Denn das würde uns in der aktuellen Situation am allermeisten weiterhelfen.“