Überspitzt ausgedrückt „macht“ das Gehirn aus den einlangenden neuronalen Informationen erst das subjektive Erleben „Schmerz“. So gesehen ist Schmerz immer ein subjektives Befinden, für das es keinen objektiven Befund gibt.
Das heutige gängige bio-psycho-soziale Schmerzparadigma beruht auf einem kybernetischen Wechselwirkungsansatz: Anstelle eines ätiologisch geprägten „entweder-oder“ steht nun das ganzheitlich gedachte „Sowohl-als-auch“. Diese neurobiologischen Grundlagen finden ihre Abbilder in der Alltagswelt: So kennen wir die Angst vieler Menschen vor den Zahnärztinnen und -ärzten oder anderen schmerzhaften Untersuchungen, die unser Schmerzerleben verstärken kann, während umgekehrt Entspannung, Zuwendung oder Ablenkung schmerzdistanzierend wirken. Dieses Wissen hat mittlerweile in medizinischen Behandlungsleitlinien Eingang gefunden, beispielsweise in die aktuelle S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin.
Akuter Schmerz ist in der Regel kurz andauernd und häufig körperlich ausgelöst. Bereits innerhalb wenigen Wochen finden auf somatischer und psychosozialer Ebene – in individuell unterschiedlicher Gewichtung – Vorgänge der Chronifizierung statt. Der chronische Schmerz ist nicht mehr Hinweis auf eine zugrunde liegende Verletzung oder Erkrankung, sondern ist selbst zu einer eigenständigen Erkrankung geworden (ab einer Schmerzdauer von mehr als 3 Monaten wird von chronischem Schmerz gesprochen). Bei vielen Betroffenen ist dabei das Ausmaß erlebter Schmerzen und die subjektive Beeinträchtigung bzw. Behinderung durch die Schmerzen (sog. „pain disability“) nicht progressiv linear zum organmedizinischen Befund.
Als Prototyp einer chronischen Schmerzerkrankung, die in erster Linie durch psychosoziale Stressoren ausgelöst wird, gilt die anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Hier findet das Schmerzerleben auf einer zentralnervösen Ebene statt, wird von den Betroffenen aber peripher lokalisiert. Prädisponierend für die Entstehung somatoformer Schmerzen ist ein neurobiologischer Sensibilisierungsprozess, der durch eine Reihe belastender Umweltbedingungen in der Kindheit initiiert wird und zu einer insgesamt erhöhten Stressvulnerabilität bzw. reduzierten Stresstoleranz führt. Spätere Belastungen im Erwachsenenalter (Konflikte, Life Events, neuerliche traumatische Erfahrungen, schwere körperliche Erkrankungen) können dann als Schmerzauslöser wirken: Durch sie werden Körpervorgänge aktiviert (z. B. Muskelverspannung), die durch selektive Aufmerksamkeitsfokussierung automatisch (intuitiv, unbewusst) mit früheren somatosensorischen Repräsentanzen (Schmerz- und Traumagedächtnis) verknüpft werden und zum Schmerzerleben führen. In der Folge setzt ein dysfunktionales Krankheitsverhalten mit körperlicher Schonung, Bewegungsvermeidung und verstärktem Hilfesuchverhalten („doctor shopping“) mit frustranen Behandlungsversuchen ein. Der daraus resultierende Teufelskreis aus Schmerzerleben, Defiziten in der kognitiv-emotionalen Stressverarbeitung und deren Kommunikation führt schließlich zur Chronifizierung der Beschwerden.
Vor dem Hintergrund eines komplexen bio-psycho-sozialen Schmerzverständnisses zählt heute die multimodale Schmerztherapie, d. h. die gleichzeitige Anwendung komplementär aufeinander bezogener Interventionen, zum Goldstandard in der Behandlung chronischer Schmerzen. Fixer Bestandteil dabei sind schmerzpsychotherapeutische Verfahren. Diese umfassen direkt symptombezogene Interventionen (sog. „Schmerz-bewältigungsverfahren“) zur Förderung von Eigenaktivität und Selbstkompetenz der Patient:innen im Umgang mit den Schmerzen und deren Folgen. Zielsetzung ist u. a. der Aufbau gesundheitsbezogener Maßnahmen, wie z. B. gestufter Aktivitätsaufbau, Reduktion des Analgetikakonsums und die Förderung von Lebensqualität trotz chronischer Schmerzen. Großen Stellenwert besitzen hier auch jene Interventionen, die auf psychophysiologischer Ebene ansetzen, wie z. B. Entspannungsverfahren und Biofeedback-Verfahren, teils kombiniert mit Imaginations- und Suggestionstechniken bzw. Hypnose zur Aufmerksamkeitslenkung. Neben den direkt symptombezogenen Techniken existieren auch symptomübergreifende (konfliktzentrierte, erlebnisorientierte, interaktionelle und biographische) Interventionsmaßnahmen. Diese sind dann indiziert, wenn die Entwicklung der Schmerzsymptomatik mit tiefgreifenden Stressverarbeitungsstörungen und Traumatisierungen verbunden ist.
Die Schmerzpsychotherapie wurde in den letzten Jahren in Form singulärer kontrollierter Interventionsstudien mehrfach empirisch abgesichert. Heute werden schmerzpsychotherapeutische Verfahren in der Regel jedoch nicht singulär, sondern als Baustein multidisziplinärer, multimodaler Behandlungsprogramme (ambulant, teilstationär, stationär) erfolgreich eingesetzt. Die hierzu veröffentlichten Metaanalysen belegen deren Überlegenheit gegenüber singulären Behandlungskonzepten.
Praxismemo