Maria Wendler: Zunächst sind wir froh, dass die Lehrpraxis nun ein verpflichtender Teil der Ausbildung ist – auch wenn diese leider nach wie vor auch in Ambulatorien absolviert werden kann. Auch die Finanzierung ist jetzt gesichert. In Zukunft ist es leichter möglich, Lehrpraxen in der Allgemeinmedizin zu absolvieren. Das ist besonders wichtig, denn so hat man die Möglichkeit, das berufliche Umfeld nach der Ausbildung im Krankenhaus noch einmal tatsächlich kennenzulernen bzw. dort einen guten Einstieg zu finden.
Was offen bleibt, ist die Zuständigkeit der Ausbildung in den Krankenhäusern. Wir haben große Sorge, dass die jungen Ärzte in Ausbildung so wie bisher quasi neben der fachärztlichen Ausbildung herlaufen. Immerhin sind die Krankenhäuser mittlerweile dazu angehalten, einen klaren Rotationsplan vorzugeben. Was nach wie vor fehlt, ist allerdings die Qualitätssicherung in der Ausbildung, die sich deutlich verbessern muss. Sowohl der Hauptverband als auch die Politik streben an, dass die Grundversorgung in Zukunft von der Allgemeinmedizin übernommen wird. Die Stärkung des hausärztlichen Systems ist ihnen also wichtig. Zu bedenken ist hier aber, dass dieses Unterfangen bereits in der Ausbildung anfängt.
Es wäre extrem wichtig, dass die Kollegen im bzw. schon vor dem Basisjahr wissen, dass sie wirklich für den zukünftigen Job ausgebildet werden, dass sie sich in dem Beruf wohlfühlen und dass sie etwas Spannendes erwartet. Das Fach Allgemeinmedizin wird derzeit an den Universitäten nur bis zu einem gewissen Grad gelehrt, in Wien ist Allgemeinmedizin nicht einmal ein Pflichtfach.
Man muss sich auch Gedanken machen, wie man hinsichtlich der Nachbesetzung der Stellen vorgeht, die noch durch die „Babyboomer-Generation“ besetzt sind. Es ist zu erwarten, dass die Stellen im Facharztbereich wieder gefüllt werden. Hier muss es dann klare Regelungen geben, wer von den Kollegen auch in die Allgemeinmedizin gehen kann. Schließlich soll sie kein Fach zweiter Wahl werden, sondern die dort tätigen Ärzte sollen eine gute Ausbildung haben und sich aktiv für die Allgemeinmedizin entscheiden.
Des Weiteren müsste die Ausbildung vonvorne herein darauf abzielen, dass die berufs- und fachspezifischen Inhalte vermittelt werden. In der Allgemeinmedizin sind das Kernkompetenzen wie die Multimorbidität, die Polypharmazie, die Betreuung chronisch kranker Patienten und der Aspekt der kontinuierlichen Betreuung. Auch für die „soft skills“, also die Kommunikation mit Patienten, der Umgang mit Angehörigen etc., muss Platz sein.
Wir würden es begrüßen, wenn die jungen Kollegen in Ausbildung Anlaufstellen hätten, die ihnen bei der Koordination der Ausbildung helfen, auf die Ausbildungsqualität achten und ihnen ein Mentoring bieten. In Deutschland gibt es Weiterbildungsverbünde, die die Abläufe in der Ausbildung steuern helfen und bei Unsicherheiten zur Seite stehen. Auch in Salzburg gibt es ein gut funktionierendes, die Ausbildung begleitendes Mentoring-Programm (die Salzburger Initiative für Allgemeinmedizin, SIA), bei dem ein Lehrarzt, bei dem auch die Lehrpraxis absolviert werden kann, die Ausbildung als Mentor begleitet. Die jungen Kollegen haben auch die Möglichkeit, in Seminargruppen Erfahrungen auszutauschen und das theoretische Wissen aus der Klinik im Hinblick auf die Praxis anzuwenden bzw. zu erfahren, wie das Wissen umgesetzt werden kann.
SIA wird von den Kollegen bestens angenommen. Es wäre wünschenswert, wenn derartige Programme in ganz Österreich laufen würden. Die Ausbildung ist ein wichtiger Knackpunkt, wo der Nachwuchs gepflegt werden muss, damit er sich entscheidet, den Beruf auszuüben.
Man muss das Fach als Berufsmöglichkeit überhaupt einmal wahrnehmen. Dann muss man sich nach der Ausbildung sattelfest fühlen. Und zuletzt muss man sich auch bewusst machen, dass das teilweise auch in der Öffentlichkeit suggerierte Bild des Allgemeinmediziners als Einzelkämpfer am Land mit der Bereitschaft, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag, offen zu haben, nicht ganz richtig ist.
Durch die oftmals unzulängliche Ausbildung sehen sich junge Kollegen nicht gewappnet für die vermeintliche Arbeit draußen alleine am Land. In Wirklichkeit haben aber selbst jene Kollegen, die „alleine“ am Land arbeiten, ihre Teams, ihre kooperierenden Fachärzte, ergänzenden Berufsgruppen wie die mobile Krankenpflege etc. Sie haben also ihre Netzwerke und sind ganz und gar nicht alleine. Nach außen hin wahrgenommene Hemmnisse wie die Work-Life-Balance, die Möglichkeit der Karenzierung oder Praxisgründung lassen sich in den letzten Jahren zunehmend besser lösen. Die neuen Konzepte der Grundversorgung, wie Gruppenpraxen oder Netzwerke, in denen man mit andere Gesundheitsberufen kooperiert, oder wo eine Anstellung bei einem Kollegen ermöglicht wird, werden von der jungen Generation sehr gut geheißen.
Bisher war die Vernetzung abhängig von der Eigenständigkeit und dem Eigenengagement der Kollegen in der Nähe. Zukünftig müssen die Strukturen klar geregelt sein. In diesen Netzwerken gibt es auch Nachtdienst- und Bereitschaftsdienstregelungen, Vertretungsärzte und die Möglichkeit, Kollegen anzustellen. Diese Konzepte kommen den Jungen zugute und werden beispielsweise im steirischen Projekt Styriamed.net bereits seit Jahren gelebt.
Wünschenswert ist, dass der Übergang in die Berufsreife für junge Kollegen, die gerne einmal eine eigene Ordination leiten würden, besser gestaltet wird. Sie sollten die Möglichkeit haben, noch einige Jahre in den Beruf unter sicheren, strukturierten Umständen „hineinzuwachsen“ und sich um die Kernkompetenz, also die medizinische Versorgung, kümmern zu können, ohne die administrativen Tätigkeiten nebenher noch mitbetreuen zu müssen. Sind sie einmal medizinisch sattelfest, ist es einfacher, sich um Abrechnungen, das Gehalt für Angestellte, Steuern etc. zu kümmern.
Welche Sonderstellung wir Allgemeinmediziner in der Beziehung zu unseren Patienten haben, merke ich derzeit besonders, weil ich gerade in einer Notaufnahme mitarbeite, wo ich Patienten nur kurz sehe. Andererseits arbeite ich auf einer geriatrischen Abteilung, wo ich die chronisch kranken, multimorbiden Patienten kontinuierlich betreue. Was uns als Hausärzte privilegiert ist, dass wir die Nähe zum Patienten haben und nicht nur punktuell anonyme Patienten sehen. Diese kontinuierliche Betreuung macht uns so einzigartig und ermöglicht uns einen völlig anderen Blickwinkel auf Erkrankungen. Natürlich muss man auch lernen, mit der Nähe zu den Patienten umzugehen, um Symptome richtig „lesen“ zu können. Durch die Kenntnis der Patienten können wir gewisse Unsicherheiten anders wahrnehmen als im stationären Bereich, wo man den Patienten gar nicht kennt. Dieses „Nahe-dran-Sein“ macht den Beruf so spannend und attraktiv!
Diese Nähe erfahren derzeit z.B. auch Kollegen, die Flüchtlinge betreuen. Die Ärzte, die dort helfen, sind Menschen, die hinausgehen und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nahe am Menschen Medizin betreiben. Dass dies in der Allgemeinmedizin täglich passiert, wird oft als viel zu selbstverständlich hingenommen.
Wie Patienten die Aufgabe der Allgemeinmediziner verstehen, hängt natürlich auch davon ab, wie lang der Weg zum nächsten Krankenhaus ist. Je weiter die Entfernung, desto eher wird auch von der Bevölkerung die hausärztliche Medizin nicht nur als „Servicemedizin“ gesehen. Kommt man in den städtischen Bereich, nimmt der Anteil jener Menschen, die aufgrund der großen Verfügbarkeit (wahl-)fachärztlicher Versorgung allgemeinmedizinische Kollegen als „Dienstleister“ zum Ausstellen von Überweisung, Krankenstand und Rezept wahrnehmen, sicherlich zu. Ein Beispiel dafür ist ein Erlebnis, dass ich unlängst in einer städtischen Ordination miterlebte als ein Patient kam und fragte: „Herr Doktor, welchen Facharzt können Sie mir für eine Gesundenuntersuchung empfehlen?“
Zusätzlich zu diesen Wahrnehmungen von Patientenseite aus kommt noch, dass wir in Österreich gerne dazu tendieren, zu jammern und Negatives zu Unterstreichen. Auffällig wird somit immer, was in der hausärztlichen Versorgung nicht gut läuft. Selten, dass man von positiv-Beispielen, „Wunderheilungen“ und neuen Forschungsergebnissen aus der Allgemeinmedizin hört. Ich habe auch noch kein Konsensuspapier über die kontinuierliche Betreuung von Heimpatienten gelesen, keines über den Umgang mit dementen Patienten und ihren Angehörigen in der Betreuung zu Hause, ich wüsste nicht, dass es einen Professor für Chronic Care gibt, der sich mit der hausärztlichen Visite als therapeutisches Tool beschäftigt und harte und weiche Endpunkte der hausärztlichen Visite beforscht…
Vieles von dem, was Allgemeinmediziner tagtäglich leisten, wird als Selbstverständlichkeit hingenommen, auch wenn es dies oftmals nicht ist. In unserem Alltag werden notwendige Arbeiten einfach getan, ohne zu hinterfragen, ob dies nun „abrechenbar“ ist oder nicht. In vielen Situationen sind wir Koordinatoren, Übersetzer, Betreuer und Begleiter, ganz ohne das Hervorzuheben.
Ich denke, es fehlt also weniger die Wertschätzung uns gegenüber, sondern die Wahrnehmung unserer Tätigkeiten an sich. Erst durch die Wahrnehmung kann auch Wertschätzung stattfinden.