Chronobiologie: Warum Frauen schlechter schlafen als Männer

Neben den klassischen, lebensstil­assoziierten Faktoren Ernährung, Alkoholkonsum, Rauchverhalten, Körpergewicht und Bewegung hat das Schlafverhalten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Während schlechter Schlaf vor Kurzem noch als unangenehme Nebensächlichkeit betrachtet wurde, wissen wir heute, dass auch wenig oder schlechtem Schlaf eine zentrale Bedeutung in der Entstehung von Übergewicht und zahlreichen chronischen Krankheiten zukommt.

Das zirkadiane System

Das komplizierte und hochkomplexe Zusammenspiel zwischen retinalen Melanopsin-Rezeptoren, dem retinohypothalamischen Trakt, den suprachiasmatischen Kernen und der Zirbeldrüse (Hauptort der Melatoninsekretion) bildet gemeinsam mit peripheren Rezeptoren und Uhrgenen das zirkadiane System. Dieses System reagiert sehr empfindlich auf das Umgebungslicht. Zu den Funktionen, die es steuert, gehören der Schlaf-wach-Rhythmus, Körpertemperatur, Blutdruck und die Produktion bestimmter Hormone (z. B. Kortisol, Melatonin). Aus diesen Mechanismen lässt sich ableiten, dass selbst kleine Veränderungen im Umgebungslicht (z. B. wann genau und wie lange es hell oder dunkel ist) einen Einfluss auf das Schlafverhalten ­haben können und zu Schlafstörungen ­beitragen können. Interindividuelle Unterschiede und welche Faktoren hier bestimmend sind, ist Gegenstand modernster Forschung.

Schlafstörungen

Schlafstörungen können akut oder chronisch auftreten. Zu den am häufigsten beschriebenen Schlafstörungen gehören die Insomnie, obstruktive Schlafapnoe, das Rest­less-Legs-Syndrom sowie Störungen des zirkadianen Schlafrhythmus. Zu den weniger bekannten und selteneren Schlafstörungen gehören Parasomnien (z. B. Bettnässen, Zähneknirschen, Schlafterror) und Hypersomnien (z. B. Narkolepsie). Auch medizinische und psychiatrische Erkrankungen können Schlafstörungen hervorrufen.

Eine rezente Umfrage aus Österreich ergab, dass Schlafprobleme von praktischen Ärztinnen und Ärzten immer noch viel zu selten abgefragt werden. Dies ist jedoch eine Voraussetzung für die Diagnose von Schlafstörungen und um diesen entgegenzuwirken. Selten liegen schwere Formen von Schlafstörungen vor (z. B. Advanced Sleep Phase Syndrome; hochgradige Insomnien), die der gezielten Abklärung im Schlaflabor bedürfen. Oftmals startet die Behandlung von Schlafproblemen in der Praxis mit der Empfehlung einfacher schlafhygienischer Maßnahmen, die das gezielte Hinauszögern des Zubettgehens oder die Vermeidung von hellen Lichtquellen wie Computer- oder Fernsehbildschirmen in den Stunden vor dem Schlafengehen beinhalten können. Mittlerweile gibt es auch bereits Apps, mit deren Hilfe man Maßnahmen zur Schlafhygiene und kognitive Verhaltenstherapieprogramme für einige Wochen anwenden kann, entweder allein oder in Kombination mit anderen Therapien als Startmaßnahme gegen Schlafprobleme.

Frauen schlafen schlechter als Männer

Unzählige Beispiele von Geschlechtsunterschieden, sowohl im normalen Schlafverhalten als auch was Schlafprobleme betrifft, existieren. Der normale Schlaf von Frauen wird besonders in hormonellen Übergangsphasen abhängig vom menstruellen Zyklus und während der Schwangerschaft und dem Stillen sowie in der Perimenopause, Menopause und Postmenopause beeinträchtigt und Frauen leiden in diesen Zeiträumen häufiger unter Schlafstörungen oder Schlafproblemen. Eine höhere Prävalenz von nahezu jeder Form von Schlafstörung und schlechterer Schlafqualität bei Frauen versus Männern wird konsistent in der Literatur beschrieben. Insomnie betrifft etwa 22 % der Gesamtbevölkerung, dabei aber 1,5–2-mal häufiger Frauen als Männer. Laut einer Studie steigt die Prävalenz der Insomnie sprunghaft von 33–36 % bei prämenopausalen Frauen, auf 44–61 % bei postmenopausalen Frauen. Depression, soziodemografische und -ökonomische Faktoren und der Lebensstil scheinen hierbei nur eine beiläufige Rolle zu spielen. Es gibt jedoch viele Hinweise darauf, dass neben Melatonin auch den Geschlechtshormonen eine tragende Bedeutung beim Schlaf zukommt. In Tierversuchen lassen sich Geschlechtsunterschiede im Schlaf-wach-Verhalten zum Beispiel durch Gonadektomie beseitigen. Schlafstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom, obstruktive Schlafapnoe und Schlaflosigkeit sind bei Frauen in der Menopause häufiger. Studien haben weiters beschrieben, dass Östradiol die Erholung des REM-Schlafs modulieren kann. Heute geht man daher davon aus, dass Geschlechtshormone – und zu einem gewissen Teil auch genetische Unterschiede – das unterschiedliche Schlafverhalten von Männern und Frauen mitbestimmen.

Geschlechtsunterschiede in der Therapie von Schlafstörungen

Bei der medikamentösen Behandlung von Schlafstörungen wurde entdeckt, dass Frauen dieselbe Dosis des Benzodiazepins Zolpidem langsamer verstoffwechseln als Männer, was zu 50 % höheren Serumspiegeln führt. Daher wird eine niedrigere Dosierung für Frauen empfohlen. Studien haben ­weiters gezeigt, dass Frauen im Vergleich zu Männern bei der Behandlung von obstruktiver Schlafapnoe ähnlichen Schweregrades möglicherweise weniger kontinuierlichen Atemwegs-überdruck benötigen. Die Hormon­ersatztherapie bei postmenopausalen Frauen scheint einige der Schlafstörungen zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern, wobei die Rolle der Hormonersatztherapie bei der Verbesserung der Schlafqualität allerdings noch etwas umstritten ist. Generell gilt es, in der Behandlung von Schlafstörungen bei Frauen Ärztinnen und Ärzte zu konsultieren, um einige Besonderheiten und Risiken entsprechend zu beachten. Diese umfassen unerwünschte Schwangerschaftsfolgen bei Frauen im gebärfähigen Alter, unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln (die über die Muttermilch ausgeschieden werden) auf stillende Säuglinge, die mögliche Unwirksamkeit von oralen Antikontrazeptiva bei Einnahme anderer Arzneimittel (z. B. Modafinil) oder die Verschreibung niedrigerer Dosen einiger Arzneimittel, da Frauen diese Arzneimittel in der Regel weniger gut verwerten als Männer (z. B. alle­ Zolpidem-Produkte).Trotz zunehmender Aufmerksamkeit gegen­über dem Thema „Frauen und Schlaf“ gibt es weiterhin erhebliche Wissenslücken in der Forschung und ein mangelndes Bewusstsein hinsich­tlich frauenrelevanter Schlafthemen. Praktische Ärztinnen und Ärzte können durch vermehrte Aufmerksamkeit diesem Thema gegenüber einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten.

KOMMENTAR

Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer
Medizinische Universität Wien & lapura,
Genderinstitut Gars am Kamp

Frauen schlafen anders. Männer auch.

Frauen gehen von der Kindheit an bis zum Einsetzen der Menopause früher zu Bett als Männer, was einen Zusammenhang zwischen dem Schlafbedürfnis und den Sexualhormonen nahelegt. Frauen haben auch mehr Tiefschlafphasen und weniger Stadium 1 Non-rapid-Eye-Movement-(NREM-)Schlaf als Männer. Die tiefste Körpertemperatur und die höchsten Melatoninspiegel in Bezug auf die Aufwachzeit zeigen Frauen früher als Männer.

Aber auch Schlafstörungen treffen Frauen öfter. Frauen zeigen ein 40 % höheres Risiko für Schlaflosigkeit als Männer, was mit dem Alter zunimmt. Frauen leiden gerade in der Perimenopause sehr häufig unter Schlafstörungen, verstärkt durch nächtliche Hitzewallungen und Schweißaus­brüche. Die steigenden FSH-Level sind mit schlechter Schlafqualität, längeren Schlafphasen und mehr NREMS assoziiert. Auch der Melatoninrhythmus wird durch die Menopause beeinflusst.
Häufiger Schlafentzug und wechselnde Schichtdienstarbeit sind mit Schlafproblemen assoziiert sowie mit einem höheren Risiko für Herz-Kreis­lauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes. Möglicher­weise reagieren auch hierbei Frauen empfindlicher mit einem höheren Risikoanstieg, besonders für Adipositas.

Allerdings haben Männer ein doppelt so hohes ­Risiko für das obstruktive Schlafapnoesyndrom wie Frauen, wobei Unterschiede in der pharyngealen Kollapsneigung und in der zentralen Atemregulation mitspielen. Weiters bleiben Frauen öfter unterdiagnostiziert. Die Partner bemerken ­weniger oft nächtliche Atemprobleme der Partnerin als umgekehrt. Da Frauen auch häufiger über atypische Symptome wie Insomnie, Depression und/oder Restless Legs berichten, werden sie seltener bezüglich Schlafatemstörungen abgeklärt. In jedem Fall gilt für beide Geschlechter, dass ausreichend Schlaf und eine gute ­Schlafquali­tät für die Gesundheit und das Wohlbefinden wesen­tlich sind und in der ärztlichen Praxis mehr beachtet werden sollten.