Darmflora – Freund und Feind

Der Begriff der bakteriellen Fehlbesiedelung des Dünndarms („small intestinal bacterial overgrowth“, SIBO) ist definiert als das Vorhandensein abnormer und in ihrer Anzahl exzessiv gesteigerter Bakterien, verbunden mit einer Vielzahl von Symptomen. Sie beinhalten Meteorismus, Flatulenzen, abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Dyspepsie, Fatigue, Diarrhö und Obstipation. Zudem kann es zum Auftreten von Malabsorption, Gewichtsverlust, Anämie sowie Vitamin- und Eisenmangelzuständen kommen.

Die Konzentration von Bakterien im menschlichen Dünndarm wird mit < 103„colony-forming units“ (CFU)/ml Jejunalaspirat angegeben, eine Menge > 105 gilt als pathologisch. Das Mikrobiom des Dünndarms setzt sich überwiegend aus grampositiven Keimen zusammen. Als qualitativ abnorm wird eine Dominanz gramnegativer Anaerobier, die typischerweise den Dickdarm besiedeln, angesehen. Im Darmlumen werden CO2, H2 und CH4 gebildet. Diese Gase entstehen im Wesentlichen durch bakterielle Fermentation im Kolon. Ein Anstieg gasbildender Bakterien im Dünndarm kann daher Meteorismus und damit einhergehende Symptome zur Folge haben.

Störung des intestinalen Mikrobioms

Die Balance zwischen dem intestinalen Mikrobiom und dem Wirt wird durch verschiedene Faktoren reguliert. Die wichtigsten Kontrollmechanismen sind die Säuresekretion des Magens und die propulsive Peristaltik des Magen-Darm-Trakts. In der interdigestiven Phase, wenn Magen und Dünndarm keine nennenswerten Nahrungsmengen enthalten, kommt es zu zyklischen, propulsiven Peristaltikwellen, wodurch Darmbakterien vorwärtsgetrieben werden. Die Motilitätsabläufe werden durch Nahrungsaufnahme gesteigert. Energiereiche Nahrungsmittel, insbesondere Fett, steigern, manche Medikamente (z. B. Opiate, Anticholinergika) hemmen die Motilität. Als anatomische Barriere zwischen Dünn- und Dickdarm dient die Bauhin-Klappe. Durch deren Ventilfunktion ist die bakterielle Besiedelung im Dünndarm um den Faktor 105 niedriger als im Dickdarm. Weitere Faktoren sind die IgA-Sekretion der Darmschleimhaut und andere antimikrobielle Sekretionen, wie Speichel, Galle und Pankreassaft. Eine Störung im Bereich der genannten Faktoren kann zu SIBO führen:

  • Veränderungen der Darmanatomie durch Operationen (z. B. Ileozökalresektion, Magen-Bypass, Y-Roux)
  • Hypo- oder Achlorhydrie (bedingt durch Magenresektionen, Autoimmungastritis oder Einnahme von Protonenpumpenhemmern)
  • Motilitätsstörungen des Dünndarms als Folge verschiedener Erkrankungen (chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Strahlenenteritis, intestinale Adhäsionen)
  • Systemerkrankungen, die mit Störungen der Darmmotilität verbunden sind (z. B. Diabetes mellitus, Sklerodermie)
  • Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom, hepatische Enzephalopathie, Adipositas, Parkinson, chronische Pankreatitis

Diagnose

Galt die Messung der Bakteriendichte im Jejunalaspirat als Goldstandard, so hat sich diese Methode aufgrund der Invasivität und der schwierigen Standardisierung in der Praxis als kaum realisierbar erwiesen. Eine weit praktikablere Methode stellen Atemtests dar. Menschliche Zellen können weder H2 noch CH4 produzieren. Im Darm werden diese Gase aus Kohlenhydraten durch den bakteriellen Metabolismus gebildet und dann über die Lungen abgeatmet. Unter physiologischen Bedingungen erfolgen diese Fermentationsprozesse aufgrund der höheren bakteriellen Besiedelung überwiegend im Dickdarm. Wenn Kohlenhydrate (z. B. Laktulose oder Glukose) zugeführt werden, deutet eine rasche Erhöhung (innerhalb von 30–90 min) der Konzentration von H2 in der Atemluft auf einen bakteriellen Überwuchs im Dünndarm hin. Freilich hat auch dieser Ansatz Fallstricke: Glukose wird im proximalen Jejunum komplett resorbiert. Wenn Glukose als Substrat verwendet wird, so kann durch eine erhöhte H2-Konzentration in der Atemluft lediglich SIBO im oberen Jejunum nachgewiesen werden. Durch Verwendung von Laktulose als Testsubstanz, die im Dünndarm nicht resorbiert wird, kann eine höhere Spezifität erreicht werden. Allerdings kann ein rascher H2-Anstieg auch in Folge einer beschleunigten Passage ins Coecum falschpositive Resultate liefern.

Therapie

Die Behandlung besteht in erster Linie in der Gabe von Antibiotika, wobei weder für die Art noch für die Dauer standardisierte Protokolle vorliegen. In den vorliegenden – überwiegend nichtkontrollierten – Studien wurden systemische (u.a. Clindamycin, Metronidazol) und nichtresorbierbare Antibiotika (Rifaximin, Neomycin) bei unterschiedlicher Behandlungsdauer (zwischen 5 Tagen und einem Monat) eingesetzt. Basierend auf den vorliegenden Daten dürfte etwa die Hälfte der Patient:innen auf eine antibiotische Therapie ansprechen; der Therapieerfolg ist allerdings häufig nur temporär. So kam es in einer Studie mit Rifaximin-Therapie bei 44 % der Patient:innen nach 9 Monaten zu einem neuerlichen Auftreten der Symptome bzw. zu einem pathologischen Atemtest. Diätetische Maßnahmen (i. S. einer Kohlenhydratrestriktion) erscheinen grundsätzlich sinnvoll, wurden bislang jedoch nicht systematisch untersucht. Die Gabe von Probiotika wird kontrovers diskutiert. Um eine dauerhafte Remission zu erzielen, steht – wenn möglich – die Beseitigung der auslösenden Ursache im Vordergrund.