Chronifizierung verhindern – durch rasche, wohnortnahe Versorgung

Rückenschmerz gilt in Österreich als Volkskrankheit Nummer 1 und geht mit Behandlungs- und Folgekosten einher. Aufgrund seiner Komplexität und der vielfältigen Ursachen und deren Ausformungen, die auch von psychosozialen wie auch arbeitsplatzbezogenen Faktoren bestimmt werden, ist ein Therapieansprechen oft nur schwer zu erreichen.

Zu den vier wichtigsten Aspekten bei der Behandlung des unspezifischen Rückenschmerzes zählen:

  • Aufklärung und Beratung
  • Bewegung
  • Lebensstiladaptierung inklusive Ernährung
  • soziale Kontakte
  • analgetische Therapie

In Österreich kommt es immer noch zu langen Wartezeiten bei der Versorgung von Schmerzpatienten. Die Betroffenen müssen laut Österreichischer Schmerzgesellschaft (ÖSG) im Schnitt eine eineinhalb- bis zweijährige Odyssee auf sich nehmen, bis sie zu einer aussagekräftigen Diagnose kommen – fast jeder Fünfte bekommt überhaupt keine. Im neuen „Qualitätsstandard abgestufte Schmerzversorgung unspezifischer Kreuzschmerz“ wird daher ein dreistufiges Versorgungskonzept detailliert festgelegt, das bestmögliche Diagnostik und Therapie von Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen flächendeckend, wohnortnah und effizient gewährleisten soll.

 

Österreichische Leitlinie für das Management akuter, subakuter, chronischer und rezidivierender unspezifischer Kreuzschmerzen 2018

 

Expertenempfehlungen zur Kreuzschmerzversorgung

Versorgungsebene I: Die Basisversorgung soll in erster Linie durch die Allgemeinmediziner erfolgen. In den ersten 6 Wochen nach dem Auftreten der Schmerzen wird das Erst-Assessment mit Anamnese und klinischer Untersuchung, die Aufklärung und Beratung der Patienten sowie ein Screening auf psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren durchgeführt und eine leitlinienkonforme Behandlung (siehe Kasten) eingeleitet: Spätestens vier Wochen nach Beginn der Symptomatik sollte eine Reevaluation erfolgen, damit jene mit höherem Risiko für ein chronisches Schmerzsyndrom identifiziert werden können. Dafür kann zum Beispiel das STarT Back Screening Tool verwendet werden (Abb.). „Mit diesem kurzen Fragebogen, welcher in Form eines praktikablen Online-Tools mit rascher Auswertung zur Verfügung steht, können Allgemeinmediziner jene Kreuzschmerzpatienten herausfiltern, bei denen die Gefahr eines mittleren beziehungsweise hohen Chronifizierungsrisiko besteht und entsprechend dem ausgewerteten Risikos rasch behandelt werden müssen. Außerdem lässt sich damit besser einschätzen, welche Versorgungsebene die Kreuzschmerzpatienten jeweils zur Behandlung benötigen. Der Fragebogen erfasst nicht nur die biomedizinischen Aspekte des Kreuzschmerzes, sondern hilft auch, die psychosozialen Faktoren angemessen zu berücksichtigen“, erläutert OÄ Dr. Waltraud Stromer die Details.

 

 

Versorgungsebene II: Sind die Therapieergebnisse nach sechs Wochen nicht zufriedenstellend, werden die Patienten in die zweite Versorgungsebene weitergeleitet, die von Ärzten mit vertiefter schmerzmedizinischer Ausbildung, wie etwa niedergelassene Fachärzte, Ambulatorien oder Reha-Einrichtungen sowie intramurale interdisziplinäre Schmerzambulanzen, abgedeckt wird. Hier wird evaluiert, ob psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Faktoren für die Chronifizierung des Rückenschmerzes besonders berücksichtigt werden müssen und ob eine weiterführende Diagnostik indiziert ist. Bei Bedarf wird eine multimodale Schmerztherapie durchgeführt. Bestehen die Rückenschmerzen auch nach zwölf Wochen noch, folgt Versorgungsebene III.

Versorgungsebene III: Es findet eine hochspezialisierte interdisziplinäre und gegebenenfalls multimodale Versorgung mit Durchführung eines interdisziplinären Assessments statt. Wenn erforderlich, werden weiterführende Diagnostik, akutmedizinische und/oder interventionelle Schmerztherapie durchgeführt. Die Patientenschulung wird intensiviert und bei Bedarf um schmerz-psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen ergänzt. Diese Ebene der Schmerzversorgung ist in interdisziplinären Schmerzzentren, Reha-Einrichtungen oder spezialisierten Tageskliniken möglich.

„Diese Expertenempfehlungen zur Verbesserung der Kreuzschmerzversorgung sollen in den Österreichischen Strukturplan Gesundheit aufgenommen werden. Damit wird erstmals ein wichtiges Teilgebiet der Schmerzversorgung in der Gesundheitsplanung verankert“, hielt Stromer bei der Auftaktveranstaltung der Österreichischen Schmerzwochen fest.

Nach 12 Wochen chronisch

Geschätzte 500.000 bis 600.000 Personen sind in Österreich durch chronische Schmerzen in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Neben den Rückenschmerzen zählen auch neuropathische Schmerzen, Tumorschmerzen, Entzündungsschmerzen, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen und durch psychische Faktoren getriggerte Schmerzen zu häufig chronisch verlaufenden Schmerzformen. Eine Entwicklung in der Behandlung, wie beim unspezifischen Kreuzschmerz, sei daher auch für alle anderen Bereiche der Schmerzversorgung dringend notwendig, ist die ÖSG-Vizepräsidentin überzeugt, denn „anders als bei anderen schmerzhaften Körperregionen gilt der Schmerz im Bereich des Rückens bereits nach 12 Wochen als chronisch!“.

Die chronische Schmerzkrankheit entsteht, wenn der Schmerz seine Funktion als Warnsignal verloren hat und sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild entwickelt. Der Schmerz bleibt dann weit über die normale Heilungszeit der zugrundeliegenden Ursache bestehen.

Laut Stromer können aber auch Ärzte bei Patienten mit Kreuzschmerzen zur Chronifizierung beitragen, etwa wenn psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Faktoren nicht berücksichtigt werden und nur rein auf die Biologie geachtet wird; wenn die Betroffenen zu lange krankgeschrieben oder zur Bettruhe aufgefordert werden oder zu viel Bildgebung ohne adäquate Indikation durchgeführt wird: „Darum wird in den Qualitätsstandards zur Behandlung des unspezifischen Kreuzschmerzes darauf eingegangen, was wann erfolgen soll – das dient sowohl dem Schutz des Patienten als auch des Arztes, der damit eine Argumentationsgrundlage bei fordernden Patienten hat“, resümiert die Expertin.

 

Quelle: Auftaktpressekonferenz zu den 19. Österreichischen Schmerzwochen am 21. Jänner 2020