Long-COVID-Symptome werden immer mehr erforscht − auch zum Thema „Schlafstörungen“ wurde weltweit eine Reihe von Arbeiten publiziert. Was sind diesbezüglich die neuesten Erkenntnisse?
Dr. Anna Heidbreder: Wenn man derzeit in der PubMed die Keywords „Schlaf, COVID und ‚sleep‘“ eingibt, erhält man 2.000 Meldungen. Die Zusammenhänge und Auswirkungen von COVID-19 und Schlaf werden weltweit von Gruppen der unterschiedlichsten medizinischen Fachrichtungen untersucht.
Anhand der derzeit publizierten Daten kann jedoch eindeutig von einer Zunahme an Ein- und Durchschlaf- sowie Albtraumstörungen und zirkadianen Änderungen gesprochen werden, die besonders häufig bei „frontline workers“, COVID-PatientInnen und jungen Erwachsenen zu beobachten sind.
Neben psychischen Belastungen und Ängsten kann auch eine verstärkte Stressbelastung zu einem Zustand vermehrter Anspannung und so auch zu einer Bereitschaft zu intrinsischen Mikroweckreaktionen im Schlaf führen. Da viele Schlaflabore während der Hochphase der Pandemie geschlossen hatten, kommt es besonders bei PatientInnen mit Schlafatemstörungen zu einer Verzögerung der Diagnostik und Therapieeinleitung. Zudem nahmen viele PatientInnen ihre regelmäßigen Kontrolluntersuchungen nicht mehr wahr oder konnten diese nicht mehr wahrnehmen.
Gibt es in den verschiedenen Ländern Unterschiede bzw. Maßnahmen?
Ja, auf jeden Fall bestehen Unterschiede bei der Versorgung der PatientInnen mit Schlafstörungen – auch aufgrund der diversen Gesundheitssysteme. Europäische Studiendaten zeigen, dass NarkolepsiepatientInnen zum Teil von der Pandemie profitieren konnten, da ihr Tagesablauf freier einteilbar und der Zwang des „sozialen Korsetts“ geringer war. Dies führte sogar zu einer Reduzierung der Medikamenteneinnahme. In Südamerika hingegen stellte die Pandemie für die PatientInnen eine große Herausforderung dar, da ihre Behandlung nicht mehr gesichert war. Neue wissenschaftliche Untersuchungen aus Singapur zeigen, dass es durch die COVID-19-bedingte Mobilitätsrestriktion zu Auswirkungen auf Schlaf und zirkadiane Rhythmen kommt – das Gleiche gilt für verminderte Tageslichtexposition. In Argentinien haben SchlafmedizinerInnen bereits zu Anfang der Pandemie ihre PatientInnen bzw. die Bevölkerung dazu angehalten, den Lockdown zu nützen und das oft chronische Schlafdefizit auszugleichen. Auch eine Umfrage vom Wiener Institut für Bewusstseinsmedizin- und Traumforschung ergab, dass PatientInnen sich endlich besser ausschlafen konnten.
Sind unausgeschlafene Menschen also auch anfälliger für Coronainfektionen?
Wir wissen inzwischen, dass eine „durchgemachte Nacht“ uns Menschen anfälliger für Infektionen macht, und daher stellt sich für mich die Frage, warum dies nicht auch für eine Coronainfektion gelten sollte. Ausreichend Schlaf ist für unser Immunsystem und die Abwehr von Krankheitserregern von enormer Bedeutung, denn Schlafentzug reduziert die Immunabwehr.
Zu den Risikofaktoren für eine COVID-19-Infektion zählt auch das obstruktive Schlafapnoesyndrom. Die Auswertung der Daten von fast 3.200 COVID-PatientInnen aus dem Großraum Chicago, von denen 34 % hospitalisiert worden waren und 19 % ein respiratorisches Versagen erlitten hatten, ergab, dass eine obstruktive Schlafapnoe das Risiko einer stationären Aufnahme wegen COVID-19 und das Risiko für ein respiratorisches Versagen um mehr als das Vierfache erhöhte.
Auch an Ihrer Abteilung wurden Daten zu Schlafstörungen infolge einer COVID-Erkrankung durchgeführt. Welche Rückschlüsse konnten gezogen werden?
Wir konnten in unserem Schlaflabor PatientInnen von der Universitätsklinik für Innere Medizin II/Pneumologie untersuchen. Ein unerwarteter Befund war, dass ein Teil eine Auffälligkeit im REM-Schlaf aufwies. Das heißt, im REM-Schlaf war bei diesen PatientInnen der Muskeltonus nicht aufgehoben, wie es normalerweise der Fall ist, sondern es war eine vermehrte muskuläre Aktivität vorhanden. Dies könnte ein möglicher Hinweis darauf sein, dass durch die SARS-CoV-2-Erkrankung bei diesen PatientInnen tatsächlich das zentrale Nervensystem mitbetroffen ist. Ob dies nur ein vorübergehend zu beobachtendes Phänomen ist oder ggf. wieder verschwindet, ist bisher noch nicht klar.
Bei welchen Symptomen sollten AllgemeinmedizinerInnen an eine Überweisung ins Schlaflabor andenken, und wie ist die beste Vorgehensweise?
Nicht jede/r Patient/in, der/die vor allem unter vorübergehenden Schlafstörungen leidet, muss sich einer Untersuchung im Schlaflabor unterziehen. Mit Hilfe einer ausführlichen schlafmedizinischen Anamnese kann die Diagnosestellung erfolgen und wenn nötig eine Therapie eingeleitet werden. Falls Gefahr in Verzug ist, der Verdacht auf eine z. B. Schlafatmungs- oder Schlafbewegungsstörung vorliegt oder Störungen anhaltend sind, sollte eine Überweisung ins Schlaflabor erfolgen.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei Insomnie?
An oberster Stelle stehen die Schlafhygiene und Schlafedukation – gerade bei Ein- und Durchschlafstörungen sollten Bedingungen und Verhalten, die einen gesunden Schlaf fördern, beachtet werden.
Weiters ist die Aufklärung über den Einfluss des zirkadianen Rhythmus und über die damit verbundene Wirkung des „Schlafhormons“ Melatonin und der die Wachheit fördernden Hormone Serotonin/Cortisol von besonderer Bedeutung. Die Hormone fungieren als Taktgeber und regeln auch viele Stoffwechselprozesse, die Herz-Kreislauf-Funktion, das Immunsystem sowie den Appetit. Schlafmittel wie Z-Substanzen und schlafanstoßende Antidepressiva auch das Chronotherapeutikum Melatonin können die Einleitung einer Insomniebehandlung dabei unterstützen. Bei Insomnien, die im Rahmen einer anderen Erkrankung auftreten, sollte auch die Ursache bzw. die zugrunde liegende Erkrankung behandelt werden.
In den sozialen Medien kursiert der Hashtag #coronadreams. Nutzer berichten dort, dass sie während der Pandemiezeit intensiver und mehr träumten. Ist da etwas dran?
Es gibt erste Untersuchungen, die dies bestätigen. Intensive Träume und auch Albträume nahmen zu. Und das liegt auch auf der Hand: In den vergangenen Monaten erlebten viele Menschen Belastendes, und die Träume waren somit öfter negativ eingefärbt. Viele Menschen konnten jedoch in der Pandemiezeit länger schlafen und folglich auch den REM-Schlaf morgens ausdehnen – und sich deshalb besser an die Träume erinnern. Neben vielen negativen Aspekten hatte die Pandemie auch positive Seiten wie länger ausschlafen können, individuellere Zeiteinteilung und einen späteren Schulbeginn – gerade bei Schulkindern wissen wir, dass ein späterer Schulstart mit einer Leistungssteigerung einhergehen kann. Vielleicht bringt die Pandemie den einen oder anderen Stein ins Rollen!
Vielen Dank für das Gespräch!