Die Pharmig (Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs) lud den Genetiker Josef Penninger, Director des Life Sciences Institute in British Columbia, Kanada, ein, für Fragen zum Thema COVID-19, Medikamentenentwicklungen, Impfstoffe und den Forschungsstandort Österreich zur Verfügung zu stehen.
Herr Penninger, möchten Sie von dem konkreten Forschungsprojekt erzählen, an dem Sie arbeiten?
Prof. Dr. Josef Penninger: Sehr gerne. Ich habe mich schon vor 22 Jahren dafür interessiert, wie sich Herzen bei Fliegen entwickeln. Mit der damaligen Forschung haben wir ACE2 mitentdeckt. 2002 haben wir mit den ersten mutierten Mäusen gearbeitet und herausgefunden, warum das erste SARS-Virus so tödlich war. Es bindet an ACE2, das auch der Rezeptor, die Tür, für das neue Coronavirus ist. Deshalb sind unsere Arbeiten von damals höchst relevant. Wir werden jetzt tausendmal zitiert, nachdem sich fünfzehn Jahre lang keiner dafür interessiert hat. ACE2 ist wahrscheinlich jetzt das meistbeforschte Protein auf dem Planeten. Wie funktioniert das Virus? Das Virus bindet an ACE2, um uns infizieren zu können. Die Bindung führt gleichzeitig dazu, dass ACE2 von der Zelloberfläche verschwindet und dadurch auch ein Organschutz fehlt. Basierend darauf hat Apeiron ein Medikament entwickelt, das zwei Funktionen hat: das Virus zu blockieren und die Organe zu schützen. Die Virusblockade wird auch durch Impfstoffe oder einen Medikamentencocktail erreicht, wie ihn Präsident Trump bei seiner COVID-Erkrankung erhalten hat.
Wie sehen Sie die derzeitige Studienlage?
Wir bei Apeiron Biologics machen nun eine doppelblinde Phase-IIb-Studie, um herauszufinden, ob eine lösliche Form von ACE2 für fortgeschrittene und schwere COVID-19-Erkrankungen therapeutisch wirksam ist. Ich möchte auch noch betonen, dass es meiner Meinung nach sehr wichtig ist, saubere Studien zu machen – trotz der Pandemie und der Notwendigkeit schneller Ergebnisse. Wir haben bereits bei Chloroquin und Hydroxychloroquin gesehen, dass es niemandem nützt, wenn man schlechte Studien schnell an die Öffentlichkeit bringt. Es ist uns viel mehr geholfen, wenn wir vorher wissen, ob es funktioniert oder nicht.
Die Pharmaforschung hat noch nie so viel Interesse und Aufmerksamkeit erfahren. Wird diese Solidarität bleiben?
Ich hoffe, dass wir daraus lernen. Wir wussten immer schon, dass es eine Bedrohung gibt, aber keiner hat es ernst genommen. Ich habe ein neues Bio-tech-Unternehmen gegründet, mit tollen Ideen, wie man die Schwachstellen von Viren herausfinden kann. Vor einem Jahr hat man mich noch überall hinausgeworfen, weil man damit kein Geld verdient. Da investiert man lieber in die 101. Firma, die Krebsmedikamente entwickelt, wobei das auch wichtig ist. Ich hoffe auch, dass wir daraus lernen, dass wir Kooperationen zwischen Industrie, Grundlagenforschung und Regierungen brauchen. Ich würde mir wünschen, dass man unsere Solidarität in den Vordergrund stellt und nicht das Geld, das am Aktienmarkt zu verdienen ist.
Welche Rolle spielt JLP Health* in der Medikamentenentwicklung?
Apeiron arbeitet an der löslichen Form von ACE2 mit dem Medikamentennamen APN01 in der klinischen Entwicklung. Wir haben vor einigen Jahren mit Forschern des Max-Planck-Instituts eine neue Technologie entwickelt, mit der man nicht nur das gesamte Genom absuchen kann, sondern wir können die Aminosäuren identifizieren und wofür sie wichtig sind. Wir haben dann JLP Health gegründet und ein EU-weites Netzwerk aufgebaut, mit der Idee, dass wir die Schwachstellen unserer Zellen gegenüber Viren finden. Das war zuvor nicht möglich. Natürlich gilt das für SARS-CoV-2, aber auch für andere Viren, die das Potenzial haben, auf Menschen zu springen, auch für Ebola und andere Virusinfektionen mit pandemischem Potenzial wie Ebola. Das ist notwendig, weil mit der Klimaänderung Viren zu uns kommen, die wir davor nicht gesehen haben. Die Idee ist also, dass wir aktiv in diesem Industrie-Grundlagenforschungskonsortium in vielen Ländern der EU zusammenarbeiten und die neuen Technologien verwenden, um Schwachstellen von Viren zu identifizieren – von Viren, die wir kennen, die aber Gott sei Dank noch nicht auf Menschen übergesprungen sind. Die große Vision ist, dass wir lernen, was sie brauchen, um uns zu infizieren. Wenn wir das schon vorher wissen, können wir aktiv etwas in der Schublade haben, damit uns so etwas wie COVID-19 nicht mehr passieren kann.
Es gab Berichte, dass Menschen mit einer Neandertaler-Genvariante ein dreimal erhöhtes Risiko für schwere Formen von COVID-19 haben. Ist das richtig?
In der Tat, auf Chromosom 3 gibt es eine Genregion, die das Risiko erhöht, dass man an schwerem COVID-19 erkrankt. Das ist anscheinend eine Region, die noch genetische Informationen vom Neandertaler hat. Bis zu 2 Prozent unserer DNA können Neandertaler-DNA sein. Auf Chromosom 12 gibt es eine genetische Region, die genau das Gegenteil macht, die eher vor schwerem COVID-19 schützt. Es gibt aber auch andere Assoziationen wie die Blutgruppen. Blutgruppe 0 schützt eher, mit Blutgruppe A und B kann man eher schwerer an COVID-19 erkranken.
Es gibt die Vermutung, dass es viele leichtere Verläufe mit Langzeitschäden gibt. Fokussiert werden aber nur die schweren Fälle. Wird man das eventuell ändern? Und wenn ja, wann?
Wir werden sicher in einem nächsten Schritt frühere Stadien untersuchen. Apeiron arbeitet daran das Mittel zu nebulisieren, sodass es eingeatmet werden kann. In diese Richtung denken wir durchaus, weil der Großteil der Patienten zum Glück nicht an schweren Formen erkrankt. Aber wir müssen irgendwo anfangen: In Modellorganismen arbeitet Apeiron schon mit leichteren Fällen. Wenn wir APN01 nebulisieren, haben wir allerdings bezüglich der Zulassung ein ganz neues Kapitel. Produktion und Zulassung zur Produktion sind der Flaschenhals – da könnte man noch einiges beschleunigen. Da sind wir manchmal noch zu bürokratisch in Europa.
Wie ist Ihre Einschätzung des Forschungsstandortes Österreich – bezüglich Grundlagen- und klinischer Forschung?
Österreich hat sich relativ gut entwickelt, in der Grundlagenforschung ist ziemlich viel passiert. Wir haben sehr gute Universitäten, die durchaus mit den guten Universitäten in Nordamerika mithalten können. Was wir nicht haben, sind Eliteinstitutionen wie Stanford oder Harvard, denn die sind ganz vorne, weil sie viel Geld haben. Was meiner Meinung nach fehlt, ist eine Max-Planck-Institut-ähnliche Organisation, um bessere Talente ins Land zu holen und auch internationaler zu arbeiten. Gemeinsam sollte mit den medizinischen Universitäten ein Weltklassezentrum für biomedizinische Forschung errichtet werden, mit dem ganz klaren Fokus, Weltmarktführer zu werden. Es gibt tolle junge Forscher, aber derzeit ist das eher ein Fleckerlteppich. Daraus könnte man etwas machen, das Österreich die nächsten Jahrzehnte an die Weltspitze bringt. Das hätte auch direkte Auswirkungen auf die lokale Industrie und die Pharmaindustrie, damit in Österreich vielleicht noch mehr Biotech-Firmen entstehen. Bei COVID-19 sehen wir jetzt, wie wichtig es in der Medizin ist, lokale Industrien zu haben.
Ich glaube, Österreich wäre gut beraten – und da steige ich wahrscheinlich vielen Leuten auf die Füße –, Erwartungen zu haben, dass wir Weltklasse sind. Ich würde mir wünschen, dass wir die Vision aufgeben, dass wir überall Weltklasse sind – nicht einmal die USA oder China können überall Weltklasse sein. Aber es sollte in ein, zwei Gebieten Förderungen geben, die uns erlauben, wirklich Weltklasse zu sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
* JLP Health GmbH ist ein international tätiges Biotechnologie-Unternehmen mit der Vision, „First-in-class“-Medikamente in den Bereichen Onkologie und Virologie zu entwickeln. Dafür werden funktionelle Genomtechnologien und die Herstellung von Zellen mittels modernster gentechnischer Methoden eingesetzt.